HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 396
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 453/22, Beschluss v. 02.02.2023, HRRS 2023 Nr. 396
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 4. April 2022 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Demgegenüber ist die Strafzumessung des Landgerichts zwar durchgreifend rechtfehlerhaft. Der Strafausspruch kann aber bestehen bleiben, weil die verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO).
a) Das Landgericht hat bei der Strafzumessung im engeren Sinn - innerhalb des gemilderten Strafrahmens (§ 29a Abs. 1 BtMG, § 27 StGB, § 49 StGB) - zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er bereits im Jahr 2004 in den Niederlanden durch die Begehung einer Körperverletzungstat aufgefallen sei. Hierzu hat es festgestellt, dass der Angeklagte in Deutschland nicht vorbestraft ist, eine Auskunft aus dem niederländischen Strafregister aber zwei Eintragungen ausweist. Demnach wurde der Angeklagte am 21. Februar 2005 von einem niederländischen Gericht wegen „einfacher Köperverletzung“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Tagen und einer Geldstrafe in Höhe von 225 Euro verurteilt. Mit Urteil eines anderen niederländischen Gerichts vom 3. September 2020, rechtskräftig seit 16. März 2021, wurde der Angeklagte unter anderem wegen Betäubungsmittel- und Waffendelikten zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar dürfen bei der Strafzumessung auch rechtskräftige ausländische Vorstrafen berücksichtigt werden, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar wäre. Dies gilt allerdings, wie sich für nicht im Bundeszentralregister eingetragene ausländische Verurteilungen aus § 58 BZRG ergibt, nur, wenn die ausländische Verurteilung nicht tilgungsreif wäre, würde es sich bei ihr um eine solche nach deutschem Recht handeln. Liegt Tilgungsreife vor, besteht das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG. Berücksichtigt das Tatgericht eine ausländische Vorstrafe zum Nachteil des Angeklagten, die nach dem BZRG naheliegend tilgungsreif wäre, hat es daher die für die Tilgungsreife erforderlichen Feststellungen zu treffen und zu bewerten und dies im Urteil darzulegen (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - 1 StR 329/21; Beschluss vom 5. Dezember 2019 - 4 StR 301/19, NStZ-RR 2020, 217, 218, jew. mwN).
Diesen Anforderungen, deren Einhaltung der Senat auf die Sachrüge hin zu überprüfen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - 1 StR 329/21; Beschluss vom 5. Dezember 2019 - 4 StR 301/19, NStZ-RR 2020, 217, 218; Beschluss vom 22. Dezember 2015 - 2 StR 207/15, NStZ-RR 2016, 120; Beschluss vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15, StV 2017, 41; Urteil vom 10. Januar 1973 - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 101 ff.; jew. mwN; aA [nicht tragend] Beschluss vom 16. September 2020 - 5 StR 314/20, JR 2021, 412 f.), wird das Urteil nicht gerecht. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, liegt eine Tilgungsreife der niederländischen Verurteilung aus dem Jahr 2005, die das Landgericht dem Angeklagten strafschärfend angelastet hat, nach den für eine entsprechende inländische Vorahndung geltenden Maßgaben nahe (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und b) BZRG). Infolgedessen erweisen sich die zu den Vorstrafen des Angeklagten getroffenen Feststellungen des Landgerichts als unzureichend, weil sie dem Senat nicht ermöglichen, sicher zu beurteilen, ob das Landgericht die strafrechtliche Vorahndung aus dem Jahr 2005 bei der Strafzumessung rechtsfehlerfrei zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt hat.
b) Der Rechtsfehler erfordert indes nicht die Aufhebung des Strafausspruchs und die Zurückverweisung der Sache, weil die verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren gleichwohl angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände, zu beurteilen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. Juni 2019 - 2 StR 94/19 mwN).
Die bei verfassungskonformer Auslegung erforderlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 354 Abs. 1a StPO (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 136/05 u. 1447/05, NStZ 2007, 598) liegen vor. Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer etwaigen Aufrechterhaltung des Strafausspruchs als angemessen, nachdem diese bereits vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift angeregt worden war. Dem Senat steht ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung. Anhaltspunkte für erst nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eingetretene und dementsprechend bisher nicht berücksichtigte Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter naheliegend feststellen und zugunsten des Angeklagten berücksichtigen würde, bestehen nicht.
Für die Beurteilung der Angemessenheit ist von dem durch das Landgericht rechtsfehlerfrei zugrunde gelegten Strafrahmen auszugehen, der sich aus der Milderung des Regelstrafrahmens des § 29a BtMG gemäß § 49 StGB i.V.m. § 27 StGB ergibt. Was das maßgebliche Gewicht der Tathandlung des Angeklagten betrifft, so entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere den Ausführungen der Strafkammer zur Beweiswürdigung (DNA-Spuren), dass der Angeklagte an der Herstellung des in sehr großem Umfang produzierten Amphetamin eigenhändig mitwirkte, indem er mit zur Synthese desselben benötigten Chemikalien umging. Angesichts dessen und unter Abwägung aller weiteren für die Strafzumessung bedeutsamen Urteilsfeststellungen hält der Senat die Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten ebenso wie den Härteausgleich in Höhe von drei Monaten, den das Landgericht im Hinblick auf das sich durch die niederländische Verurteilung vom 3. September 2020 ergebende Gesamtstrafübel gewährt hat, für angemessen.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 396
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede