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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1077

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 193/21, Beschluss v. 24.08.2021, HRRS 2021 Nr. 1077


BGH 3 StR 193/21 - Beschluss vom 24. August 2021 (LG Mönchengladbach)

Öffentlichkeitsmaxime (fehlerhafte Hinweise zu Terminen auf Internetseite des Gerichts; Terminsrolle am Sitzungssaal); sexueller Missbrauch von Kindern (minder schwerer Fall; Doppelverwertungsverbot).

§ 169 GVG; § 176 StGB; § 176a StGB; § 46 Abs. 3 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Fehlerhafte Hinweise zu den an einem Tag stattfindender Sitzungstermine auf der Website eines Landgerichts begründen regelmäßig keinen Verstoß gegen die Öffentlichkeitsmaxime nach § 169 GVG, da die Möglichkeit, von der Durchführung einer Hauptverhandlung einschließlich Zeit und Ort Kenntnis zu erlangen, durch eine Terminsrolle am Sitzungssaal ausreichend gewährleistet wird. Demgegenüber stellt die Nennung von Terminen im Internet nur einen zusätzlichen Service dar, dem nicht dieselbe Verbindlichkeit wie einem Aushang am Verhandlungsraum zukommt.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 15. Januar 2021 wird verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten im zweiten Rechtsgang „des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen“ schuldig gesprochen und deswegen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten erkannt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das Rechtsmittel führt allerdings zu seinen Ungunsten zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs.

1. Die zwei Verfahrensbeanstandungen dringen aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen nicht durch. Zur Rüge der vorschriftswidrigen Beschränkung der Öffentlichkeit (§ 169 GVG, § 338 Nr. 6 StPO) bemerkt der Senat:

Nach dem Revisionsvorbringen waren im Internetauftritt des Landgerichts zwei Fortsetzungstermine der Hauptverhandlung unzutreffend als „nicht öffentlich“ gekennzeichnet, wohingegen die Terminsrolle vor dem Saal über die Öffentlichkeit der beiden Sitzungen informierte. Der Beschwerdeführer besorgt, interessierte Personen könnten sich aufgrund der Falschangaben auf der Website erst gar nicht zu Gericht begeben haben, um dort feststellen zu können, dass die Öffentlichkeit zu der jeweiligen Sitzung Zutritt hatte.

Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Die Möglichkeit, von der Durchführung einer Hauptverhandlung einschließlich Zeit und Ort Kenntnis zu erlangen, wird durch eine Terminsrolle am Sitzungssaal ausreichend gewährleistet (s. KKStPO/Diemer, 8. Aufl., § 169 GVG Rn. 7; MüKoStPO/Kulhanek, § 169 GVG Rn. 13; SSWStPO/Quentin, 4. Aufl., § 169 GVG Rn. 10; LR/Wickern, StPO, 26. Aufl., § 169 GVG Rn. 23). Eine Aufstellung sämtlicher an einem Tag stattfindender Sitzungstermine auf der Website des Landgerichts stellt nur einen zusätzlichen Service dar, dem nicht dieselbe Verbindlichkeit wie einem Aushang am Verhandlungsraum zukommt. In Anbetracht des reduzierten Informationsgehalts der - vorliegend zu beurteilenden - Internetveröffentlichung gilt dies umso mehr. Solche fehlerbehafteten Hinweise auf der Website begründen deshalb grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Öffentlichkeitsmaxime nach § 169 GVG.

Dahinstehen kann, ob und inwieweit unzutreffende Angaben in einem - zur Terminsrolle am Sitzungssaal hinzutretenden - Überblicksaushang im Gerichtsgebäude, namentlich im Eingangsbereich, zu einer vorschriftswidrigen Beschränkung der Öffentlichkeit führen können.

2. Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich die Strafzumessung im Fall II. 2. der Urteilsgründe:

Nach den vom Landgericht zu diesem Fall getroffenen Feststellungen drang der Angeklagte mit einem Vibrator in die Scheide der zehnjährigen Nebenklägerin ein. Im Rahmen der Strafzumessung hat die Strafkammer sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falls des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB) nach § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB als auch bei der Bestimmung der Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, er habe einen „Gegenstand eingeführt“ (UA S. 22).

Diese Erwägung stößt auf rechtliche Bedenken. Soweit sie sich auf ein Eindringen in den Körper bezieht, wird die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB strafschärfend gewertet und das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Doppelverwertungsverbot verletzt (s. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2012 - 5 StR 269/12, NStZ-RR 2012, 306; vom 6. Mai 2014 - 4 StR 88/14, BGHR StPO § 354 Abs. 1a Anwendungsbereich 10; vom 11. Dezember 2014 - 3 StR 440/14, juris Rn. 4; vom 29. März 2017 - 4 StR 526/16, juris Rn. 2). Soweit die Erwägung auf die Verwendung eines Gegenstands für die Tatbestandsverwirklichung abstellt, wird außer Acht gelassen, dass das Eindringen mit einer Sache nicht per se einen höheren Unwert aufweist als dasjenige mit einem Körperteil (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 - 5 StR 269/12, aaO; ferner BeckOK StGB/Ziegler, 50. Ed., § 176a Rn. 26). Im Einzelfall kann zwar Abweichendes gelten, so etwa, wenn von dem Gegenstand eine ihm eigentümliche Gefahr ausgeht oder die Verwendung mit spezifischen Schmerzen verbunden ist. Derartiges ist aber hier nicht festgestellt (s. insbesondere UA S. 14).

Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil allerdings nicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist - namentlich im Hinblick auf die weiteren rechtsfehlerfrei bemessenen Einzelfreiheitsstrafen - auszuschließen, dass das Landgericht einen minder schweren Fall angenommen oder im Rahmen des Regelstrafrahmens auf eine mildere Strafe erkannt hätte, wenn es das Einführen eines Gegenstands nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hätte.

3. Der Schuldspruch weist indes einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.

Das Landgericht hat zum Fall II. 5. der Urteilsgründe festgestellt, dass der Angeklagte mit der zehnjährigen Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr durchführte. Da er für diese Tat im ersten Rechtsgang lediglich wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB) verurteilt worden war, hat sich die Strafkammer aufgrund des Verschlechterungsverbots nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO daran gehindert gesehen, ihn des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB) schuldig zu sprechen.

Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft. Das Verbot der reformatio in peius steht der Verböserung des Schuldspruchs nicht entgegen (s. BGH, Beschlüsse vom 4. August 2020 - 3 StR 132/20, NJW 2021, 869 Rn. 23 mwN; vom 17. Juni 2021 - 3 StR 83/21, juris Rn. 2). Seine Wirkung beschränkt sich auf Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat (s. BGH, Urteil vom 10. November 1999 - 3 StR 361/99, BGHSt 45, 308, 310; ferner KKStPO/Gericke, 8. Aufl., § 358 Rn. 18).

Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO (zur Tenorierung s. im Übrigen BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - 3 StR 308/20, juris Rn. 2). Die Vorschrift des § 265 StPO ist nicht verletzt, weil nicht ersichtlich ist, dass sich der - zu den Tatvorwürfen schweigende - Angeklagte wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1077

Bearbeiter: Christian Becker