HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 698
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 87/20, Beschluss v. 19.05.2020, HRRS 2020 Nr. 698
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 23. Januar 2020 geändert
a) im Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 21 Fällen, in fünf Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen, hiervon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Herstellung jugendpornographischer Schriften, und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt ist,
b) in den Strafaussprüchen zu den Taten gemäß B.I.1 bis B.I.16 der Urteilsgründe dahin, dass der Angeklagte insoweit jeweils zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt ist,
c) in der Einziehungsentscheidung dahin, dass hinsichtlich des Personalcomputers „rot“ (lfd. Nr. 0.2-1, 0.2-2) und des Laptops „MSI“ (lfd. Nr. 0.5) jeweils lediglich deren Festplatte eingezogen ist.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in 20 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Herstellung jugendpornographischer Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fallen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in 90 tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung verschiedener Datenträger angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Hinsichtlich der vom Angeklagten in den Jahren 2005 bis 2007 zu jeweils nicht näher eingrenzbaren Tatzeiten begangenen 16 Taten des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen muss die Verurteilung wegen jeweils tateinheitlich verwirklichten sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB i.d.F. vom 13. November 1998 entfallen, weil insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährung hat nicht geruht. Erst durch Art. 1 Nr. 4 des 49. Gesetzes zur Änderung des StGB vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) ist die Regelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB auf Straftaten nach § 182 StGB erstreckt und bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers erweitert worden. Ihre Anwendung ist ausgeschlossen, weil die für Vergehen nach § 182 StGB geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) bei Inkrafttreten des Änderungsgesetzes bereits abgelaufen war (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24 Juni 2004 - 4 StR 165/04, BGHR StGB § 78 b Abs. 1 Ruhen 12; vom 30. August 2017 - 4 StR 255/17, NStZ 2019, 141). Die Taten wurden im Jahr 2019 aufgedeckt, weswegen im Grundsatz zur Unterbrechung der Verjährung geeignete Verfahrenshandlungen erst im April bzw. Mai 2019 erfolgt sind (§ 78c Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB).
Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob sich den Urteilsgründen die Ausnutzung einer fehlenden Fähigkeit des diesbezüglichen Tatopfers zur sexuellen Selbstbestimmung durch den Angeklagten (§ 182 Abs. 2 StGB aF) hinreichend entnehmen lässt.
2. Das Landgericht hat in den genannten Fällen die tateinheitliche Begehung mehrerer Delikte - wenngleich wegen der ähnlichen Schutzrichtung der verwirklichten Straftatbestände mit geringerem Gewicht - straferschwerend berücksichtigt. Im Blick darauf können die insoweit verhängten Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und zwei Monaten nicht bestehen bleiben. Der Senat setzt sie in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO auf jeweils drei Monate fest. Dies entspricht der Mindeststrafe des § 174 Abs. 1 StGB. Der Angeklagte ist dadurch nicht beschwert. Angesichts der Zahl und Intensität der abgeurteilten Taten und der Länge der Tatzeiträume kann ausgeschlossen werden, dass das Landgericht mangels Unerlässlichkeit einer Freiheitsstrafe (§ 47 Abs. 2 Satz 1 StGB) Geldstrafen verhängt hätte.
Die Gesamtfreiheitsstrafe hat Bestand. Angesichts der verbleibenden Freiheitsstrafen von drei Jahren und drei Monaten, dreimal drei Jahren, fünfmal zwei Jahren und drei Monaten, einem Jahr und drei Monaten sowie zweimal einem Jahr schließt der Senat aus, dass sich die Reduzierung der 16 Einzelstrafen auf je drei Monate Freiheitsstrafe auf die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe ausgewirkt hätte.
3. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts und aus den von ihm angeführten Gründen hat der Senat ferner den offensichtlichen Zählfehler des Landgerichts (21 statt 20 Taten des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen) berichtigt (dazu etwa BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2012 - 4 StR 263/12 mwN) und den Schuldspruch dahin korrigiert, dass der Angeklagte einer Tat des Besitzes von kinderpornographischen Schriften (statt „in 90 tateinheitlichen Fällen“) schuldig ist. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte hiergegen nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
4. Zur Einziehungsentscheidung hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
„Bei einer Verurteilung nach § 184b Abs. 3 StGB sind nach § 184b Abs. 6 StGB Beziehungsgegenstände der Tat zwingend einzuziehen. Wurde der Besitz kinderpornographischer Schriften - wie hier in Fall B. III. der Urteilsgründe - durch Abspeichern von Bild- und Videodateien auf einem Computer ausgeübt, unterliegt insoweit lediglich die als Speichermedium verwendete Festplatte der Einziehung. Die Einziehung des für den Speichervorgang verwendeten Computers nebst Zubehör kann dagegen nur nach § 74 Abs. 1 Alternative 2 StGB im Rahmen einer Ermessensentscheidung erfolgen (vgl. BGH, BGHR § 184b Abs. 6 - Einziehung 1, Vorbehalt mwN; Hörnle in MüKo-StGB, 3. Aufl., Rn. 62; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 184b Rn. 44). Ermessen hat das Landgericht im Rahmen seiner ohne nähere Begründung auf §184b Abs. 6 Satz 1 StGB gestützten Einziehungsentscheidung nicht ausgeübt (UA S. 33). Der Senat wird den Umfang der Einziehung auf den zulässigen Umfang reduzieren können (vgl. BGH, Beschluss vom 8.Oktober 2019 - 4 StR 247/19; Beschluss vom 24. Oktober 2019 - 4 StR 200/19). Der in § 74f StGB normierte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist vorliegend gewahrt (anders als in: BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 5 StR 65/18). Eine technische Möglichkeit, die verfahrensgegenständlichen Bild- und Videodateien von den Festplatten zu löschen, so dass deren Wiederherstellung unmöglich ist, ist nicht ersichtlich.“
Der Senat hat die Einziehungsentscheidung in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO in dem beantragten Umfang geändert.
5. Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den aufgrund seines Rechtsmittels entstandenen Kosten zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 698
Externe Fundstellen: StV 2021, 307
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner