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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 447

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 404/21, Beschluss v. 01.02.2022, HRRS 2022 Nr. 447


BGH 4 StR 404/21 - Beschluss vom 1. Februar 2022 (LG Bielefeld)

Sexueller Missbrauch von Kindern (Bestimmen; Vornahme einer sexuellen Handlung: teilweises Entkleiden der Geschädigten, fehlender körperlicher Kontakt); Einziehung von Tatmitteln (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte; Verhältnismäßigkeit; Ermessensausübung).

§ 176 StGB a.F.; § 74 StGB; § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB a.F.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 23. April 2021

a) im Schuldspruch im Fall II.12 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte des öffentlichen Zugänglichmachens kinderpornographischer Schriften schuldig ist;

b) aufgehoben

aa) in den Fällen II.3, II.7 und II.11 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen,

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

cc) im Ausspruch über die Einziehung, soweit die Einziehung des PCs Compact, des Smartphones Samsung Galaxy und des Smartphones Nokia angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sieben Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften, wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften in fünf Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung näher bezeichneter Gegenstände angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Im Fall II.12 der Urteilsgründe ist der Schuldspruch zu berichtigen. Wie das Landgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung dargelegt hat, erfüllt das Hochladen mehrerer kinderpornographischer Bilder auf eine Internetseite nicht, wie tenoriert, den Tatbestand des Herstellens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB, sondern den Tatbestand des Zugänglichmachens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB i.d.F. vom 13. April 2017. § 265 StPO steht einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Tat eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte.

2. Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen II.3, II.7 und II.11 der Urteilsgründe nicht.

a) Im Fall II.3 der Urteilsgründe ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte die Geschädigte im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB i.d.F. vom 21. Januar 2015 dazu bestimmte, sexuelle Handlungen vorzunehmen. Nach den Feststellungen fertigte er ein Bild von dem unbekleideten Schambereich der Geschädigten, die auf einer Decke sitzend die Beine anhob. Ein unmittelbares Einwirken durch den Angeklagten auf den Entschluss des Kindes lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

b) In den Fällen II.7 und II.11 der Urteilsgründe ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte eine sexuelle Handlung im Sinne von § 176 Abs. 1 Alt. 1 StGB aF vornahm.

aa) Nach den Feststellungen fertigte der Angeklagte im Fall II.7 der Urteilsgründe ein Bild des Scheidenbereichs der Geschädigten, wobei er die Unterhose des Kindes zur Seite zog. Im Fall II.11 der Urteilsgründe fertigte der Angeklagte zwei Bilder der Geschädigten. Auf dem ersten Bild zog er ihr die Hose mit zwei Fingern herunter und fotografierte den mit einer Unterhose bekleideten Scheidenbereich; auf dem zweiten Bild zog er ihr das Top bis unter die Brustwarzen herunter und fotografierte diese.

bb) Das teilweise Entkleiden der Geschädigten erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht.

Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle Handlung „an“ dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen der Kleidung stellt nicht den körperlichen Kontakt her, der für eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB aF erforderlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2016 - 3 StR 72/16; vom 23. Februar 2017 - 1 StR 627/16).

So liegt der Fall hier. Dass es vorliegend zu Körperkontakten gekommen ist, die über die beim Ausziehen üblichen hinausgehen, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Solche Berührungen von geringer Intensität erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184h Nr. 1 StGB nicht.

cc) Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn der Täter sich schon mit dem Ausziehen selbst sexuell erregen will (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2017 - 2 StR 452/16 mwN), kann dahinstehen, da das Landgericht entsprechende Feststellungen nicht getroffen hat.

dd) Auch ein Bestimmen im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF ist nicht festgestellt. Dass die Geschädigte in den Fällen II.7 und II.11 der Urteilsgründe auf Veranlassung des Angeklagten eine entsprechende Körperhaltung einnahm, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

c) Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen II.3, II.7 und II.11 der Urteilsgründe kann daher nicht bestehen bleiben. Wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens unterliegen auch die an sich rechtsfehlerfreien Schuldsprüche wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF in den Fällen II.3, II.7 und II.11 der Urteilsgründe der Aufhebung.

d) Die Aufhebung der Verurteilungen in den Fällen II.3, II.7 und II.11 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe nach sich.

3. Die Einziehungsentscheidung hält rechtlicher Nachprüfung hinsichtlich des PCs Compact sowie der Smartphones Samsung Galaxy und Nokia nicht stand.

a) Das Landgericht hat die Einziehung eines PCs Compact, zweier Smartphones Samsung Galaxy und Nokia, eines USB-Sticks und einer Festplatte Hitachi als Tatmittel angeordnet und auf § 74 StGB gestützt.

b) Die Einziehung der Festplatte und des Speichersticks hat Bestand. Die Speichermedien sind als Beziehungsgegenstände nach § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB (seit 1. Januar 2021 ohne inhaltliche Änderung § 184b Abs. 7 Satz 1 StGB) i.V.m. § 74 Abs. 2 StGB zwingend einzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 - 4 StR 657/11). Der Senat reduziert den Umfang der Einziehung daher auf den zulässigen Umfang. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist unter den hier gegebenen Umständen gewahrt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2019 - 4 StR 247/19; vom 19. Mai 2020 - 6 StR 87/20).

c) Dagegen kann die Einziehung der Endgeräte nicht bestehen bleiben. Sie steht nach § 74 Abs. 1 StGB im Ermessen des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 - 4 StR 657/11; Urteil vom 1. Dezember 2021 - 1 StR 249/21). Das Landgericht hat weder ausdrücklich eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen oder sein Ermessen ausgeübt noch lassen die knappen Erwägungen im Übrigen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und Ermessensausübung erkennen.

4. Im Übrigen hat die Prüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 447

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß