HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 6599
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 132/09, Beschluss v. 07.07.2009, HRRS 2009 Nr. 6599
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 30. Oktober 2008
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zur Zuhälterei in sechs tateinheitlichen Fällen sowie der Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum schweren Menschenhandel in Tateinheit mit Beihilfe zur Zuhälterei in sechs Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zum Menschenhandel, und wegen Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen (tateinheitlich begangener) Beihilfe zum schweren Menschenhandel und zum Menschenhandel nach den im Tatzeitraum geltenden §§ 181 Abs. 1 Nr. 3, 180b Abs. 2 StGB aF hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Den Feststellungen lassen sich keine entsprechenden Haupttaten des gesondert Verfolgten G. entnehmen, die der Angeklagte durch seine Tatbeiträge unterstützt haben soll. Damit fehlt es insoweit bereits an der erforderlichen Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe.
a) Schwerer Menschenhandel
aa) Nach § 181 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, der weitgehend der seit dem 19. Februar 2005 geltenden, nunmehr allerdings als Erfolgsdelikt ausgestalteten Regelung des § 232 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 Nr. 3 StGB entspricht, wird bestraft, wer gewerbsmäßig eine andere Person anwirbt, um sie in Kenntnis ihrer ausländerspezifischen Hilflosigkeit zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen. Im Urteil sind weder das Anwerben noch die Absicht des G., die von ihm in Brasilien angesprochenen Frauen zur Aufnahme bzw. - soweit diese bereits zuvor der Prostitution nachgingen - zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit zu bestimmen, hinreichend belegt.
Das Tatbestandsmerkmal "Anwerben" im Sinne dieser Vorschrift ist einengend auszulegen und setzt voraus, dass der Täter massiv und nachdrücklich auf die Willensbildung des Tatopfers einwirkt (vgl. BGH NStZ 1992, 434; BGH NStZRR 2004, 233). Zur Art und Weise des Einwirkens des G. auf die sechs brasilianischen Frauen im Zeitpunkt der Kontaktaufnahme in Brasilien, verhält sich das Urteil nicht. Eine Erörterung war jedoch mit Blick auf die sonstigen Feststellungen unerlässlich. Denn gegen ein massives Vorgehen des G. könnte sprechen, dass die Geschädigten aus freien Stücken und in Kenntnis einengender Arbeits- und Lebensbedingungen (Abgabe der weit überwiegenden Einkünfte an G., Eingehung einer Scheinehe) G. zum Zwecke der Aufnahme bzw. Fortsetzung der Prostitution in ein für sie fremdes Land folgten. Insbesondere lässt aber die Feststellung, G. sei bei früheren Brasilienbesuchen von Frauen angesprochen und von diesen gebeten worden, sie zur Prostitutionsausübung mit nach Deutschland zu nehmen, es nicht als fern liegend erscheinen, dass die sechs brasilianischen Frauen bereits vor der Einflussnahme des Angeklagten entschlossen waren, die Prostitutionsausübung im Ausland aufzunehmen oder dort fortzusetzen. In diesem Fall läge auch die nach der früheren Gesetzesfassung erforderliche Absicht des Haupttäters fern, durch sein Werben die Frauen in Kenntnis ihrer erwarteten Hilflosigkeit zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution "zu bestimmen", in ihnen also einen entsprechenden Entschluss erst hervorzurufen (vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 181 Rdn. 14, § 180 b Rdn. 9).
Hinzu kommt, dass eine Bestrafung nach dem Tatzeitrecht mit Blick auf § 2 Abs. 3 StGB nur dann in Betracht gekommen wäre, wenn der Angeklagte nicht nur in einer entsprechenden Absicht gehandelt hätte, sondern die Frauen darüber hinaus bereits durch die Anwerbung gemäß § 232 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3 StGB zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution gebracht hätte. Dies kann den Feststellungen ebenfalls nicht entnommen werden. Das Tatbestandsmerkmal "Dazu-Bringen" setzt voraus, dass der Erfolg der Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution auf die Einflussnahme des Täters zurückzuführen ist, er also den bislang nicht vorhandenen Entschluss der Frauen, der Prostitution nachzugehen, erst hervorruft, oder die Geschädigten von dem von ihnen gefassten Entschluss, die Prostitution aufzugeben oder in geringerem Maße auszuüben, abbringt (BGH NStZ-RR 2004, 233).
Dazu, ob die vier Frauen, die in Brasilien schon als Prostituierte tätig waren, im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Kontaktaufnahme mit dem Angeklagten die Absicht hatten, diese aufzugeben oder jedenfalls nicht mehr in dem bisherigen Umfang auszuüben, teilt das Urteil nichts mit. Aber auch hinsichtlich der beiden Frauen, die nach den Feststellungen die Prostitution in Deutschland erst aufnahmen, ist aus den oben dargelegten Gründen nicht zu erkennen, ob dies auf die Einflussnahme des Angeklagten zurückzuführen war, oder ob sie bereits zuvor entschlossen waren, diese Tätigkeit aufzunehmen.
bb) Schließlich hat die Strafkammer, die der Zumessung der Strafen für die Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung jeweils den nach §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 181 Abs. 1 StGB aF zugrunde gelegt hat, nicht bedacht, dass der Qualifikationstatbestand des § 181 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF (vgl. BGHSt 42, 179, 183) auf den Gehilfen nur anwendbar ist, wenn dieser selbst gewerbsmäßig gehandelt hat. Denn die Gewerbsmäßigkeit ist, da in dieser Vorschrift das Gewinnstreben des Täters im Vordergrund steht, ein strafschärfendes besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB (vgl. zu § 181 StGB aF Lenckner/Perron aaO § 181 Rdn. 17; zu § 232 StGB Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 232 Rdn. 27; Wolters in SKStGB 64. Lfg., § 232 Rdn. 38). Nicht gewerbsmäßig handelnde Beteiligte an einer gewerbsmäßig begangenen Tat unterfallen danach dem Strafrahmen des Grundtatbestands (hier: § 180 b Abs. 2 Nr. 1 StGB aF).
Ausreichende Feststellungen dazu, dass der Angeklagte die Voraussetzungen gewerbsmäßigen Handelns erfüllt hat (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. vor § 52 Rdn. 62), sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Die Ausführungen des Landgerichts machen insbesondere nicht deutlich, ob der Angeklagte nur einmal oder mehrfach von G. für die von ihm geleisteten Dienste entlohnt wurde.
b) Menschenhandel
Auch die Voraussetzungen des Menschenhandels sind im Urteil nicht ausreichend dargelegt. Die zur Tatzeit geltende Regelung des § 180 b Abs. 2 StGB aF wurde durch die Neufassung in § 232 Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB ebenfalls modifiziert. Nach der alten Gesetzeslage machte sich wegen Menschenhandels strafbar, wer entweder (unter Ausnutzung der ausländerspezifischen Hilflosigkeit oder in Kenntnis, dass es sich um eine unter 21-jährige Frau handelt) auf das Tatopfer einwirkte, um es zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, oder wer das Tatopfer dazu brachte, diese aufzunehmen oder fortzusetzen. In die Neufassung des § 232 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 StGB hat nur noch die zweite Tatalternative des "Dazu-Bringens" Eingang gefunden. Eine Bestrafung wegen Menschenhandels nach Tatzeitrecht ist mit Blick auf § 2 Abs. 3 StGB deshalb ebenfalls nur dann möglich, wenn die Einflussnahme des Täters den Erfolg der Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitutionsausübung herbeigeführt hat. Dies ergibt das Urteil nicht. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass auch ein "Einwirken" im Sinne der ersten Tatvariante des § 180 Abs. 2 StGB nicht belegt ist (vgl. dazu BGHSt 45, 158, 161).
Zum Tatbestandsmerkmal des "Dazu-Bringens" wird auf die Ausführungen beim schweren Menschenhandel verwiesen. Die Urteilsfeststellungen lassen darüber hinaus aber auch nicht erkennen, dass die brasilianischen Frauen nach Aufnahme der Prostitution in Deutschland diese (wieder) aufgeben oder jedenfalls nicht mehr in dem bisherigen Ausmaß fortführen, diese also nicht mehr fortsetzen wollten.
Allerdings kam es während des Aufenthalts der Frauen in Deutschland zu Gewaltanwendungen des G. zumindest gegenüber einigen der Geschädigten. Dies geschah in einem Fall auch in Gegenwart des Angeklagten. G. nahm darüber hinaus auch die Pässe der Geschädigten an sich. Abgesehen davon, dass der Angeklagte von dem zuletzt genannten Umstand keine Kenntnis hatte, fehlt es an der Feststellung, dass die Gewaltanwendung dazu diente, die Frauen zur Fortführung der Prostitution zu zwingen.
2. Die Feststellungen zur Beihilfe des Angeklagten zur Zuhälterei gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB sind hingegen rechtsfehlerfrei getroffen.
Jedoch stehen diese zum Nachteil der sechs brasilianischen Frauen begangenen Taten im Verhältnis der Tateinheit, da sich die Ausführungshandlungen des Haupttäters zeitgleich gegen mehrere Frauen richteten (vgl. BGHSt 48, 314, 322).
3. Die Verurteilung wegen Beihilfe zu den ausländerrechtlichen Delikten des G. hat wiederum nur teilweise Bestand. Die Urteilsgründe ergeben nicht, dass der Angeklagte in sechs tatmehrheitlichen Fällen Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern geleistet hat.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen vermittelte der Angeklagte im März 2004 dem G. die Namen zweier Männer, die bereit waren, mit zwei der brasilianischen Frauen eine Scheinehe einzugehen. Einen weiteren potentiellen Scheinehemann benannte der Angeklagte dem G. zwischen Juli 2004 und Anfang 2005. Jeweils angestiftet durch G. schlossen zwei der brasilianischen Frauen im Mai 2004 und eine weitere Anfang 2005 mit den vom Angeklagten vermittelten Männern zum Schein die Ehe und erwirkten alsbald nach der Eheschließung unter Vorlage der entsprechenden Urkunden Aufenthaltserlaubnisse nach dem Ausländergesetz bzw. nach dem Aufenthaltsgesetz.
Diesen Feststellungen sind lediglich zwei Beihilfehandlungen des Angeklagten zu insgesamt drei Taten des Haupttäters G. nach §§ 92 Abs. 2 Nr. 2, 92 a Abs. 1 Nr. 2 AuslG bzw. §§ 95 Abs. 2 Nr. 2, 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthaltsG - in Kraft seit 1. Januar 2005 - zu entnehmen. Fördert der Gehilfe, wie es hier bei der ersten Vermittlungstätigkeit geschehen ist, durch denselben Tatbeitrag zeitgleich mehrere Einzeldelikte, so werden ihm die Taten des Haupttäters als tateinheitlich zugerechnet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NStZ-RR 2003, 265). Dies hat das Landgericht verkannt. Der Angeklagte hat sich deshalb nach den Feststellungen nur der Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht.
Weitere Beihilfehandlungen zu den ausländerrechtlichen Verstößen des G. im Zusammenhang mit der Erlangung von Aufenthaltserlaubnissen für die übrigen drei Frauen, hat das Landgericht nicht festgestellt. Die dem G. gewährten Darlehen des Angeklagten dienten nach den Ausführungen des Landgerichts nur zur Deckung der angefallenen Reiseund Unterhaltskosten (UA S. 5/6), nicht hingegen, wovon das Landgericht im Rahmen der Ausführungen zur Strafzumessung auszugehen scheint, der Finanzierung der Kosten für die Scheinehen (UA S. 16).
4. Der Senat hat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch dahin abgeändert, dass er von den bisherigen Feststellungen getragen wird, und nur den Strafausspruch aufgehoben. Es ist mit Blick auf die lange zurückliegenden Tatzeiten und den Umstand, dass die Zeuginnen ersichtlich nicht mehr ohne weiteres erreichbar sind, auszuschließen, dass in einer weiteren Hauptverhandlung noch zuverlässige Feststellungen zu einer Beteiligung des Angeklagten am (schweren) Menschenhandel getroffen werden können. Die nicht unwesentliche Änderung des Schuldspruchs erfordert jedoch eine neue Strafzumessung. Zur Bemessung der Einzelstrafen unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots verweist der Senat auf BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12.
5. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, den Maßstab für die vom Angeklagten in Griechenland erlittene Auslieferungshaft zu bestimmen (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB).
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 6599
Bearbeiter: Ulf Buermeyer