hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1079

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 132/20, Beschluss v. 04.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1079


BGH 3 StR 132/20 - Beschluss vom 4. August 2020 (LG Wuppertal)

BGHR; Zwangsprostitution (Veranlassen zur weiteren Ausübung der Prostitution; qualitativ intensivere oder quantitativ wesentlich umfangreichere Form der Ausübung; List; Irreführung in Bezug auf die Tatsache der Prostitutionsausübung; „Loverboy-Methode“).

§ 232a StGB

Leitsätze

1. Der Täter veranlasst eine zur weiteren Ausübung der Prostitution bereite Person im Sinne des § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Fortsetzung derselben, wenn er sie entgegen ihrem Willen zu einer qualitativ intensiveren oder quantitativ wesentlich umfangreicheren Form der Ausübung bewegt oder von einer weniger intensiven bzw. wesentlich weniger umfangreichen Form abhält. (BGHR)

2. List im Sinne des § 232a Abs. 3 StGB verlangt, dass sich die irreführenden Machenschaften auf die Tatsache der Prostitutionsausübung an sich beziehen. Das lediglich arglistige Schaffen eines Anreizes gegenüber einer Person, die sich frei für oder gegen eine Prostitutionsaufnahme oder -fortsetzung entscheiden kann, genügt nicht. Das Hervorrufen eines bloßen Motivirrtums wird deshalb regelmäßig von dem Tatbestandsmerkmal nicht erfasst. (BGHR)

3. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob auch derjenige mit List im Sinne des § 232a StGB handelt, der das Opfer zunächst über seine Absicht, es der Prostitution zuzuführen, täuscht und dadurch in eine Lage bringt, die für eine nachfolgende Verwirklichung dieser Absicht günstigere Voraussetzungen schafft. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 22. Oktober 2019,

soweit es ihn betrifft,

im Schuldspruch dahin geändert, dass er schuldig ist

- im Fall II. 3. der Urteilsgründe der Beihilfe zur ausbeuterischen und zur dirigistischen Zuhälterei,

- im Fall II. 4. der Urteilsgründe der Beihilfe zur Zwangsprostitution, zur ausbeuterischen und zur dirigistischen Zuhälterei,

im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen;

soweit es die Mitangeklagten A. und D. betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, dass sie im Fall II. 4. der Urteilsgründe jeweils tateinheitlich „mit Zuhälterei“ der schweren Zwangsprostitution anstatt der besonders schweren Zwangsprostitution schuldig sind.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen „Beihilfe zur Zuhälterei“ (Fall II. 3. der Urteilsgründe; nachfolgend: Fall 3), „Beihilfe zur besonders schweren Zwangsprostitution in Tateinheit mit Zuhälterei“ (Fall II. 4. der Urteilsgründe; nachfolgend: Fall 4), „Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung“ (Fall 6) sowie „versuchten Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung“ (Fall 7) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die - nicht (mehr) revidierenden - Mitangeklagten A. und D. hat es im Fall 4 jeweils der „besonders schweren Zwangsprostitution in Tateinheit mit Zuhälterei“ schuldig gesprochen; wegen dieser Tat und weiterer - fünf ( A.) bzw. sechs (D.) - Taten hat das Landgericht gegen den Mitangeklagten A. auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, gegen den Mitangeklagten D. auf eine Jugendstrafe von fünf Jahren erkannt. Außerdem hat es gegen den Angeklagten ebenso wie gegen die Mitangeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.

Gegen seine Verurteilung und die ihn betreffende Einziehungsentscheidung wendet sich der Angeklagte mit der Revision, die er auf die allgemeine Sach- und eine Verfahrensrüge stützt. Das Rechtsmittel führt mit der Sachbeschwerde zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs in den Fällen 3 und 4, im Fall 4 auch zugunsten der Mitangeklagten (§ 357 Satz 1 StPO), mit der Verfahrensbeanstandung zur Aufhebung des den Angeklagten betreffenden Strafausspruchs. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Zu den Fällen 3 und 4 hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

a) Die aufgrund eines gemeinsamen Tatplans handelnden Mitangeklagten A. und D. übernahmen als Zuhälter auf Vermittlung des Angeklagten ab Mai 2018 die 18-jährige Prostituierte U. A. gelang es, dass sich die psychisch labile Heranwachsende in ihn verliebte. Da er ihr eine gemeinsame Zukunft vorspiegelte, duldete sie, dass er die gesamten Einnahmen aus der Prostitution, etwa 3.000 bis 4.000 € monatlich, an sich nahm und ihr hiervon nur geringe Geldbeträge für die allgemeine Lebensführung übergab. Um sie zur Prostitution anzuhalten, schlug er sie mehrfach. Beide Mitangeklagten, welche die Einnahmen täglich abkassierten und hälftig teilten, fertigten Inserate über die sexuellen Dienstleistungen im Internet und vereinbarten die Termine mit den Freiern.

Der Angeklagte hielt sich häufig in der der 18-Jährigen zugewiesenen Wohnung auf, um sie in Absprache mit den Mitangeklagten zu überwachen. Er war in die von ihnen - wie auch in anderen Fällen - praktizierte sog. „Loverboy-Methode“ eingeweiht und wusste um die Verwendung fast der gesamten aus der Prostitution erzielten Einnahmen für ihren luxuriösen Lebensstil (Fall 3).

b) Nachdem U. nach etwa zwei Monaten für kurze Zeit zu einem „anderen Mann“ gewechselt war, wandte sie sich an D. Ihm gelang es, dass sich die bindungslose junge Frau nun in ihn verliebte. Im Glauben an die ihr vorgespiegelte partnerschaftliche Liebesbeziehung war sie wiederum bereit, sich zu prostituieren und D. die gesamten von ihr erzielten Einnahmen zu überlassen. Diese weitere Tätigkeit dauerte von September bis Dezember 2018, wobei sich die Mitangeklagten erneut die Einnahmen hälftig teilten. „Um ihre Bereitschaft zur Prostitution zu verstärken und sie dazu anzuhalten, möglichst viele Kunden zu bedienen," erklärte A. gegenüber der 18-Jährigen wahrheitswidrig, D. habe bei ihm Schulden von 6.000 €. Dies hatte zur Folge, dass sie sich „besonders bemühte“, hohe Einnahmen zu erzielen, um die behaupteten Schulden abzulösen. Um ihre Bereitschaft, sich zu prostituieren, zusätzlich zu erhöhen, spiegelte D. ihr vor, krank zu sein.

Der Angeklagte bestärkte U. s Vertrauen in ihren vermeintlichen Partner, indem er wiederholt erklärte, dass D. „sie doch 'wirklich liebe'" (Fall 4).

2. Das Landgericht hat die Tat im Fall 3 als „Beihilfe zur Zuhälterei“ (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 27 Abs. 1 StGB) und die Tat im Fall 4 als „Beihilfe zur besonders schweren Zwangsprostitution (§ 232a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 und 4 Variante 2 i.V.m. § 232 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [Gewerbsmäßigkeit] StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB)" gewertet.

II.

1. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten hält in den Fällen 3 und 4 nicht in jeder Hinsicht sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen machte er sich in diesen Fällen jeweils wegen Beihilfe zur ausbeuterischen und dirigistischen Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 27 Abs. 1, § 52 StGB) strafbar, im Fall 4 in weiterer Tateinheit hierzu wegen Beihilfe zur Zwangsprostitution (§ 232a Abs. 1 Nr. 1, § 27 Abs. 1, § 52 StGB):

a) In den Fällen 3 und 4 ist der Angeklagte der Beihilfe zur ausbeuterischen Zuhälterei in Tateinheit mit Beihilfe zur dirigistischen Zuhälterei gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 27 Abs. 1, § 52 StGB - gleichbedeutend: Beihilfe zur ausbeuterischen und zur dirigistischen Zuhälterei - schuldig.

Wie die Jugendkammer zutreffend angenommen und der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen ausgeführt hat (S. 4 ff., 11 f.), erfüllte das vom Angeklagten mit doppeltem Gehilfenvorsatz geförderte Verhalten der - mittäterschaftlich handelnden - Mitangeklagten in diesen beiden Fällen sowohl die Tatbestandsmerkmale der ausbeuterischen Zuhälterei nach § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch diejenigen der dirigistischen Zuhälterei nach § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Hierbei handelt es sich allerdings nicht bloß um zwei Varianten der Verletzung desselben Strafgesetzes, vielmehr um zwei Tatbestände, die in Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander stehen (s. BGH, Urteile vom 27. April 1982 - 5 StR 27/82, NStZ 1982, 379; vom 28. Juni 1983 - 1 StR 44/83, bei Holtz, MDR 1983, 984; vom 16. Juli 1996 - 1 StR 221/96, BGHSt 42, 179, 185 f.).

Dieses Konkurrenzverhältnis gilt gleichermaßen für den Angeklagten als Gehilfen. Soweit die rechtliche Würdigung der Taten in den Urteilsgründen dahin verstanden werden könnte, dass im Fall 4 auch der Angeklagte die beiden Tatbestände des § 181a Abs. 1 StGB gemeinschaftlich mit den Mitangeklagten (mit-)täterschaftlich verwirklichte, findet dies in den Feststellungen keine tatsächliche Stütze (zu den Voraussetzungen der Mittäterschaft vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 - 3 StR 85/20, juris Rn. 4 mwN).

b) Im Fall 4 ist der Angeklagte weiterhin, ebenfalls idealkonkurrierend (§ 52 StGB), der Beihilfe zur Zwangsprostitution gemäß § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 27 Abs. 1 StGB schuldig.

aa) Die Mitangeklagten verwirklichten den (Grund-)Tatbestand der Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB, indem sie die Prostituierte U. als Person unter 21 Jahren (Variante 2) veranlassten, die Prostitution fortzusetzen (Nr. 1 Alternative 2). Auch hieran beteiligte sich der Angeklagte als Gehilfe.

(1) Das Tatbestandsmerkmal der Fortsetzung im Sinne des § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB bezweckt den Schutz von bereits die Prostitution ausübenden Personen vor noch stärkerer Verstrickung in dieses Gewerbe (s. BGH, Urteil vom 28. Juli 1999 - 3 StR 206/99, BGHSt 45, 158, 164 mwN). Als Tathandlung des Veranlassens kommt jede für den Taterfolg zumindest mitursächliche psychische Beeinflussung in Betracht (s. BeckOK StGB/Valerius, 46. Ed., § 232a Rn. 13 f. mwN). Ein Veranlassen zur Fortsetzung liegt zum einen vor, wenn die der Prostitution nachgehende Person, die - nach den Vorstellungen des Täters - den Willen hat, diese Tätigkeit zu beenden, zum Weitermachen gebracht wird (s. BGH, Urteil vom 28. Juli 1999 - 3 StR 206/99, aaO, S. 163; Beschlüsse vom 11. Februar 2000 - 3 StR 499/99, NStZ 2000, 368, 369; vom 14. Juni 2000 - 3 StR 178/00, NStZ-RR 2001, 170 f.; Urteil vom 18. April 2007 - 2 StR 571/06, StraFo 2007, 340 f.). Zum anderen ist ein Veranlassen zur Fortsetzung gegeben, wenn die Person zwar grundsätzlich zur weiteren Ausübung der Prostitution bereit ist, aber vom Täter entgegen ihrem Willen zu einer intensiveren Form der Prostitutionsausübung bewegt oder von einer weniger intensiven Form abgehalten wird. Das gilt nicht nur für eine qualitativ andere Art der Tätigkeit (s. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 - 2 StR 111/01, bei Pfister, NStZ-RR 2001, 362 f.; Urteil vom 27. Mai 2004 - 3 StR 500/03, NStZ 2004, 682 Rn. 8), sondern auch für einen quantitativ wesentlich abweichenden Umfang (s. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232a Rn. 12; BeckOK StGB/ Valerius aaO, Rn. 8; vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Juli 1996 - 1 StR 221/96, BGHSt 42, 179, 185). Freilich muss von der (unterbleibenden) Änderung die Prostitutionsausübung selbst betroffen sein (s. Schönke/Schröder/Eisele aaO; MüKoStGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 232a Rn. 30), so dass weder der Wechsel des Zuhälters (s. MüKoStGB/Renzikowski aaO, Rn. 30 Fn. 82) noch ein Abführen der Einnahmen zur Tatbestandsverwirklichung genügt (s. BGH, Beschluss vom 16. April 1996 - 4 StR 77/96, NStZ-RR 1996, 291 f.).

Gemessen daran veranlassten die Mitangeklagten die Heranwachsende U. zur Fortsetzung der Prostitution. Zwar geht aus den Urteilsfeststellungen nicht hervor, dass sie die Prostitution aufgeben oder einschränken wollte, als sie sich aufgrund der ihr von D. vorgespiegelten Liebesbeziehung entschloss, sich nunmehr für ihn zu prostituieren. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen brachten die Mitangeklagten die 18-Jährige jedoch durch die weiteren Täuschungen, D. habe Schulden bei A. und leide an einer Krankheit, dazu, die Prostitutionsausübung infolge ihrer emotionalen Abhängigkeit wesentlich zu intensivieren. Um den vermeintlich hilfsbedürftigen D. zu unterstützen, richtete U. ihre Tätigkeit darauf aus, „hohe Einnahmen zu erzielen“ und zu diesem Zweck „möglichst viele Kunden zu bedienen“. Dies impliziert eine jedenfalls zeitlich umfangreichere Tätigkeit als von ihr gewollt. Dass sich diese quantitative Intensivierung der Prostitutionsausübung als wesentlich darstellt, ergibt sich nicht zuletzt aus der generellen Vorgehensweise der Mitangeklagten, die mit den Täuschungen ebenso wie mit Drohungen und Körperverletzungen zu erreichen suchten, ihre Opfer so weit als möglich auszubeuten.

(2) Der Angeklagte leistete Beihilfe zu dieser von den Mitangeklagten begangenen Zwangsprostitution, indem er die bindungslose junge Frau in ihrem Vertrauen zu D. bestärkte. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegt hat (S. 11), ist dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen ebenso zu entnehmen, dass er dabei mit doppeltem Gehilfenvorsatz handelte.

bb) Entgegen der vom Landgericht vorgenommenen rechtlichen Beurteilung verwirklichten die Mitangeklagten nicht den Qualifikationstatbestand der schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 3 StGB. Die Veranlassung der Fortsetzung der Prostitution erfolgte nicht durch List im Sinne dieser Vorschrift.

List ist jede Verhaltensweise des Täters, die darauf gerichtet ist, seine Ziele unter geflissentlichem und geschicktem Verbergen der wahren Absichten und Umstände durchzusetzen. Das Hervorrufen eines bloßen Motivirrtums fällt allerdings regelmäßig nicht unter § 232a Abs. 3 StGB. Das bedeutet, dass sich die irreführenden Machenschaften auf die Tatsache der Prostitutionsausübung an sich beziehen müssen (s. LK/Kudlich, StGB, 12. Aufl., § 232 Rn. 53 mwN), während das lediglich arglistige Schaffen eines Anreizes gegenüber einer Person, die sich frei für oder gegen eine Prostitutionsaufnahme oder -fortsetzung entscheiden kann, nicht ausreicht.

Diese restriktive Auslegung war für den schweren Menschenhandel nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der bis zum 18. Februar 2005 gültigen Fassung und den schweren Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung nach § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB in der bis zum 14. Oktober 2016 gültigen Fassung anerkannt (s. zu § 181 StGB aF BGH, Urteile vom 20. Oktober 1976 - 3 StR 266/76, BGHSt 27, 27; vom 3. Juni 1980 - 1 StR 192/80, juris Rn. 4 f.; zu § 232 StGB aF BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 - 2 StR 297/13, NStZ 2014, 453, 454). Hieran ist für das seit dem 15. Oktober 2016 geltende Recht, den - geänderten - schweren Menschenhandel gemäß § 232 Abs. 2 Nr. 1 StGB sowie die - neugeschaffene - schwere Zwangsprostitution gemäß § 232a Abs. 3 StGB, festzuhalten. Aus dem Wortlaut der Strafnormen ergeben sich keine dem entgegenstehende Anhaltspunkte. In den Gesetzesmaterialien zu §§ 232 nF, 232a StGB ist dargelegt, dass „in Bezug auf das Tatmittel der 'List' keine Erweiterung“ vorgesehen ist, die „künftig das Hervorrufen eines bloßen Motivirrtums genügen“ ließe (BT-Drucks. 18/9095 S. 30, 34). Unter Hinweis auf unveröffentlichte Entscheidungen des Landgerichts Berlin ist dort lediglich ergänzend ausgeführt, dass das Tatbestandsmerkmal der List auch diejenigen Fälle erfassen soll, in denen „der Täter mit Hilfe der 'Loverboy'-Masche“ unter Verdeckung der Absicht, das Opfer in die Prostitution zu bringen, erst „günstigere Voraussetzungen (etwa Lösen aus der familiären Bindung oder Abbruch der Ausbildung) dafür schafft“, die Absicht zu realisieren, bevor er sie zu diesem Zweck offenbart (BT-Drucks. 18/9095 S. 34; vgl. BeckOK StGB/Valerius, 46. Ed., § 232 Rn. 43 f.; offengelassen von BGH, Urteil vom 20. Oktober 1976 - 3 StR 266/76, aaO, S. 28).

Gemessen daran erfüllten weder das Vorspiegeln einer partnerschaftlichen Beziehung durch D. noch das Vortäuschen von dessen Hilfsbedürftigkeit - Schulden und Krankheit - durch beide Mitangeklagte das Merkmal der List. Denn die Mitangeklagten ließen U. von Anfang an nicht im Unklaren darüber, dass sie von ihr die Ausübung der Prostitution erwarteten. Da sie die 18-Jährige nicht durch die Verdeckung dieser Erwartung zuvor in eine ungünstige Situation gebracht hatten, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden, ob auch derjenige mit List im Sinne des § 232a StGB handelt, der das Opfer zunächst über seine Absicht, es der Prostitution zuzuführen, täuscht und dadurch in eine Lage bringt, die für eine nachfolgende Verwirklichung dieser Absicht günstigere Voraussetzungen schafft.

cc) Die Mitangeklagten verwirklichten zwar den Qualifikationstatbestand der schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 4 Variante 1 i.V.m. § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB, weil sie die Tat gewerbsmäßig begingen. Da der Angeklagte als weiterer Tatbeteiligter dieses strafschärfende besondere persönliche Merkmal in seiner Person nicht erfüllte, machte er sich aber gemäß § 28 Abs. 2 StGB nach dem Grundtatbestand des § 232a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2009 - 3 StR 132/09, StraFo 2009, 429, 430).

c) In den Fällen 3 und 4 ändert der Senat dementsprechend in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch wie aus 1. a) aa) der Beschlussformel ersichtlich. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Soweit der Angeklagte jeweils wegen Beihilfe zur ausbeuterischen und dirigistischen Zuhälterei anstatt wegen Beihilfe zur Zuhälterei verurteilt wird, handelt es sich zwar um eine Schuldspruchänderung zu seinen Lasten. Die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hindert indes eine solche Verböserung nicht (s. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2020 - 3 StR 313/19, juris Rn. 13; KK/Gericke, StPO, 8. Aufl., § 358 Rn. 18, jeweils mwN).

2. Der Strafausspruch gegen den Angeklagten hat keinen Bestand, weil die Revision insoweit mit der Verfahrensrüge durchdringt. Deshalb kann dahinstehen, ob auch der geänderte Schuldspruch die Aufhebung der gegen ihn verhängten Jugendstrafe bedingt hätte.

Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer, die Jugendkammer habe den in der Hauptverhandlung anwesenden erziehungsberechtigten Eltern des zu dieser Zeit noch nicht volljährigen Angeklagten entgegen § 67 Abs. 1 JGG, § 258 Abs. 2 und 3 StPO nicht das von Amts wegen zu erteilende letzte Wort gewährt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2017 - 4 StR 645/16, NStZ-RR 2017, 231 mwN).

Der Verfahrensverstoß führt indes, wie vom Generalbundesanwalt beantragt, nur zur Aufhebung des Strafausspruchs, weil nur dieser, nicht aber der Schuldspruch auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht (s. § 337 Abs. 1 StPO). Es ist auszuschließen, dass das Landgericht andere Feststellungen zu den vier abgeurteilten Taten des Angeklagten getroffen hätte, wenn seinen Eltern das letzte Wort gewährt worden wäre (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. März 2018 - 4 StR 629/17, juris Rn. 2 mwN). Er hat sich umfassend geständig zu den tatsächlichen Geschehnissen eingelassen. Das Geständnis deckt sich mit den Einlassungen der Mitangeklagten und wird bestätigt durch die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Es ist nicht ersichtlich, dass die Eltern des Angeklagten Tatzeugen waren. Nicht vollends auszuschließen ist hingegen, dass mögliche Erklärungen der Erziehungsberechtigten die Bemessung der - freilich moderaten - Jugendstrafe beeinflusst hätten.

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.

III.

1. Die Änderung des Schuldspruchs gegen den Angeklagten ist nach § 357 Satz 1 StPO insoweit auf die Mitangeklagten zu erstrecken, als sie, wie dargelegt (s. II. 1. b)), im Fall 4 jeweils - tateinheitlich „mit Zuhälterei“ - der schweren Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Variante 1 i.V.m. § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB anstatt der besonders schweren Zwangsprostitution gemäß § 232a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 und 4 Variante 2 i.V.m. § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB schuldig sind. Eine Erstreckung der Schuldspruchänderung betreffend die tateinheitliche Begehung einer ausbeuterischen und einer dirigistischen Zuhälterei in den Fällen 3 und 4 scheidet aus, weil sie nicht zugunsten der Mitangeklagten wirkt.

2. Der Strafausspruch gegen die Mitangeklagten kann bestehen bleiben.

a) Im Hinblick auf den Mitangeklagten A. hat das Landgericht zwar der Bemessung der Einzelstrafe für Fall 4 einen unzutreffenden Strafrahmen zugrunde gelegt. Es ist von demjenigen des § 232a Abs. 4 Variante 2 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) anstatt demjenigen des § 232a Abs. 4 Variante 1 StGB (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) ausgegangen. Unter Berücksichtigung der Strafzumessungsgründe, welche die Jugendkammer für die verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten als bestimmend erachtet hat (s. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), ist jedoch auszuschließen, dass sie bei Zugrundelegung des zutreffenden Strafrahmens auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Sie hat sich ersichtlich am - unverändert gebliebenen - unteren Rand des Strafrahmens orientiert. Darüber hinaus hätte es sich für die Strafkammer aufgedrängt, das perfide Vorgehen des Mitangeklagten A. und - ihm zurechenbar - des D. im Rahmen der konkreten Strafzumessung strafschärfend zu werten, wenn sie richtigerweise keine List im Sinne des § 232a Abs. 4 Variante 2 i.V.m. § 232a Abs. 3 StGB angenommen hätte.

Ein möglicher Einfluss des im Fall 4 geänderten Schuldspruchs auf die Bemessung der Gesamtstrafe (§ 54 StGB) ist nicht ersichtlich.

b) Im Hinblick auf den Mitangeklagten D. ist auszuschließen, dass, soweit die Jugendkammer ihn im Fall 4 wegen - tateinheitlich begangener - schwerer anstatt besonders schwerer Zwangsprostitution verurteilt hätte, auf eine niedrigere als die festgesetzte Jugendstrafe von fünf Jahren erkannt hätte. Die Jugendkammer hat die Strafhöhe maßgeblich an der von der Jugendstrafe zu erwartenden erzieherischen Wirkung orientiert. Soweit sie darüber hinaus - insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines gerechten Schuldausgleichs (s. BGH, Urteil vom 4. August 2016 - 4 StR 142/16, NStZ 2017, 648; Beschluss vom 20. März 2019 - 3 StR 452/18, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 13) bedeutsame - allgemeine Strafzumessungsumstände in den Blick genommen hat, gilt das für A. Ausgeführte für den Mitangeklagten D. entsprechend: Ungeachtet der Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal der List (§ 232a Abs. 3 StGB) prägt das perfide Vorgehen das dem Mitangeklagten D. vorwerfbare Tatbild. Hinzu kommt, dass er sich noch in sechs weiterer Fällen wegen verschiedener, überwiegend schwerer Delikte strafbar machte (besonders schwere Zwangsprostitution [Fälle 1 und 2], schwere Zwangsprostitution [Fall 5], versuchter Raub [Fall 7], Beihilfe zum Raub [Fall 6], Zuhälterei [Fälle 1 bis 3] sowie Körperverletzung [Fälle 1, 3, 6 und 7]).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1079

Externe Fundstellen: NJW 2021, 869; StV 2021, 309

Bearbeiter: Christian Becker