HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1165
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 400/16, Beschluss v. 15.09.2016, HRRS 2016 Nr. 1165
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 20. Mai 2016 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsausführungen den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung des Angeklagten und der begangenen Straftat nicht hinreichend belegen.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der Angeklagte aufgrund eines spontanen Entschlusses maskiert einen Tankstellenüberfall, wobei er dem Geschädigten ein mitgeführtes, 30 cm langes Küchenmesser vorhielt und die Herausgabe von Geld forderte. Als der Geschädigte nicht schnell genug reagierte, griff der Angeklagte selbst in die Kasse und entnahm 435 €. Er beging die Tat, um Geld für Drogen zu erhalten, welches ihm seine Eltern zuvor verweigert hatten, und um auf seine Situation aufmerksam zu machen, die aus seiner Sicht dadurch geprägt war, dass er keinerlei Hilfen (Geld, Wohnung, Ausbildung, ärztliche Versorgung) erhielt.
Zur Krankheitsentwicklung und zum Krankheitsbild des Angeklagten ist die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen gefolgt. Danach habe sich im Laufe seines im Jahr 2010 begonnenen Studiums - neben einem die Schwelle zu einer Abhängigkeit nicht überschreitenden Missbrauch von Cannabis - schleichend eine überdauernde psychotische Störung im Sinne einer paranoiden Schizophrenie entwickelt. Die Erkrankung zeige sich in Unruhezuständen, Schlafstörungen, formalen Denkstörungen, Verfolgungs- und Größenwahn, optischen Halluzinationen, leichter Erregbarkeit und Logorrhoe und sei mit einer deutlichen Antriebssteigerung verbunden. Aufgrund eines krankheitsbedingten Impulsdurchbruchs sei der Angeklagte im Tatzeitpunkt in seiner Fähigkeit, entsprechend erhalten gebliebener Unrechtseinsicht zu handeln, mit Sicherheit erheblich eingeschränkt gewesen. Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit sei indessen angesichts seines aktiv tatvorbereitenden Verhaltens (Maskierung, Bewaffnung) auszuschließen.
b) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. April 2016 - 2 StR 80/16, juris Rn. 5; vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN). Wenn sich der Tatrichter, wie hier, darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 - 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244 mwN). Dies gilt auch in Fällen paranoider Schizophrenie. Allein die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244 mwN).
c) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation. Die Strafkammer schließt sich insoweit lediglich der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne nachvollziehbar zu begründen, wie sich die Impulskontrollstörung des Angeklagten bei der Tat ausgewirkt hat. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Tat des Angeklagten weist keine besonderen Umstände auf, die auf einen akuten Krankheitsschub oder einen damit einhergehenden Impulsdurchbruch beim Angeklagten hindeuten könnten. Vielmehr lassen es die Tatumstände, die durch eine Vorbereitung und durch situationsangemessene Reaktionen bei der Durchführung der Tat gekennzeichnet sind, sowie das festgestellte Tatmotiv des Angeklagten als ebenso möglich erscheinen, dass es sich um eine Beschaffungstat eines Cannabiskonsumenten handelt, sich die Tat mithin im Rahmen dessen hält, was bei voll schuldfähigen Personen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist. In diese Richtung könnte auch die einzige Vorahndung des Angeklagten aus dem Jahr 2014 weisen, der eine Verurteilung wegen (Waren-)Diebstählen zugrunde liegt. Mit diesen Umständen setzt sich die Strafkammer nicht auseinander, so dass der Senat nicht beurteilen kann, ob die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe bei der Tat aufgrund einer krankheitsbedingten Impulskontrollstörung im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gehandelt, rechtsfehlerfrei ist.
2. Der Senat schließt aus, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen ergeben könnten, die zu einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen würden, und lässt den Schuldspruch bestehen.
3. Auch der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Soweit das Landgericht in für das Revisionsgericht nicht nachprüfbarer Weise die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Anwendung des vertypten Strafmilderungsgrundes die Strafe dem gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert. Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen.
4. Die Sache bedarf deshalb im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen (§ 353 Abs. 2 StPO). Sollte die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf der Grundlage des § 63 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016 erneut in Betracht gezogen werden, wird hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen sein, dass die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, in der Zukunft zu „erwarten“ sein muss, womit eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 - 2 StR 393/14, JR 2015, 481, 483; Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36 ff.) angesprochen ist, die sich nicht ohne weiteres daraus ableiten lässt, dass - wie hier - der Angeklagte die Begehung entsprechender Taten angedroht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, StraFo 2008, 300 f.; vom 26. Juli 2006 - 2 StR 285/06, NStZ-RR 2006, 338 f.; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 63 Rn. 15).
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