HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 308
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 424/23, Beschluss v. 19.12.2023, HRRS 2024 Nr. 308
1. Dem Angeklagten H. wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 1. Juni 2023 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte H. .
2. Auf die Revisionen der Angeklagten sowie - zu a) - der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) in Bezug auf den Angeklagten A. im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit Ausnahme der angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen,
b) in Bezug auf den Angeklagten B. im Ausspruch über die Sperrfrist und die Einziehung,
c) in Bezug auf den Angeklagten H. im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Sperrfrist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten A. des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie die Angeklagten B. und H. jeweils der Beihilfe zum Raub schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten A. zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten unter Einbeziehung von Entscheidungen des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 14. September 2020, des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 12. März 2021 sowie des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 16. März 2022 verurteilt, die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und die in einbezogenen Entscheidungen angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis, die Sperrfrist sowie ein Fahrverbot aufrechterhalten, „soweit auch diese noch nicht erledigt sind“. Ferner hat es gegen ihn die Einziehung „von Wertersatz“ in Höhe von 18.000 € angeordnet. Den Angeklagten B. hat es unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus Urteilen des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 5. Juli 2019 (in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 14. Februar 2020) und vom 1. Juli 2020 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, „wobei die isolierte Sperrfrist aus dem Urteil vom 05.07.2019 und die Einziehungsentscheidung aus dem Urteil vom 01.07.2020 aufrechterhalten bleiben, soweit sie nicht erledigt sind“. Gegen den Angeklagten H. hat es unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Moers vom 8. Juni 2021 eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt sowie eine isolierte Sperrfrist aufrechterhalten, „soweit sie nicht erledigt ist“.
Die Angeklagten beanstanden mit ihren Revisionen die Verletzung materiellen und - die Angeklagten A. sowie B. - formellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision allein gegen den den Angeklagten A. betreffenden Strafausspruch. Diese Revision hat insgesamt Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Dem Angeklagten H. ist antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren (§ 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO).
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die den Angeklagten A. betreffende Rechtsfolgenentscheidung mit Ausnahme der gegen ihn angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen beschränkt. Soweit die Staatsanwaltschaft eine weitergehende Begrenzung des Rechtsmittels allein auf den Strafausspruch erklärt hat, ist diese unwirksam.
Die Rechtswirksamkeit einer Revisionsbeschränkung setzt voraus, dass die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils - losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil - rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden können, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen. Zudem muss gewährleistet sein, dass die nach Teilanfechtung stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (s. etwa BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 - 3 StR 295/22, juris Rn. 9 mwN). Hieran gemessen besteht zwischen der Einheitsjugendstrafe und den aufrechterhaltenen Maßregeln der Besserung und Sicherung ein solcher Zusammenhang, dass beide nicht unabhängig voneinander beurteilt werden können. Da die Staatsanwaltschaft die Einbeziehung der Urteile vom 14. September 2020 und 16. März 2022 für rechtsfehlerhaft hält, wirkt sich dies nicht allein auf die Strafe, sondern zugleich auf die Entscheidung über die Aufrechterhaltung sonstiger Rechtsfolgen aus den einbezogenen Urteilen aus.
3. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat in Bezug auf die Schuldsprüche keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Die getroffenen Feststellungen sind durch die Beweiswürdigung belegt und tragen die rechtliche Bewertung des Landgerichts. Wie vom Generalbundesanwalt näher ausgeführt, hat es jeweils mögliche Schlüsse gezogen. Soweit die Angeklagten A. und B. im Übrigen Verfahrensrügen erhoben haben, genügen diese nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
4. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten A. ist der diesen betreffende Rechtsfolgenausspruch mit Ausnahme der Einziehung des Wertes von Taterträgen aufzuheben; denn das Landgericht hat die Urteile des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 14. September 2020 und 16. März 2022 einbezogen, obschon diese bereits in ein anderes, noch nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 28. November 2022 einbezogen waren. Danach ist die Einbeziehung in das hiesige Urteil (§ 31 Abs. 2 Satz 1, § 105 Abs. 1 JGG) unzulässig. Ebenso wie im Erwachsenenstrafrecht Strafen nicht mehr in eine Gesamtstrafe einbezogen werden dürfen, wenn sie bereits zur Bildung einer anderen noch nicht rechtskräftigen Gesamtstrafe gedient haben (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1965 - 2 StR 387/65, BGHSt 20, 292; Beschluss vom 11. April 2018 - 2 StR 11/18, juris Rn. 5), ist im Jugendstrafrecht die Einbeziehung früherer, bereits in ein anderes, noch nicht rechtskräftiges Urteil eingeflossener Entscheidungen ausgeschlossen. Eine nachträgliche Entscheidung nach § 66 JGG ist nicht geeignet, der Gefahr einer Doppelbestrafung sicher zu begegnen (s. insgesamt BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - 4 StR 412/02, BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 11; vgl. auch Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Aufl., § 31 Rn. 16a; Ostendorf, JGG, 11. Aufl., § 31 Rn. 9a; Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl., § 31 Rn. 23; BeckOK JGG/Schlehofer, 31. Ed., § 31 Rn. 20.2). Die vom Landgericht angestellten Erwägungen ändern allesamt nichts daran, dass im Falle der Einbeziehung in zwei unabhängig voneinander bestehende Urteile nicht auszuschließen ist, dass ein abgeurteiltes Geschehen letztlich mehrfach geahndet wird.
Die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs betrifft auch die zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO), insbesondere zu den Einzelheiten des anderweitig einbeziehenden Urteils vom 28. November 2022. Allerdings kann der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen bestehen bleiben, da er mit den übrigen Rechtsfolgen nicht in Zusammenhang steht, sondern unabhängig davon gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB, § 2 Abs. 2 JGG anzuordnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2021 - GSSt 2/20, BGHSt 65, 242).
Über die Revision der Staatsanwaltschaft kann gemäß § 349 Abs. 4 StPO durch Beschluss entschieden werden. Unabhängig davon, dass die Beschwerdeführerin das Rechtsmittel zunächst als zu Lasten des Angeklagten bezeichnet hat, ist es nach dem Gesamtinhalt der Willensäußerungen tatsächlich zu seinen Gunsten eingelegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 1952 - 2 StR 3/52, BGHSt 2, 41, 43; vom 12. Januar 2022 - 3 StR 448/21, juris Rn. 4). Ausweislich der Revisionsbegründung soll gerade eine Doppelbestrafung des Angeklagten durch eine zweifache Einbeziehung derselben Entscheidungen vermieden werden.
5. Die Bemessung der gegen den Angeklagten B. verhängten Gesamtstrafe enthält keinen diesen belastenden Rechtsfehler. Indes kann die Aufrechterhaltung der isolierten Sperrfrist und der Einziehungsentscheidung aus anderen Urteilen keinen Bestand haben, da der Tenor des angefochtenen Urteils unklar ist. Die Urteilsformel hat insofern keinen vollstreckungsfähigen Inhalt, als die Aufrechterhaltung der Sperrfrist und Einziehungsentscheidung unter den Vorbehalt gestellt wird, dass sie nicht erledigt sind. Die Prüfung, ob eine Erledigung eingetreten ist, ist Sache des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 1996 - 1 StR 197/96, NStZ 1996, 433) und kann nicht dem Vollstreckungsorgan überlassen werden. Im Übrigen ist der Inhalt der aufrechterhaltenen Einziehungsentscheidung weder dem Tenor noch den Urteilsgründen zu entnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1979 - 4 StR 87/79, NJW 1979, 2113, 2114; Beschluss vom 15. Mai 1996 - 1 StR 197/96, NStZ 1996, 433). Daher scheidet hier eine etwaige Änderung der unzureichenden Aussprüche durch den Senat aus.
6. Die Revision des Angeklagten H. hat lediglich einen Rechtsfehler zu seinen Lasten bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung ergeben.
a) Nach der hiesigen Tat verurteilte das Amtsgericht Duisburg den Angeklagten H. am 7. Januar 2021, rechtskräftig seit dem 2. Februar 2021, wegen Betruges zu einer - zwischenzeitlich erledigten - Geldstrafe. Am 8. Juni 2021, rechtskräftig seit dem 16. Juni 2021, verurteilte ihn das Amtsgericht Moers wegen einer am 6. September 2019 begangenen fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und ordnete eine Sperre bis zum 15. Juni 2026 an. Die Bewährungszeit ist noch nicht abgelaufen.
b) Die Urteilsgründe ermöglichen nicht die Prüfung, ob das Landgericht zurecht lediglich eine Gesamtfreiheitsstrafe mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Moers gebildet hat oder ob auch die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Duisburg einzubeziehen gewesen wäre; denn der Zeitpunkt, zu dem die Strafe aus diesem Urteil erledigt war, wird nicht mitgeteilt. Auf dessen Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt des Urteils des Amtsgerichts Moers kommt es jedoch für die Gesamtstrafenlage an. Falls die Geldstrafe damals noch nicht erledigt gewesen sein sollte, sind die Strafen aus den beiden Verurteilungen untereinander und mit der hiesigen Einzelstrafe gesamtstrafenfähig. Eine erst spätere Erledigung der Geldstrafe ist - wie im Rahmen des § 460 StPO - unerheblich (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2023 - 4 StR 183/23, NStZ-RR 2023, 275, 276 mwN).
c) Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte H. durch die unterbliebene Gesamtstrafenbildung beschwert ist. So wären bei einer Einbeziehung auch der Geldstrafe die vollstreckten Tagessätze gemäß § 51 Abs. 2, 4 Satz 1 StGB auf die verhängte Gesamtstrafe anzurechnen, was den Angeklagten insgesamt besserstellen könnte (s. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2023 - 4 StR 183/23, NStZ-RR 2023, 275, 276 mwN; BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2312/17, StV 2018, 350, 352). Danach bedarf die Gesamtstrafenbildung einer neuen tatgerichtlichen Entscheidung. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landgericht wiederum in nicht vollstreckungsfähiger Weise tenoriert hat, die Sperrfrist bleibe aufrechterhalten, „soweit sie nicht erledigt ist
“.HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 308
Bearbeiter: Fabian Afshar