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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 777

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 135/22, Beschluss v. 28.06.2022, HRRS 2022 Nr. 777


BGH 3 StR 135/22 - Beschluss vom 28. Juni 2022 (LG Kleve)

Berücksichtigung vertypter Strafmilderungsgründe bei der Prüfung eines minder schweren Falles.

§ 50 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 12. Januar 2022 aufgehoben

im Strafausspruch betreffend die Angeklagte L., jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten;

im Ausspruch über die Einziehung sichergestellten Bargelds, soweit diese einen Betrag von 72.579,87 € übersteigt.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagte L. ist vom Landgericht wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Darüber hinaus hat die Strafkammer die Einziehung sichergestellten Bargelds in Höhe von 82.677,87 € angeordnet und weitere Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen ihre Verurteilungen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Rügen der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte A. beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte A. spätestens seit Ende 2020 mit Betäubungsmitteln, wobei er regelmäßig in den Niederlanden Cannabis erwarb, dieses nach Deutschland verbrachte und hier gewinnbringend veräußerte. Für die Einfuhrfahrten verwendete er einen durch einen aufwändigen technischen Umbau mit einem Versteck zum Transport von Betäubungsmitteln ausgestatteten PKW.

Am 23. Juli 2021 fuhr der Angeklagte A. in die Niederlande, wo er 10.037,4 Gramm Cannabis mit einer Wirkstoffmenge von 715,7 Gramm Tetrahydrocannabinol erwarb. Die Betäubungsmittel wurden in dem Versteck des PKW deponiert. Am Folgetag fuhr er mit dem Fahrzeug zurück nach Deutschland. Dabei begleitete ihn die Angeklagte L. als Beifahrerin. Damit wollten beide Angeklagten den Anschein einer unverfänglichen Reise eines Paares erwecken und so die Einfuhrfahrt abtarnen. Die Angeklagte L. hatte sich in Kenntnis der Handelsaktivitäten des Angeklagten A. und unter zumindest billigender Inkaufnahme von Art und Menge der transportierten Betäubungsmittel gegen ein ihr versprochenes Entgelt in Höhe von 500 € zur Mitfahrt bereit erklärt. Nach Überqueren der Grenze wurden die Angeklagten einer polizeilichen Kontrolle unterzogen. Dabei wurden neben den eingeführten Betäubungsmitteln 58.440 € Bargeld im Drogenversteck des Fahrzeugs, 2.750 € im Handschuhfach sowie weitere 2.167,87 € Bargeld in einer Hosentasche des Angeklagten A. sichergestellt.

Bei einer anschließenden Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten A. wurden weitere, zuvor bei anderer Gelegenheit zum Zwecke des Weiterverkaufs erworbene Betäubungsmittel, und zwar 2.119 Gramm Cannabis mit einer Wirkstoffmenge von 202 Gramm Tetrahydrocannabinol und 1.625,8 Gramm Kokain mit einer Wirkstoffmenge von 1.393,8 Gramm Kokainhydrochlorid, sowie weiteres Bargeld in Höhe von 9.222 € aufgefunden.

Sowohl bei dem anlässlich der Fahrzeugkontrolle als auch bei dem in der Wohnung sichergestellten Bargeld handelte es sich um Erlöse aus früheren, nicht näher feststellbaren Betäubungsmittelverkäufen des Angeklagten A. .

II.

1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten A. dringt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.

2. Die materiellrechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrügen hat zu den Schuldsprüchen und zum Strafausspruch betreffend den Angeklagten A. keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführer ergeben. Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten A. in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

3. Dagegen weist die Strafzumessung betreffend die Angeklagte L. einen sie beschwerenden Rechtsfehler auf. Denn das Landgericht hat bei der Prüfung, ob die Tat der Angeklagten L. als minder schwerer Fall im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG zu werten ist, das Vorliegen des vertypten Strafmilderungsgrundes der Beihilfe (§ 27 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 46 Abs. 1 StGB) nicht in seine Abwägungsentscheidung eingestellt (vgl. insofern Fischer, StGB, 69. Aufl., § 50 Rn. 3 ff. mwN). Vielmehr hat es ohne dessen Berücksichtigung einen minder schweren Fall der Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln verneint und sodann der Strafzumessung den nach § 27 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 46 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG zu Grunde gelegt. Da der gemilderte Regelstrafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG (sechs Monate bis elf Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe) höher ist als der Strafrahmen des minder schweren Falles gemäß § 30 Abs. 2 BtMG (drei Monate bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe), ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer einen minder schweren Fall gemäß § 30 Abs. 2 BtMG bejaht und eine geringere Freiheitsstrafe gegen die Angeklagte L. verhängt hätte, wenn sie den vertypten Strafmilderungsgrund der Beihilfe in ihre Prüfung des Vorliegens eines minder schweren Falles einbezogen hätte, auch wenn der vertypte Strafmilderungsgrund dann gemäß § 50 StGB verbraucht gewesen wäre. Über den Strafausspruch betreffend die Angeklagte L. ist daher neu zu befinden. Weil ein reiner Wertungsfehler vorliegt, können die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widerstreiten.

4. Die den Angeklagten A. betreffende Einziehung sichergestellten Bargelds hat nur teilweise Bestand. Zwar begegnet die auf § 73a StGB gestützte (erweiterte) Einziehung dem Grunde nach keinen Bedenken. Der Einziehungsbetrag in Höhe von 82.677,87 € wird allerdings von den Feststellungen nicht in vollem Umfang getragen.

Ausweislich der Urteilsgründe wurden bei der Fahrzeugkontrolle 63.357,87 € (58.440 € Bargeld im Drogenversteck des Fahrzeugs, 2.750 € im Handschuhfach sowie weitere 2.167,87 € in der Kleidung des Angeklagten) und in der Wohnung des Angeklagten A. 9.222 €, insgesamt mithin 72.579,87 €, sichergestellt. Der darüber hinausreichende Einziehungsbetrag (10.098 €) wird durch die Urteilsgründe nicht belegt. Da insofern ergänzende Feststellungen nicht ausgeschlossen erscheinen, bedarf die Einziehung sichergestellten Bargelds im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 777

Bearbeiter: Christian Becker