HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 231
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 207/15, Beschluss v. 22.12.2015, HRRS 2016 Nr. 231
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 16. Januar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit Sachbeschädigung und mit Brandstiftung „an Kraftfahrzeugen“ in zwei in Tateinheit stehenden Fällen sowie wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes zweier Schusswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz an Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet; sein Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen fand der - insoweit geständige - Angeklagte im Jahr 2007 auf dem Dachboden des von ihm gekauften Hauses eine funktionstüchtige Repetierbüchse nebst Munition, die er fortan in geladenem und entsichertem Zustand in seinem Schlafzimmer aufbewahrte. Zumindest am 26. Dezember 2013 war der Angeklagte zudem im Besitz einer Schrotflinte nebst Munition (was der Angeklagte bestreitet; Fall 1 der Urteilsgründe).
Am 26. Dezember 2013 gegen 5.45 Uhr verließ der Angeklagte sein Anwesen, wobei er eine Schrotflinte nebst Munition mit sich führte. Im Ortsbereich setzte er zunächst einen Pkw in Brand. An anderer Stelle schlug er auf ein weiteres Fahrzeug ein, schoss mit der Schrotflinte durch dessen Fensterscheibe und zündete es anschließend an, wobei er von Zeugen beobachtet und angesprochen wurde, die ihn aber später nicht wiedererkannten. Schließlich schoss er auf dem Marktplatz durch die gläserne Eingangstüre eines türkischen Imbisses, wobei - wie von ihm beabsichtigt - niemand zu Schaden kam (Fall 2 der Urteilsgründe).
2. Ein wesentliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe hat das Landgericht darin gesehen, dass dieser bereits am 27. April 1998 vom Landgericht Meiningen wegen eines ähnlichen Brandstiftungsdelikts zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden war.
Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:
„Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils hat einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Strafkammer hätte die mit Urteil des Landgerichts Meiningen vom 27. April 1998 erfolgte Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten wegen schwerer Brandstiftung nicht verwerten dürfen, da insoweit bereits Tilgungsreife eingetreten war. Die Tilgungsfrist für diese Verurteilung beträgt nach § 46 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 3 BZRG fünfzehn Jahre zuzüglich der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, also sechzehn Jahre und acht Monate. Die Frist beginnt mit dem Tag des ersten Urteils, also dem 27. April 1998 (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 36 Satz 1 BZRG). Demzufolge ist mit Ablauf des 26. Dezember 2014 Tilgungsreife eingetreten. Das Verwertungsverbot greift auch dann ein, wenn die Tilgungsfrist zwar zum Zeitpunkt der neuen Tat noch nicht verstrichen, aber vor Ende der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz bereits abgelaufen ist (BGH NStZ 1983, 30; StV 1999, 639).
Die Strafkammer hat bei der Beweiswürdigung ausdrücklich verschiedene Parallelen zwischen der Tat, die dem früheren Urteil zugrunde lag, und den nunmehr abgeurteilten Brandstiftungstaten als Beweisindiz zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt (UA S. 16 f.). Zwar darf nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem erneuten Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist und die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung seines Geisteszustands von Bedeutung sind. Die Reichweite dieser Verwertungserlaubnis ist aber an den Normzweck des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gebunden; eine zulässig bei der Beurteilung des Geisteszustands berücksichtigte frühere Tat darf daher - obgleich sie mit der Anhörung des Sachverständigen gerichtsbekannt geworden ist - nicht an anderer Stelle zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden (BGH NStZ-RR 2013, 84 m.w.N.). Dass das Interesse an der Aufklärung des wahren Sachverhalts insoweit hinter dem Resozialisierungsinteresse des Angeklagten zurücktritt, hat der Gesetzgeber dabei in Kauf genommen. Auch angesichts der Beweislage im Übrigen kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass der Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe auf der Verwertung der früheren Verurteilung beruht. Darüber hinaus hat die Strafkammer die Vorstrafe des Angeklagten allgemein strafschärfend berücksichtigt (UA S. 19).“
Dem schließt sich der Senat an. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt darüber hinaus auch zur Aufhebung im Fall 1 der Urteilsgründe.
Zwar sind die Feststellungen zum unerlaubten Besitz des Angeklagten an der bei ihm sichergestellten Repetierbüchse nebst Munition von dem Rechtsfehler unbeeinflusst und auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen. Soweit die Strafkammer in diesem Fall darüber hinaus von einem tateinheitlich begangenen unerlaubten Besitz des Angeklagten an einer weiteren Schusswaffe - nämlich der im Fall 2 als Tatwaffe verwendeten Schrotflinte - ausgegangen ist, beruhen diese Feststellungen jedoch auf einem Rückschluss aus der vom Landgericht festgestellten Täterschaft des Angeklagten im Fall 2 und sind daher ebenfalls von dem aufgezeigten Rechtsfehler beeinflusst.
Was die Konkurrenzverhältnisse im Fall 2 der Urteilsgründe anbelangt, wird der neue Tatrichter die dazu erfolgten Rechtsausführungen des Generalbundesanwalts zu beachten haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 231
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 120; StV 2016, 541
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede