HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1388
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 158/24, Beschluss v. 11.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1388
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 6. November 2023, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass er der Beihilfe zum Bandenhandel mit Cannabis in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit Besitz von Cannabis schuldig ist;
b) im Strafausspruch aufgehoben; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Dagegen wendet er sich mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erklärte sich der Angeklagte gegenüber wenigstens drei anderen Personen dazu bereit, sich künftig dergestalt an einem auf Dauer angelegten internationalen Marihuanahandel zu beteiligen, dass er beim Verpacken der Drogen in einer Lagerhalle in M. hilft und sie an Abnehmer im süddeutschen Raum ausliefert. In Ausführung dieser Abrede sorgten andere Mitglieder der Gruppe Ende Oktober 2022 (Fall 10 unter II. der Urteilsgründe), Anfang Februar (Fall 11 unter II. der Urteilsgründe) und Mitte März 2023 (Fall 12 unter II. der Urteilsgründe) für Marihuanaanlieferungen aus Spanien an der Halle. Jeweils auf Weisung seiner Komplizen portionierte und verpackte der Angeklagte die Betäubungsmittel im ersten Fall und lieferte sie in allen drei Fällen mit einem von ihm geführten Fahrzeug aus: In Fall 10 transportierte er insgesamt 137 Kilogramm mit einem Wirkstoffgehalt von 14,248 Kilogramm THC zu verschiedenen Kunden, in Fall 11 knapp 21,9 Kilogramm mit mindestens 3,414 Kilogramm THC und in Fall 12 knapp 25 Kilogramm Marihuana (mindestens 3,8 Kilogramm THC) und etwa 5 Kilogramm Haschisch (mindestens 1,395 Kilogramm THC) aus einem in der Halle lagernden Bestand von gut 137 Kilogramm Marihuana (17,27 Kilogramm THC) und etwa 76 Kilogramm Haschisch (21,81 Kilogramm THC), wobei der Angeklagte im letzten Fall auf der Fahrt von der Polizei gestoppt und die Betäubungsmittel insgesamt sichergestellt wurden.
2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuld- und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
a) Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil der Umgang mit Marihuana seit dem 1. April 2024 gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO dem Konsumcannabisgesetz (KCanG, BGBl. 2024 I Nr. 109) unterfällt (vgl. § 1 Nr. 4 KCanG) und die neue Rechtslage bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. mwN; vom 10. August 2023 - 3 StR 412/22, NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 327) für den Angeklagten günstiger als die nach dem Tatzeitrecht ist.
aa) Was den Bandenhandel mit Cannabis in nicht geringer Menge anbelangt, mithin ab einem Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm THC (s. BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, NJW 2024, 1968 Rn. 7 ff.; vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216; vom 30. April 2024 - 6 StR 164/24, juris Rn. 6; vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 8), ordnet § 34 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 KCanG die Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren an, in minder schweren Fällen einer solchen von drei Monaten bis zu fünf Jahren. § 30a Abs. 1 BtMG sieht für den Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vor, in minder schweren Fällen einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 30a Abs. 3 BtMG). Geht es - wie hier - um Beihilfe mit der nach § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB obligatorischen Strafmilderung, ist der mögliche minder schwere Fall des § 30a Abs. 3 BtMG hinsichtlich der Strafobergrenze günstiger als der nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Regelstrafrahmen des § 34 Abs. 4 KCanG (zehn Jahre statt elf Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe). Das Landgericht hat indes einen minder schweren Fall bei allen drei Taten verneint und den Strafrahmen des § 30a Abs. 1 BtMG nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert, so dass sich eine Untergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe sowie eine Obergrenze von elf Jahren und drei Monaten ergeben hat. Im Vergleich hierzu sind sowohl der nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Regelstrafrahmen des § 34 Abs. 4 KCanG als auch der minder schwere Fall des Bandenhandels mit Cannabis nach der neuen Rechtslage für den Angeklagten günstiger. Die drei Taten sind deshalb nunmehr als Beihilfe zum Bandenhandel mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG, § 27 Abs. 1 StGB zu bewerten. Der Kennzeichnung des Handelsgegenstandes als nicht geringe Menge in der Entscheidungsformel bedarf es nicht, weil sich die bandenmäßige Tatbegehung im Sinne des Konsumcannabisgesetzes - anders als nach dem Betäubungsmittelgesetz (vgl. § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 30a Abs. 1 BtMG) - stets auf eine solche Wirkstoffmenge bezieht.
bb) Tateinheitlich hierzu besaß der Angeklagte jeweils Cannabis im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KCanG; denn er hatte während der Auslieferungsfahrten die faktische Sachherrschaft über den die straflose Menge übersteigenden Marihuanaanteil (s. zu diesem Erfordernis etwa BGH, Urteil vom 18. November 2021 - 3 StR 131/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Besitz 9 Rn. 9 mwN). Auch insoweit ist das neue Recht milder.
cc) Andere Tatbestandsvarianten des § 34 Abs. 1 KCanG erfüllt der bloße Cannabiskurier nicht. Er nimmt die Betäubungsmittel insbesondere weder entgegen, noch gibt er sie ab.
Die Straftatbestände des § 34 KCanG sind grundsätzlich so zu verstehen wie ihre Entsprechungen im Betäubungsmittelgesetz (s. BT-Drucks. 20/8704, S. 130, 132; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 324 f.). Insbesondere aus dem Konsumcannabisgesetz selbst und den ihm zugrundliegenden Gesetzesmaterialien kann sich ausnahmsweise Abweichendes ergeben. Der Erwerb im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 12 Variante 1 KCanG ist danach das entgeltliche Erlangen mit Einverständnis des Vorbesitzers (vor allem durch Kauf), die - im Betäubungsmittelstrafrecht ebenfalls dem Erwerb unterfallende - Entgegennahme nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 Variante 2 KCanG das unentgeltliche Erlangen mit Einverständnis des Vorbesitzers (z.B. durch Schenkung) und das Sichverschaffen im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 11 KCanG weitergehend - dem Sichverschaffen in sonstiger Weise im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG entsprechend - das Erlangen ohne Einverständnis des Vorbesitzers (etwa durch Diebstahl oder Fund; s. Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 959 ff., § 34 KCanG Rn. 161). Die Abgabe nach § 34 Abs. 1 Nr. 7 Variante 1 KCanG meint die unentgeltliche Besitzverschaffung an einen anderen, die Weitergabe des § 34 Abs. 1 Nr. 7 Variante 2 KCanG die Übergabe an ihn im Sinne der §§ 11 ff. KCanG. Das sonstige Inverkehrbringen nach § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG umfasst als Auffangtatbestand jedes Eröffnen der Möglichkeit, dass ein anderer die Drogen erlangt und sie verwenden kann (BayObLG, Beschluss vom 8. April 2024 - 203 StRR 39/24, NJW 2024, 2126 Rn. 12 f.; vgl. insgesamt BT-Drucks. 20/8704, S. 94).
Eine Verurteilung wegen Erwerbs, Entgegennahme, Sichverschaffens, Abgabe und sonstigen Inverkehrbringens nach § 34 Abs. 1 KCanG kommt nur in Betracht, wenn kein täterschaftliches Handeltreiben vorliegt, in dem die Tatbestände anderenfalls aufgehen. Sie setzen aber - auch insoweit ihrem Verständnis im Betäubungsmittelgesetz entsprechend - eigene Verfügungsmacht über die Drogen voraus. Eine Abgabe liegt deshalb nur dann vor, wenn der Entäußerer die eigene tatsächliche Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel überträgt; Erwerb und Entgegennahme setzen spiegelbildlich voraus, dass der Empfänger die freie Verfügungsmacht über die Drogen erlangt. Tritt jemand nur als Bote oder Besitzdiener eines Dritten auf, „darf“ er also im Innenverhältnis zu diesem Dritten mit den Betäubungsmitteln nicht nach eigenem Belieben verfahren und maßt er sich die Verfügungsgewalt nicht aus eigenem Willensentschluss an, sind die genannten Tatbestände bei ihm nicht gegeben (st. Rspr. zum BtMG; vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. März 2002 - 3 StR 469/01, juris Rn. 2; vom 17. Oktober 2006 - 3 StR 381/06, juris Rn. 1; Urteil vom 13. August 2009 - 3 StR 224/09, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Sichverschaffen 2 Rn. 9; Beschlüsse vom 14. April 2015 - 5 StR 109/15, NStZ-RR 2015, 218; vom 8. Februar 2017 - 5 StR 561/16, StV 2017, 286; Urteil vom 17. Januar 2018 - 2 StR 180/17, NStZ-RR 2018, 146, 148; Beschluss vom 25. April 2018 - 1 StR 136/18, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Abgabe 2 Rn. 5; Urteil vom 18. November 2020 - 2 StR 317/19, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Abgabe 4 Rn. 27; Beschlüsse vom 8. Februar 2022 - 3 StR 458/21, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Verbraucherüberlassung 1 Rn. 7 f.; vom 5. Dezember 2023 - 4 StR 318/23, juris Rn. 3; vom 30. Januar 2024 - 5 StR 607/23, NStZ-RR 2024, 151, 152; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 829 ff., 838 f., 867, 887 f., 959 f.; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1069, 1117 ff., 1197 ff.).
So liegt es im Regelfall - wie auch hier - beim Kurier. Er verfügt im Innenverhältnis zu seinem Auftraggeber nicht frei über das Cannabis. Deshalb erfüllt er bei dessen Transport ebenso wie bei demjenigen anderer Betäubungsmittel nur den Tatbestand des Besitzes (vgl. für den Cannabiskurier nach dem KCanG BGH, Beschlüsse vom 29. April 2024 - 6 StR 102/24, juris; vom 21. Mai 2024 - 5 StR 53/24, juris Rn. 3; für den Cannabisbunkerhalter BGH, Beschluss vom 6. Mai 2024 - 5 StR 550/23, juris Rn. 9).
dd) § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der weitgehend geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
b) Der Strafausspruch ist bereits angesichts der nunmehr milderen Strafandrohung aufzuheben. Die getroffenen Feststellungen bleiben von dem Aufhebungsgrund unberührt (§ 353 Abs. 2 StPO).
Das neue Tatgericht wird - anders als bisher geschehen - zu prüfen haben, ob unter ergänzender Berücksichtigung des gesetzlich vertypten Milderungsgrunds der Beihilfe jeweils ein minder schwerer Fall des Bandenhandels (§ 34 Abs. 4 KCanG) in Betracht kommt (s. zur gebotenen Prüfungsreihenfolge etwa BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2024 - 5 StR 451/23, juris Rn. 5, und - 5 StR 506/23, juris Rn. 9, jeweils mwN). Außerdem wird zu beachten sein, dass die fehlende Sicherstellung der Drogen keinen Strafschärfungsgrund darstellt (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 - 2 StR 444/21, juris Rn. 5 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1388
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede