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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1225

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 102/20, Beschluss v. 11.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1225


BGH 4 StR 102/20 - Beschluss vom 11. August 2020 (LG Frankenthal)

Urteilsgründe (revisionsgerichtliche Anforderungen; Voranstellen der Einlassung des Angeklagten; Abgrenzung zu Erörterungen von Prozesserklärungen eines Verteidigers).

§ 267 Abs. 1 Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO genügende Beweiswürdigung setzt voraus, dass die für die Überzeugung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte klar und bestimmt im Rahmen einer strukturierten, verstandesgemäß einsichtigen und auf das Wesentliche konzentrierten Darstellung nachvollziehbar niedergelegt werden. Sie soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte, für die Schuld- und die Straffrage bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind wie geschehen.

2. Dabei empfiehlt es sich regelmäßig, die Einlassung der Angeklagten in der Hauptverhandlung voranzustellen.

3. Erörterungen von Prozesserklärungen eines Verteidigers unter dem Gesichtspunkt der Einlassung eines Angeklagten sind verfehlt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 12. November 2019 im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II.2. der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil des V.) und im Gesamtstrafenausspruch jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beleidigung und falscher Verdächtigung sowie wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Strafausspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht ist von einem minder schweren Fall der Körperverletzung mit Todesfolge im Sinne des § 227 Abs. 2 StGB ausgegangen, weil die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB gegeben seien; die Angeklagte sei ohne eigene Schuld durch eine vorangegangene Provokation ihres Lebensgefährten, der ein Messer ergriffen und sie damit leicht an der Schulter verletzt habe, zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen worden. Eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 StGB hat es trotz Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit aufgrund einer Mischintoxikation von Alkohol und Amphetamin abgelehnt. Im Rahmen der insoweit erforderlichen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände sowie im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat es strafschärfend die Art der Tatausführung und die sich aus ihr ergebende „gesteigerte verbrecherische Energie der Angeklagten“ berücksichtigt und dies damit begründet, dass die Angeklagte mit Verletzungsabsicht gehandelt habe. Diese strafschärfende Erwägung steht in einem vom Revisionsgericht nicht auflösbaren Widerspruch zu den rechtsfehlerfreien Feststellungen und den sie tragenden Wertungen des Tatgerichts zu einer Provokation der Angeklagten durch den vorangegangenen Messerangriff ihres Lebensgefährten. Der Senat vermag ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler ungeachtet der maßvollen Einzelstrafe nicht auszuschließen.

Die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II.2. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

Die Abfassung der Urteilsgründe gibt Anlass zu folgenden Hinweisen:

Eine den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO genügende Beweiswürdigung setzt voraus, dass die für die Überzeugung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte klar und bestimmt im Rahmen einer strukturierten, verstandesgemäß einsichtigen und auf das Wesentliche konzentrierten Darstellung nachvollziehbar niedergelegt werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. März 2020 - 2 StR 380/19, NStZ-RR 2020, 258 mwN). Sie soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte, für die Schuld- und die Straffrage bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind wie geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2018 - 4 StR 326/18, Rn. 6).

Dabei empfiehlt es sich regelmäßig, die Einlassung der Angeklagten in der Hauptverhandlung voranzustellen. Im Hinblick auf die vom Landgericht wiedergegebenen und einer ausführlichen Würdigung unterzogenen Sachverhaltsschilderungen in den Verteidigerschriftsätzen vom 22. Mai 2019 und vom 24. Juni 2019 erscheint ungeachtet der Frage, ob ihr Inhalt zum Inbegriff der Hauptverhandlung geworden ist (vgl. § 261 StPO), zweifelhaft, ob es sich bei den darin wiedergegebenen Schilderungen tatsächlich um Sacheinlassungen der Angeklagten im Ermittlungsverfahren handelt oder - näherliegend - um eine bloße Prozesserklärung des Verteidigers, die dieser aus eigenem Recht und in eigenem Namen abgegeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2020 - 2 StR 69/19, Rn. 20). Erörterungen von Prozesserklärungen eines Verteidigers unter dem Gesichtspunkt der Einlassung eines Angeklagten sind verfehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2007 - 1 StR 385/07, NStZ-RR 2008, 21, 22).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1225

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner