HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 610
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 88/14, Beschluss v. 06.05.2014, HRRS 2014 Nr. 610
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 28. Oktober 2013 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.12 der Urteilsgründe wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und des Besitzes kinderpornographischer Schriften schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben", zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiervon hat es "als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer" drei Monate für vollstreckt erklärt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Teileinstellung in einem Fall der Urteilsgründe; im verbleibenden Umfang erweist es sich im Ergebnis als unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Der Senat hat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.12 der Urteilsgründe wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen verurteilt worden ist. Dies hat die Änderung des Schuldspruchs sowie den Wegfall der für diese Tat festgesetzten Einzelgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 Euro zur Folge.
Die Teileinstellung des Verfahrens lässt den Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe unberührt. Der Senat schließt in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt im Hinblick auf die verbleibenden Einzelstrafen aus, dass das Landgericht ohne die im eingestellten Fall verhängte Geldstrafe auf eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.
2. Die Überprüfung des nach der Teileinstellung verbleibenden Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Der Anregung des Generalbundesanwalts, den Schuldspruch im Fall II.15 der Urteilsgründe dahin abzuändern, dass der Angeklagte nicht des Besitzes, sondern des Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften schuldig ist, war nicht nachzukommen. Durch die Verurteilung allein wegen des Auffangtatbestands des Besitzes (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 - 3 StR 215/08, BGHR StGB § 184b Konkurrenzen 1, und vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09, Rn. 25; Urteil vom 26. Mai 2010 - 2 StR 48/10) ist der Angeklagte nicht beschwert.
3. Auch der Strafausspruch hat im verbleibenden Umfang Bestand.
a) Allerdings hat das Landgericht bei der Strafzumessung in den Fällen II.1 bis 10 der Urteilsgründe gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. In diesen Fällen ist der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von einem Jahr und drei Monaten (Fälle II.1 bis 3 der Urteilsgründe) bzw. einem Jahr und neun Monaten (Fälle II.4 bis 10 der Urteilsgründe) verurteilt worden. Das Landgericht hat jeweils einen minder schweren Fall gemäß § 176a Abs. 4 - 2. Alt. - StGB angenommen; in den ersten drei Fällen hat es diesen Strafrahmen nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Zu Lasten des Angeklagten hat es u.a. berücksichtigt: "Die Taten 1. - 10. sind mit dem Eindringen in den Körper des Opfers verbunden gewesen." Damit hat es die Verwirklichung der Qualifikation in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB strafschärfend verwertet und das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Doppelverwertungsverbot verletzt.
b) Zwar kann der Senat nicht ausschließen, dass die Bemessung der gegen den Beschwerdeführer in den Fällen II.1 bis 10 erkannten Einzelstrafen auf diesem Rechtsfehler beruht. Der Strafausspruch hat aber gleichwohl auch insoweit Bestand, weil die vom Landgericht ausgesprochenen Einzelstrafen angemessen sind (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO).
aa) Die bei verfassungskonformer Auslegung erforderlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach der vorgenannten Vorschrift (vgl. dazu BVerfG, NStZ 2007, 598) liegen vor. Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage einer etwaigen Aufrechterhaltung der Einzelstrafen gemäß § 354 Abs. 1a StPO. Dem Senat steht ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung. Auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Verteidigers ergeben sich keine Anhaltspunkte für erst nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eingetretene Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter nahe liegend feststellen und zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen würde (vgl. zusammenfassend KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 354 Rn. 26g mwN).
bb) Die vom Beschwerdeführer in seiner Gegenerklärung vom 3. April 2014 vorgetragenen Bedenken stehen der Anwendung des § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nicht entgegen. Zwar ist eine Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts ausgeschlossen, wenn "zugleich eine Neuentscheidung über einen - fehlerhaften - Schuldspruch erfolgen muss" (vgl. BVerfG, NStZ 2007, 598, 601). So liegt es hier aber nicht. In den Fällen II.1 bis 10 der Urteilsgründe beruhen die fehlerhaften Strafaussprüche nicht auf Fehlern in den Schuldsprüchen; diese bleiben in den genannten Fällen vielmehr unverändert. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 354 Abs. 1a StPO scheidet auch nicht wegen einer Vielzahl von Strafzumessungsfehlern aus (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2007 - 2 StR 577/06, StV 2007, 408). Das Landgericht hat nicht das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes schärfend verwertet. Mit der Erwägung, das Alter des Opfers habe sich nicht im oberen Bereich des "strafbewehrten Alters" befunden, hat der Tatrichter lediglich das vom Angeklagten schuldhaft verwirklichte Unrecht sachgerecht in die zur Verfügung stehenden Strafrahmen eingeordnet. Auch hat das Landgericht die bisherige Unbestraftheit des Angeklagten nicht aus dem Blick verloren. Diesen Umstand hat es vielmehr ausdrücklich festgestellt und mit der strafmildernden Erwägung, der Angeklagte sei als Erstverbüßer besonders haftempfindlich, in der Strafzumessung hinreichend zum Ausdruck gebracht.
cc) Unter Abwägung aller für die Strafzumessung in den Fällen II.1 bis 10 der Urteilsgründe bedeutsamen Urteilsfeststellungen hält der Senat die erkannten Einzelstrafen für angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO. Bestimmend hierfür ist der Unrechtsund Schuldgehalt der Taten auf der Grundlage der nicht von einem Rechtsfehler betroffenen Zumessungserwägungen des Landgerichts.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 610
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel