HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 935
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 139/13, Urteil v. 17.07.2013, HRRS 2013 Nr. 935
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 27. Juni 2012 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und festgestellt, dass er verpflichtet ist, dem Nebenkläger alle aus der Tat vom 13. Dezember 2011 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind, zu ersetzen. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, beanstandet mit der Sachrüge die Verneinung des Tötungsvorsatzes sowie die fehlende Erörterung einer Strafbarkeit des Angeklagten auch wegen schwerer Körperverletzung. Das Rechtsmittel ist begründet.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte unterhielt bis August 2011 eine Beziehung zur Ehefrau des Nebenklägers. Da er sich nicht damit abfinden konnte, dass diese sich von ihm getrennt hatte, suchte er weiterhin den Kontakt und wartete häufig mit seinem PKW in der Nähe ihrer Wohnung oder ihrer Arbeitsstelle.
Am 13. Dezember 2011 unternahm der Nebenkläger gemeinsam mit seiner Tochter eine Einkaufsfahrt. Unterwegs bemerkte er, dass ihm der Angeklagte in seinem Fahrzeug folgte. Er hielt deshalb an, um ihn zur Rede zu stellen. Der Angeklagte, der spätestens jetzt erkannte, dass sich die Ehefrau des Nebenklägers nicht in dem PKW befand, setzte indes seine Fahrt fort.
Der Nebenkläger tätigte nun den geplanten Einkauf. Nach seiner Rückkehr zum Parkplatz des Einkaufsmarktes bemerkte er den dort abgestellten PKW des Angeklagten. Er trat an dessen Fahrzeug heran, klopfte an die Fensterscheibe und fragte den Angeklagten, der in seinem Fahrzeug saß, warum er ihn verfolge. Der Angeklagte antwortete unverständlich und der Nebenkläger kehrte zu seinem Fahrzeug zurück. Beim Verlassen des Parkplatzes winkte der Angeklagte dem Nebenkläger nunmehr zu, weshalb dieser sein Fahrzeug anhielt, wiederum an den PKW des Angeklagten herantrat und fragte, was er von ihm wolle. Der Angeklagte antwortete unverständlich, wobei nur das Wort "Arschloch" zu verstehen war. Der Nebenkläger wandte sich schließlich ab und ging ein paar Schritte in Richtung seines Fahrzeugs, wobei er dem Angeklagten den Rücken zukehrte. In diesem Moment stieg der Angeklagte schnell aus seinem Fahrzeug aus und ließ die fingerlange Klinge seines am Schlüsselbund befestigten Springmessers durch Knopfdruck hervor schnellen. Er packte mit einer Hand die linke Schulter des Nebenklägers, zog ihn zu sich herum und stach ihm wuchtig ca. vier bis fünf Zentimeter tief in den Bauch. Der Nebenkläger schlug daraufhin auf den Angeklagten ein und drückte ihn gegen dessen Auto. Während des entstehenden Gerangels versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger eine oberflächliche Stichwunde im Nackenbereich sowie einen tiefgehenden Stich im Bereich der linken Achselhöhle, der in den Brustkorb eindrang und dort einen konkret lebensgefährlichen Pneumothorax verursachte. Da die Tochter des Nebenklägers laut nach ihrem Vater rief, ließ dieser den Angeklagten los und wandte sich seiner Tochter zu. In diesem Moment versetzte ihm der Angeklagte einen quer durch das Gesicht geführten mindestens acht Zentimeter langen Schnitt. Der Angeklagte handelte zumindest bei dem Bauchstich und dem Schnitt ins Gesicht aus Wut und dem Wunsch, den Nebenkläger für die vom ihm selbst gefühlte Unterlegenheit büßen zu lassen; nicht aber, um ihn zu töten.
Der Nebenkläger, der die Schwere seiner Verletzungen nicht bemerkt hatte, schlug nochmals hart auf den Angeklagten ein und entfernte sich. Er befand sich aufgrund seiner Verletzungen elf Tage in stationärer Behandlung und war anschließend rund drei Monate arbeitsunfähig. Die zickzackförmig verlaufende Schnittverletzung im Gesicht ist unter Verbleib einer deutlich sichtbaren, acht Zentimeter langen Narbe verheilt, die am linken Mundwinkel beginnt und bogenförmig nach unten zum Kieferwinkel verläuft.
2. Das Landgericht hat den Schuldspruch auf § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützt. Es hat sich nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte auch nur mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte. Zwar sei das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes jedenfalls bei dem Bauchstich gegeben. In der Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner psychischen Verfassung im Tatzeitpunkt und seiner Motivation hat die Strafkammer keinen so starken Handlungsantrieb erkennen können, der den Rückschluss auf eine Bereitschaft des Angeklagten zur Inkaufnahme schwerster Folgen erlaube.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist begründet.
1. Die Beweiserwägungen, mit denen das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz abgelehnt hat, halten auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07; Urteil vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 - 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534).
Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.
b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht. Zwar ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen, dass die in den Bauch und den Brustkorb des Nebenklägers ausgeführten Messerstiche als jeweils äußerst gefährliche Gewalthandlung einen bedingten Tötungsvorsatz nahe legen. Die sich anschließende Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, im Rahmen derer die Strafkammer maßgeblich auf eine besondere Erregung des Angeklagten als Indiz gegen die Annahme des voluntativen Vorsatzelements abgestellt hat, bleibt indes lückenhaft, weil nicht mit konkreten Feststellungen belegt.
Zwar ist anerkannt, dass insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 mwN; Urteil vom 17. Dezember 2009 - 4 StR 424/09, NStZ 2010, 571, 572; Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144). Das Landgericht hat aber erkennbar nicht bedacht, dass es sich bei einem spontanen Handeln in affektiver Erregung um ein ambivalentes Beweisanzeichen handelt, das, je nachdem, wie das Tatgericht es im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 - 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Urteil vom 16. Mai 2013- 3 StR 45/13; vgl. auch Urteil vom 24. Februar 2010 - 2 StR 577/09, NStZ-RR 2010, 214, 215). Zwar ist eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f. mwN; BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13). Der Tatrichter ist indes nicht davon befreit, basierend auf konkreten Feststellungen zu den objektiven und subjektiven Umständen der Tat erkennen zu lassen, warum er einem ambivalenten Beweiszeichen überhaupt eine indizielle Bedeutung in eine Richtung zumisst.
Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht, denn Auswirkungen der festgestellten besonderen Erregung auf das Willenselement des bedingten Vorsatzes werden nicht dargestellt und liegen auch nicht auf der Hand. Die Strafkammer hat insoweit lediglich ausgeführt, der Angeklagte sei wegen der Konkurrenzsituation zum Nebenkläger infolge der von ihm immer noch nicht überwundenen Liebesbeziehung "besonders erregt" gewesen; entsprechend habe er noch in der Hauptverhandlung seine ihn immer noch beherrschende, unerfüllte Liebe teils unter Tränen beklagt (UA S. 23). Inwiefern aber eine solche, ganz offenkundig dauerhaft bestehende besondere Erregung bei dem Angeklagten vorliegend überhaupt Schlüsse darauf zulässt, weshalb er trotz erkannter Lebensgefährlichkeit seines gezielt gesetzten Bauchstichs ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben konnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, lassen diese Erörterungen nicht erkennen. Dies erschließt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.
Offen bleibt insbesondere schon der Grad seiner besonderen Erregung. In den Feststellungen findet sich insoweit einzig der Hinweis, der Angeklagte habe zumindest bei dem Stich in den Bauch und dem Schnitt ins Gesicht aus Wut und dem Wunsch, den Nebenkläger für die von ihm selbst gefühlte Unterlegenheit büßen zu lassen, gehandelt.
Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch. Ein Rücktritt vom - möglicherweise - versuchten Tötungsdelikt kommt nach den bisherigen Feststellungen nicht in Betracht. Voraussetzung für eine dahin gehende Beurteilung wären insbesondere nähere Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten, die das Landgericht - aus seiner Sicht konsequent -nicht getroffen hat.
2. Die Staatsanwaltschaft beanstandet darüber hinaus zu Recht, dass das Landgericht den Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft hat. Angesichts des Umstands, dass im Gesicht des Nebenklägers eine deutlich sichtbare Narbe verblieben ist, die immerhin acht Zentimeter bemisst, musste sich das Gericht zur Erörterung der Frage gedrängt sehen, ob der Nebenkläger durch die Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher Weise dauernd entstellt wurde. Erheblich ist eine Entstellung zwar nur dann, wenn sie zumindest dem Gewicht der geringsten Fälle nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt (BGH, Beschluss vom 2. Mai 2007 - 3 StR 126/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1). Dies kann jedoch im Einzelfall bei besonders großen oder markanten Narben der Fall sein (BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2); insbesondere aber auch bei verunstaltenden Narben im Gesicht eines Opfers (BGH, Urteil vom 8. November 1966 - 1 StR 450/66, NJW 1967, 297; Beschluss vom 11. Juli 2006 - 3 StR 183/06, NStZ 2006, 686; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 185/07, NStZ 2008, 32). Ob die Qualifikation der Tat hier auf das äußere Verletzungsbild des Nebenklägers zutrifft, kann anhand der Urteilsgründe nicht nachgeprüft werden. Das Landgericht hat insoweit keine zur Charakterisierung der Narben ausreichenden Feststellungen getroffen. Auch eine Bezugnahme auf Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zur Ergänzung der textlichen Tatsachenfeststellungen ist nicht erfolgt. Der neue Tatrichter wird daher diese Feststellungen nachzuholen und sodann rechtlich zu beurteilen haben, ob von einer dauernden und erheblichen Entstellung des Nebenklägers auszugehen ist.
3. Die aufgezeigten Mängel zwingen zur Aufhebung der rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung, weil ein versuchtes Tötungsdelikt wie auch eine schwere Körperverletzung, jedenfalls soweit auch eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB vorliegt, hierzu in Tateinheit stünden.
Die Adhäsionsentscheidung ist von der Aufhebung auszunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96; Urteil vom 8. April 2009 - 5 StR 65/09; Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl. § 406a Rn. 8).
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 935
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 343
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel