hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 451

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 436/21, Beschluss v. 17.02.2022, HRRS 2022 Nr. 451


BGH 4 StR 436/21 - Beschluss vom 17. Februar 2022 (LG Bielefeld)

Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften (Sich Verschaffen: Tatmehrheit); Einstellung des Verfahrens bei Verfahrenshindernis (Nachantragsklage); Teileinstellung bei mehreren Taten.

§ 184b StGB a.F.; § 53 StGB; § 206a Abs. 1 StPO; § 154 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 16. Juni 2021 wird

a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 6, 9 - 11, 14, 18, 19, 34 und 35 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;

b) das vorbezeichnete Urteil

aa) in den Fällen II. 7, 8, 15 - 17 und 31 - 33 der Urteilsgründe aufgehoben und das Verfahren insoweit gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt;

bb) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 13 Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung, des versuchten sexuellen Missbrauchs eines Kindes sowie des Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen schuldig ist; die im Fall II. 13 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe entfällt;

cc) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2 - 5 der Urteilsgründe aufgehoben; die Einzelstrafen entfallen.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Einstellungen trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch geblieben ist, in Tateinheit mit sexueller Nötigung in sechs Fällen in Tatmehrheit mit Verabredung zum schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes in drei Fällen sowie wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften in 18 Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu einer teilweisen Einstellung des Verfahrens und hat im verbleibenden Umfang den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen II. 7, 8, 15 - 17 und 31 - 33 der Urteilsgründe wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften verurteilt hat, sind die Taten nicht von der zugelassenen Anklage umfasst, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend näher ausgeführt hat. Da eine Nachtragsanklage nicht erhoben ist, muss das Urteil insoweit aufgehoben und das Verfahren aufgrund des von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses einer fehlenden Anklage gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt werden.

2. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat zudem das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen ein, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 6, 9 - 11, 14, 18 und 19 der Urteilsgründe wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften und - ohne im Tenor kenntlich gemachte Tateinheit im Fall II. 18 - in den Fällen II. 18, 34 und 35 der Urteilsgründe wegen Verabredung zum schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes verurteilt worden ist.

3. a) Der verbleibende Schuldspruch hält in den Fällen II. 12 und 13 der Urteilsgründe der rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand. Die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten als tatmehrheitliche Vergehen des Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 3 Var. 1 StGB idF vom 21. Januar 2015 wird von den Feststellungen nicht getragen. Danach erhielt der Angeklagte die beiden Bilder der Geschädigten, die sie in vergleichbarer Situation in der Dusche zeigen, innerhalb weniger Minuten. Aufgrund des engen situativen und zeitlichen Zusammenhangs ist von einer Tat im materiellrechtlichen Sinne auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 - 4 StR 342/14 mwN).

Der Senat ändert den Schuldspruch - über die Teileinstellung gemäß § 206a Abs. 1, § 154 Abs. 2 StPO hinaus - in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO entsprechend ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Darüber hinaus korrigiert der Senat die Urteilsformel hinsichtlich der Anzahl der Taten des sexuellen Missbrauchs und des versuchten sexuellen Missbrauchs eines Kindes, weil ein Verkündungsversehen in dem Sinne vorliegt, dass dem Landgericht ein Fehler allein bei der Zählung der insoweit abgeurteilten Fälle unterlaufen ist. Gegenstand der Verurteilung sind ausweislich der Urteilsgründe nicht lediglich 13, sondern 14 derartige Taten (Fälle II. 1, 21 - 30, 36 - 38). Ein solcher Zählfehler darf berichtigt werden, wenn er für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung darum auch nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Änderung des Urteils begründen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2013 - 3 StR 505/12; Beschluss vom 10. Januar 2012 - 3 StR 408/11). Dies ist hier der Fall.

4. Die Teileinstellung des Verfahrens führt zum Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen II. 6 - 11, 14 - 19 und 31 - 35; außerdem entfällt aufgrund der geänderten konkurrenzrechtlichen Bewertung die Einzelstrafe im Fall II. 13 der Urteilsgründe. In den Fällen II. 2 - 5 der Urteilsgründe hat das Landgericht gegen den Angeklagten jeweils Einzelstrafen ausgesprochen, obwohl eine Verurteilung - zutreffend - nicht erfolgt ist. Diese festgesetzten Einzelstrafen von jeweils sechs Monaten Freiheitsstrafe sind daher aufzuheben und haben ebenfalls zu entfallen.

Die Gesamtfreiheitsstrafe kann bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht angesichts der Einsatzfreiheitsstrafe von drei Jahren und der weiter verbleibenden Einzelstrafen von neunmal zwei Jahren, dreimal einem Jahr und sechs Monaten sowie dreimal sechs Monaten zu einer milderen Gesamtstrafe gelangt wäre.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 451

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß