hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 851

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 121/24, Beschluss v. 14.05.2024, HRRS 2024 Nr. 851


BGH 3 StR 121/24 - Beschluss vom 14. Mai 2024 (LG Kleve)

Unzulässige Würdigung des Schweigens des Angeklagten (Schweigerecht; Selbstbelastungsfreiheit; faires Verfahren; anfängliches Schweigen); Verschlechterungsverbot (Schuldspruchänderung zum Nachteil des Angeklagten); Raub und räuberische Erpressung (Abgrenzung; tateinheitliches Zusammentreffen).

§ 249 StGB; § 255 StGB; § 136 Abs. 1 S. 2 StPO; § 358 Abs. 2 StPO; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Um das Schweigerecht des Angeklagten als elementarer Bestandteil eines fairen Verfahrens nicht zu entwerten, dürfen weder aus einem durchgängigen noch einem anfänglichen Schweigen eines Angeklagten für diesen nachteilige Schlüsse gezogen werden.

2. Raub und räuberische Erpressung sind nach dem äußeren Erscheinungsbild des Tatgeschehens abzugrenzen, und zwar danach, ob der Täter dem Opfer die betreffende Sache unter Anwendung beziehungsweise Androhung körperlicher Gewalt wegnimmt (Raub) oder das Opfer sie ihm eingedenk der Gewaltanwendung beziehungsweise -androhung herausgibt (räuberische Erpressung).

3. Raub und räuberische Erpressung können tateinheitlich zusammentreffen, wenn die Wegnahme auf ein anderes Tatobjekt gerichtet ist als die Herausgabe eines Vermögensbestandteils.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve, auswärtige Strafkammer in Moers, vom 4. Dezember 2023 wird verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Raub und mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten der „gemeinschaftlichen“ räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und gegen ihn eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verhängt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO), führt allerdings zu einer Änderung des Schuldspruchs.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hielt sich der dem örtlichen Drogenmilieu zugehörige Angeklagte zusammen mit einem Mitangeklagten und einer nicht identifizierten dritten Person am Nachmittag des 24. Februar 2023 an einem Busbahnhof in M. auf. Die drei Personen entschieden sich, gemeinsam den dort wartenden Nebenkläger, der Heroin im Wert von etwa 25 € und eine geringe Menge Bargeld mit sich führte, körperlich anzugreifen und zur Herausgabe beziehungsweise Duldung einer Wegnahme von Betäubungsmitteln und Bargeld zu veranlassen. Der Angeklagte und der Dritte traten absprachegemäß von vorne an den Nebenkläger heran und forderten ihn auf, alles herauszugeben, was er bei sich habe. Dieser Forderung verliehen sie Nachdruck, indem sie ihn beide mehrfach mit der flachen Hand in das Gesicht schlugen. Der Mitangeklagte hatte sich im Rücken des Geschädigten positioniert. Als der Nebenkläger sich umdrehte, um die Möglichkeit einer Flucht zu prüfen, nahm er den Mitangeklagten wahr. Dieser sagte zu ihm, um der Herausgabeforderung Nachdruck zu verleihen, „Wegrennen“ bringe nichts. Daraufhin händigte der Nebenkläger dem Angeklagten oder dem Dritten das mitgeführte Heroin aus. Gleichzeitig griff der Angeklagte oder der Dritte in eine Brusttasche des Nebenklägers und entnahm das darin befindliche Bargeld in Höhe von mindestens 25 €; der Geschädigte ließ dies unter dem Eindruck der Gewaltanwendung geschehen. Sodann wandten sich der Angeklagte, der Mitangeklagte und der Dritte zunächst von ihrem Opfer ab.

Als eine in direkter Nähe befindliche Zeugin, die das gesamte Geschehen beobachtet hatte, den Nebenkläger fragte, ob er Hilfe brauche, gingen der Angeklagte und der Dritte erneut zu ihm und forderten ihn auf „abzuhauen“. Sodann schlugen sie unvermittelt mit Fäusten mehrfach in sein Gesicht. Nachdem der Geschädigte dadurch zu Fall gekommen war, trat einer der beiden ihm mindestens einmal kräftig in das Gesicht.

Der Mitangeklagte registrierte, dass die Zeugin ihr Mobiltelefon hervorholte, um die Polizei zu verständigen. Er forderte daher den Angeklagten und den Dritten auf, zu fliehen. Alle drei verließen sodann den Busbahnhof.

Der Nebenkläger erlitt eine Fraktur des Mittelgesichtsknochens und verlor drei vordere Zähne. Er musste operativ versorgt und stationär in einem Krankenhaus behandelt werden.

II.

1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Die Beweiswürdigung hält im Ergebnis der revisionsrechtlichen Kontrolle stand.

Zwar ist die Erwägung der Strafkammer unzulässig, die auf eine Notwehrlage abzielende Einlassung des Angeklagten sei auch deshalb nicht glaubhaft, weil er sich ungeachtet der zu diesem Zeitpunkt bereits mehrmonatigen Untersuchungshaft erst - unter anderem mit diesem Vorbringen - in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen habe. Denn um das Schweigerecht des Angeklagten als elementarer Bestandteil eines fairen Verfahrens nicht zu entwerten, dürfen weder aus einem durchgängigen noch einem anfänglichen Schweigen eines Angeklagten für diesen nachteilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. März 2021 - 3 StR 68/21, juris Rn. 11; vom 5. Juli 2018 - 1 StR 42/18, NStZ-RR 2018, 286, 287; vom 13. Oktober 2015 - 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220, 221).

Hierauf beruht das Urteil jedoch nicht. Angesichts der übrigen Beweisergebnisse, insbesondere der den Tatablauf betreffenden und miteinander korrespondierenden Bekundungen des Nebenklägers und der unbeteiligten Tatzeugin, ist auszuschließen, dass die Strafkammer ohne diese Erwägung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

2. Der Schuldspruch erfährt allerdings auf einen hierauf gerichteten Antrag des Generalbundesanwalts in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO in zweierlei Hinsicht eine Änderung:

a) Der Angeklagte hat sich auf der Basis der vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht nur wegen räuberischer Erpressung gemäß § 253 Abs. 1 und 2, §§ 255, 249 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB sowie tateinheitlich (§ 52 StGB) wegen gefährlicher Körperverletzung in den Varianten der gemeinschaftlichen Tatbegehung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB strafbar gemacht.

Vielmehr ist er auch - in weiterer Tateinheit - des Raubes gemäß § 249 Abs. 1 StGB schuldig. Denn er veranlasste nicht nur das Tatopfer durch die Gewaltanwendung, das mitgeführte Heroin herauszugeben, sondern nahm ihm - gemeinschaftlich mit dem Dritten agierend - zudem unter Einsatz körperlicher Gewalt Bargeld ab. Raub und räuberische Erpressung sind nach dem äußeren Erscheinungsbild des Tatgeschehens abzugrenzen, und zwar danach, ob der Täter dem Opfer die betreffende Sache unter Anwendung beziehungsweise Androhung körperlicher Gewalt wegnimmt (Raub) oder das Opfer sie ihm eingedenk der Gewaltanwendung beziehungsweise -androhung herausgibt (räuberische Erpressung) (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. August 2021 - 3 StR 474/20, juris Rn. 12; Beschluss vom 24. April 2018 - 5 StR 606/17, juris Rn. 13; Urteil vom 22. Oktober 2009 - 3 StR 372/09, NStZ-RR 2010, 46, 48). Die Wegnahme des Bargelds erfüllt mithin den Tatbestand des Raubes. Da es sich bei dem Geld um ein anderes Tatobjekt als das vom Opfer hergegebene Heroin handelt, tritt der Tatbestand des Raubes tateinheitlich zu dem der räuberischen Erpressung hinzu (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 402/10, NStZ 2011, 519, 520; Beschluss vom 12. August 1992 - 3 StR 358/92, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 3; Urteil vom 22. September 1983 - 4 StR 376/83, BGHSt 32, 88, 92 f.; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 255 Rn. 3; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 255 Rn. 9; MüKoStGB/Sander, 4. Aufl., § 249 Rn. 43).

Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO erstreckt sich auf eine Schuldspruchänderung zum Nachteil des Angeklagten nicht (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2023 - 3 StR 306/22, juris Rn. 66; Beschlüsse vom 28. Juni 2023 - 3 StR 123/23, juris Rn. 28; vom 8. Dezember 2021 - 3 StR 308/21, NStZ-RR 2022, 108; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 358 Rn. 18). Auch § 265 StPO steht ihr nicht entgegen, weil sich der Angeklagte insofern nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Ferner bedarf es keiner Kennzeichnung der mittäterschaftlichen Tatbegehung in der Urteilsformel (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - 3 StR 306/20, juris Rn. 2; MüKoStPO/Maier, 2. Aufl., § 260 Rn. 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 260 Rn. 24). Der Senat lässt daher die Bezeichnung der räuberischen Erpressung als „gemeinschaftlich“ entfallen.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 851

Bearbeiter: Fabian Afshar