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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 135

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 347/21, Beschluss v. 08.12.2021, HRRS 2022 Nr. 135


BGH 4 StR 347/21 - Beschluss vom 8. Dezember 2021 (LG Frankenthal)

Brandstiftung (Konkurrenzen: natürliche Handlungseinheit; Strafzumessung: Verneinung eines minder schweren Falls, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe).

§ 306 StGB; § 46 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 30. April 2021

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte in den Fällen II.2.c und II.2.d der Urteilsgründe schuldig ist der versuchten Brandstiftung in Tateinheit mit Herstellung verbotener Waffen und mit fahrlässiger Körperverletzung; die im Fall II.2.d der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe entfällt;

b) aufgehoben im Ausspruch über

aa) die Einzelstrafen in den Fällen II.2.b und II.2.c der Urteilsgründe und

bb) die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen, mit besonders schwerer Brandstiftung und mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge“, wegen versuchter Brandstiftung in Tateinheit mit Herstellung verbotener Waffen in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, sowie wegen unerlaubten Besitzes von Patronenmunition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. In den Fällen II.2.c und II.2.d der Urteilsgründe hält die Annahme von zwei selbständigen, real konkurrierenden Taten der versuchten Brandstiftung (jeweils in Tateinheit mit Herstellung verbotener Waffen, im Fall II.2.c in weiterer Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung) einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen entschloss sich der Angeklagte, u. a. ein Feuerwehrfahrzeug mit von ihm zuvor hergestellten sog. Molotow-Cocktails anzugreifen, um sich gegen die Räumung seiner Wohnung zur Wehr zu setzen. Zunächst entzündete er einen Molotow-Cocktail und warf ihn aus dem Fenster seiner Wohnung in Richtung des Feuerwehrfahrzeugs, wo der Brandsatz eine Stichflamme erzeugte und eine Person durch die erhebliche Rauchentwicklung verletzt wurde. Die Feuerwehr löschte den Brand, was der Angeklagte wahrnahm. Er entschloss sich daher, einen weiteren Molotow-Cocktail auf das Fahrzeug zu werfen. Dazu zündete er einen weiteren der von ihm zuvor hergestellten Brandsätze an und warf ihn in Richtung des Feuerwehrfahrzeugs. Dieser Molotow-Cocktail zerschellte ohne weitere Folgen auf der Straße.

b) Eine natürliche Handlungseinheit und damit eine Tat im materiellrechtlichen Sinn liegt vor, wenn bei einer Mehrheit gleichartiger strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind und zwischen ihnen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 1. September 1994 - 4 StR 259/94, NStZ 1995, 46; BGH, Beschlüsse vom 7. März 2017 ? 1 StR 41/17 und vom 24. März 2015 - 4 StR 52/15; jeweils mwN).

c) So liegt es hier. Die beiden Würfe in den Fällen II.2.c und II.2.d der Urteilsgründe erfolgten innerhalb kürzester Zeit, am selben Ort, mit den vom Angeklagten bereits vorbereiteten Tatmitteln und gerichtet auf dasselbe Tatobjekt. Dieser Zusammenhang legt auch nahe, dass der Angeklagte beide Würfe aufgrund seines zuvor gefassten Tatplans, das Feuerwehrfahrzeug in Brand zu setzen, ausführte. Das bloße Erkennen der Erfolglosigkeit des ersten Wurfes stellt somit keine relevante Zäsur dar.

d) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der - geständige - Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung und zum Wegfall der Einzelstrafe in Höhe von einem Jahr und neun Monaten im Fall II.2.d der Urteilsgründe.

2. Im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.2.b und II.2.c der Urteilsgründe wegen versuchter Brandstiftung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellung verbotener Waffen, im Fall II.2.c in weiterer Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, kann der Ausspruch über die insoweit verhängten Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr sowie von einem Jahr und neun Monaten keinen Bestand haben, weil sich die Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist.

a) Das Landgericht hat bei der Verneinung von minder schweren Fällen gemäß § 306 Abs. 2 StGB lediglich allgemeine Strafzumessungsgesichtspunkte gewürdigt und anschließend die Strafen jeweils dem nach § 23 Abs. 2, §§ 21, 49 Abs. 1 StGB doppelt gemilderten Strafrahmen des § 306 Abs. 1 StGB entnommen (ein Monat bis fünf Jahre und sieben Monate Freiheitsstrafe).

b) Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weiteren Prüfung der Frage, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen eines oder mehrerer gesetzlich vertypter Milderungsgründe gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 2005 - 4 StR 173/05; vom 21. Juli 2015 - 2 StR 24/15 und vom 5. Mai 2021 - 3 StR 107/21).

c) An dieser Prüfung fehlt es hier. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass das Vorliegen bereits eines vertypten Strafmilderungsgrunds zusammen mit den festgestellten sonstigen Milderungsgründen einen minder schweren Fall begründen kann. Bei einer weiteren Milderung des Strafrahmens des § 306 Abs. 2 StGB gemäß § 49 Abs. 1 StGB würde der Strafrahmen von einem Monat bis zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe reichen.

Der Senat kann mit Blick auf die vom Landgericht ausgesprochenen Einzelstrafen nicht ausschließen, dass diese bei einer deutlich niedrigeren Strafrahmenobergrenze geringer ausgefallen wären.

3. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.2.b, II.2.c und II.2.d der Urteilsgründe entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

4. Im Übrigen hat die Prüfung des Urteils keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 135

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß