HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 760
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 523/20, Beschluss v. 09.06.2021, HRRS 2021 Nr. 760
1. Auf die Revision des Angeklagten Y. wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 25. Mai 2020, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit dieser in Fall II. 4 a) bis c) der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch und
c) im Ausspruch über die Einziehung der Waffen, Munition und Patronengurte.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Betruges, Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe und Beförderung einer Kriegswaffe im Bundesgebiet außerhalb eines abgeschlossenen Geländes jeweils ohne Genehmigung in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition sowie mit dem Besitz einer Schusswaffe jeweils ohne Erlaubnis“ und „der Verabredung zu einem schweren Bandendiebstahl sowie zu drei schweren Rauben“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen sowie die Einziehung einer Bockflinte, einer halbautomatischen Selbstladepistole, von Munition und zwei Patronengurten angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen der tateinheitlichen Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll- und Waffengesetz in Fall II. 4 a) bis c) der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Der Schuldspruch in Fall II. 4 c) der Urteilsgründe wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2b) WaffG ist rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht die Funktionsfähigkeit der Waffe nicht festgestellt hat.
aa) Tatobjekt des § 52 Abs. 1 Nr. 2b) WaffG ist eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition. Die Schusswaffe bzw. die gleichgestellten wesentlichen Teile der Schusswaffe i.S.d. Anlage 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.3 des WaffG müssen funktionsfähig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2019 - 3 StR 559/18; MüKo-WaffG/Heinrich, 3. Aufl., § 1 Rn. 13; Heinrich in Steindorf, Waffenrecht, 10. Aufl., § 1 Rn. 19c; Pauckstadt-Maihold/Lutz in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, W 12. Waffengesetz, 234. EL (Januar 2021), § 1 Rn. 6 und Rn. 11). Eine vorübergehende Funktionsunfähigkeit ist unerheblich, wenn eine Reparatur mit allgemein gebräuchlichen Werkzeugen möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2019 - 3 StR 559/18; MüKo-WaffG/Heinrich, 3. Aufl., § 1 Rn. 60 f.).
bb) Diese Voraussetzung ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Danach lagerte der Angeklagte in seiner Wohnung eine „nicht funktionsfähige“ halbautomatische Selbstladepistole, die nach den Erwägungen in der Strafzumessung „objektiv keine Gefährdung“ darstellte. Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, aus welchen Gründen die Waffe nicht funktionierte und ob aufgrund des Defekts nur eine Dekorationswaffe i.S.v. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.4 zum WaffG vorlag, die mangels Funktionsfähigkeit nicht dem Waffenbegriff des § 52 Abs. 1 Nr. 2b) WaffG unterfällt. Außerdem lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, ob eine Reparatur mit allgemein gebräuchlichen Werkzeugen oder nur mit Spezialwerkzeug möglich gewesen wäre, was Relevanz für die Dauerhaftigkeit der Funktionsunfähigkeit hat.
b) Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs in Fall II. 4 a) bis c) der Urteilsgründe, auch wenn die tateinheitliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe in den Fällen II. 4 a) und b) der Urteilsgründe für sich genommen nicht zu beanstanden ist.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs hinsichtlich der Waffendelikte führt zum Wegfall der hierfür verhängten Einzelstrafe und des Gesamtstrafenausspruchs.
Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob nach dem Antrag des Generalbundesanwalts vom 12. Januar 2021 die Einzelstrafe in Fall II. 4 a) bis c) der Urteilsgründe und der Gesamtstrafenausspruch auch deswegen aufzuheben wären, weil das Landgericht die Einziehung der Waffen und der Munition in der Strafzumessung nicht strafmildernd berücksichtigt hat. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts habe das Landgericht nicht bedacht, dass dem Angeklagten mit der Einziehung der Waffen und der Munition möglicherweise ein ihm gehörender Gegenstand von erheblichem Wert entzogen worden und dies bei Festsetzung der Einzel- und der Gesamtfreiheitsstrafe zu berücksichtigen sei.
Diese Ansicht teilt der Senat nicht.
Zwar hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Maßnahme nach § 74 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar; wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies deshalb als ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege der Gesamtbetrachtung der den Täter betreffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2020 - 4 StR 214/20; vom 21. November 2018 - 4 StR 332/18, NStZ-RR 2019, 88; vom 3. Mai 2018 - 3 StR 8/18, NStZ 2018, 526; vom 5. November 2019 - 2 StR 447/19, StV 2020, 232; jeweils mwN).
Diese Rechtsprechung bezieht sich aber nur auf rechtmäßig erworbene Tatmittel mit nicht unerheblichem Wert. Demgegenüber handelt es sich bei den hier eingezogenen Waffen nebst Munition nicht um Tatmittel, sondern um Tatobjekte i.S.v. § 54 Abs. 1 WaffG. Zudem waren die Waffen und die Munition wegen § 134 BGB nicht in das Eigentum des Angeklagten gelangt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 1988 - 5 StR 394-395/87). Vermögenseinbußen durch Einziehung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte stellen keinen Strafmilderungsgrund dar, weil insoweit kein rechtlich schützenswertes Vertrauen besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2002 - 5 StR 22/02; vom 22. November 2000 - 1 StR 479/00; vom 20. Oktober 1999 - 3 StR 324/99, NStZ 2000, 137).
3. Der Ausspruch über die Einziehung der Waffen, Munition und Patronengurte hat keinen Bestand.
Die Einziehung der beiden Waffen kann nicht bestehen bleiben, weil die Aufhebung des Schuldspruchs wegen der Waffendelikte insoweit die Grundlage für eine Anordnung nach § 54 Abs. 1 WaffG entzieht. Die Einziehungsentscheidung hinsichtlich der Munition und der zwei Patronengurte ist schon deswegen aufzuheben, weil die von der Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung vorgenommene Beschränkung der Strafverfolgung hinsichtlich des unerlaubten Besitzes von Munition gemäß § 154a Abs. 1 StPO im vorliegenden Verfahren eine solche Einziehung ausschließt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2018 - 3 StR 306/18 Rn. 6).
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Sollte der Tatrichter erneut eine Verurteilung des Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz in Betracht ziehen, wird darauf hingewiesen, dass die Tatbestandsvariante des unerlaubten Ausübens der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe (§ 22a Abs. 1 Nr. 6a) KrWaffKontrG) ein Auffangtatbestand ist, der hinter den spezielleren Erscheinungsformen des unerlaubten Erwerbs und der unerlaubten Beförderung einer Kriegswaffe i.S.v. § 22a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 KrWaffKontrG zurücktritt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2014 - 4 StR 335/14, NStZ-RR 2015, 188; vom 10. März 2011 - 2 StR 49/11 Rn. 4).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 760
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner