HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 509
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 18/22, Beschluss v. 15.03.2022, HRRS 2022 Nr. 509
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 6. Mai 2021 im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Revision ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - 2 StR 288/19, NStZ-RR 2020, 222).
1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafe den Strafrahmen nicht richtig bestimmt hat.
a) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falls gemäß § 29a Abs. 2 BtMG abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Sieht das Gesetz einen besonderen Strafrahmen für minder schwere Fälle vor und ist ? wie hier gemäß § 31 BtMG, § 49 Abs. 1 StGB ? auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl im Rahmen einer Gesamtabwägung zunächst geprüft werden, ob die allgemeinen Milderungsgründe die Annahme eines minder schweren Falles tragen. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Strafrahmens danach weiterhin nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 5. Mai 2020 - 4 StR 597/19; Beschluss vom 7. März 2017 ? 2 StR 567/16).
Diese Prüfungsreihenfolge hat das Landgericht nicht beachtet, sondern hat einen minder schweren Fall allein unter Berücksichtigung allgemeiner Strafzumessungsgründe abgelehnt und sodann eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 31 BtMG, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.
b) Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Einzelstrafe. Denn der Senat vermag ein Beruhen der verhängten Strafe auf dem Rechtsfehler angesichts der Diskrepanz zwischen dem angewandten Strafrahmen von drei Monaten bis elf Jahren und drei Monaten und dem möglicherweise in Betracht kommenden Rahmen von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe nicht auszuschließen.
Damit kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, dass die Feststellungen zu der bei der konkreten Strafzumessung herangezogenen Vorstrafe aus Brasilien eine Prüfung nicht ermöglichen, ob die Tat nach deutschem Recht strafbar wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2019 ? 4 StR 301/19; Beschluss vom 14. Februar 2017 ? 2 StR 569/16). Dazu genügen weder die Tatbezeichnung als unerlaubte „Einfuhr“ von Betäubungsmitteln noch die bloße Feststellung, dass der Angeklagte als Kurier per Flugzeug Kokain von Brasilien nach Deutschland transportieren wollte.
c) Die Aufhebung der Einzelstrafe entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen ? insbesondere zu der Tat des Angeklagten, die Gegenstand seiner Verurteilung in Brasilien war ? sind möglich, sofern sie zu den bereits getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten.
2. Die Ausführungen über die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB und der Ausspruch über die Einziehung nach §§ 73, 73c StGB lassen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 509
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß