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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1073

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 190/19, Beschluss v. 06.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1073


BGH 3 StR 190/19 - Beschluss vom 6. August 2019 (LG München)

Vorsätzliche Leugnung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermords an den europäischen Juden (offenkundige historische Tatsache; in-Abrede-Stellen; persönliche Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Behauptung; Eventualvorsatz; bewusstes Ignorieren der Realität; Beweiswürdigung); Mittäterschaft (Tatherrschaft als ein Kriterium innerhalb der wertenden Gesamtbetrachtung); Konkurrenzen (einheitliche Tat bei Verwirklichung mehrerer Tatvarianten zu Lasten desselben Opfers).

§ 130 StGB; § 15 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 52 StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Völkermord an den europäischen Juden ist eine historische Tatsache, die offenkundig ist und deshalb auch keiner Beweiserhebung bedarf. Diesen wahren Sachverhalt leugnet, wer den Holocaust in Abrede stellt.

2. Vorsätzlich leugnet den Holocaust, wer ihn in Abrede stellt, obwohl er entweder weiß oder zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass der Holocaust entgegen seiner Behauptung tatsächlich stattgefunden hat. Es genügt nicht, dass der Täter sich bewusst ist, eine allgemein akzeptierte Auffassung zu bestreiten. Die persönliche Überzeugung von der Richtigkeit der Behauptung schließt den Vorsatz daher aus.

3. Auf der Ebene der Beweiswürdigung kommt die Annahme von zumindest bedingtem Leugnungsvorsatz regelmäßig auch bei Tätern in Betracht, welche die Realität bewusst ignorieren und nicht wahrhaben wollen, dass es sich bei dem Holocaust um eine historische Tatsache handelt. Insofern sind die Anforderungen an den Nachweis, dass der Täter die Unwahrheit seiner Behauptung wenigstens für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, in Anbetracht der Offenkundigkeit des nationalsozialistischen Massenmordes in der Regel eher gering.

4. Aus der jüngeren Rechtsprechung des Senats zur Mittäterschaft (vgl. BGH HRRS 2018 Nr. 475 und Nr. 779) ergibt sich nicht, dass Voraussetzung der (Mit-)Täterschaft unter dem Blickwinkel der Tatherrschaft zwingend ist, dass der Täter durch seinen Beitrag Einfluss auf die Tatausführung nehmen kann. Es handelt sich bei der Tatherrschaft lediglich um eines der Kriterien, welche bei der wertenden Gesamtbetrachtung in den Blick zu nehmen sind. Deshalb scheidet nicht immer dann, wenn dieses schwach oder gar nicht ausgeprägt ist, Mittäterschaft aus; vielmehr können Defizite in diesem Bereich - wie es im Wesen einer Gesamtbetrachtung liegt - ausgeglichen werden, wenn andere der in die Prüfung einzustellenden Kriterien stärker ausgeprägt sind.

5. Bei Deliktstatbeständen, die zum Schutz desselben Rechtsguts verschiedene gleichwertige Tatmodalitäten mit Strafe bedrohen (hier: § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB), stellt die Verwirklichung mehrerer Tatbestandsvarianten zum Nachteil desselben Opfers regelmäßig nur eine Tat im konkurrenzrechtlichen Sinne dar.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 26. Oktober 2018 in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass

der Angeklagte A. S. der Volksverhetzung in elf Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie eines weiteren Falls des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig ist,

die Angeklagte M. S. der Volksverhetzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung schuldig ist.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten A. S. wegen Volksverhetzung in elf Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit zwei weiteren Fällen der Volksverhetzung, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung sowie wegen eines weiteren Falls des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Gegen die Angeklagte M. S. hat das Landgericht wegen Volksverhetzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung, eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt. Darüber hinaus hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Dagegen richten sich die jeweils auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel führen zu den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Schuldspruchänderungen; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.

2. Die auf die Sachrügen gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils hat zu den Schuldsprüchen keinen Rechtsfehler ergeben, soweit die Angeklagten jeweils wegen Volksverhetzung, der Angeklagte A. S. darüber hinaus wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt worden sind. Die jeweilige konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts hinsichtlich der Verurteilungen wegen Volksverhetzung hält rechtlicher Überprüfung dagegen nicht stand. Im Einzelnen:

a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen produzierte der Angeklagte A. S. in der Zeit von Januar 2015 bis Juli 2017 zehn Videos, die er im Internet veröffentlichte und in denen er den Völkermord an den europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus leugnete (§ 130 Abs. 3 StGB; Fälle 2, 3, 4, 6, 7 und 9 der Anklageschrift, wobei Fall 6 der Anklageschrift drei Videos betrifft und die Fälle 7 sowie 9 der Anklageschrift jeweils zwei Videos zum Gegenstand haben). In acht dieser Fälle stachelte der Angeklagte zugleich zum Hass gegen Juden auf und griff außerdem deren Menschenwürde an, indem er sie böswillig verächtlich machte (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB; Fälle 2, 3, 4, 6 und 9 der Anklageschrift); in fünf Fällen stachelte er überdies zum Hass gegen Flüchtlinge auf (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB; Fälle 6 und 9 der Anklageschrift). Ein weiteres von ihm produziertes Video überließ er dem gesondert verfolgten H. zur Veröffentlichung im Internet (Fall 10 der Anklageschrift). Im Gegensatz zu den vom Angeklagten selbst vorgenommenen Veröffentlichungen konnte die Strafkammer in Bezug auf dieses Video nicht feststellen, dass es in Deutschland abrufbar war. Gegenstand des Videos waren Äußerungen des Angeklagten, mit denen er ebenfalls zum Hass gegen Juden sowie Flüchtlinge aufstachelte (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 StGB) und überdies die Menschenwürde der Juden angriff, indem er sie böswillig verächtlich machte (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c, Nr. 2 StGB).

Die Angeklagte M. S. wirkte in drei Fällen an der Produktion der Videos mit (Fälle 7 und 10 der Anklageschrift, wobei Fall 7 der Anklageschrift zwei Videos betrifft). In den beiden im Fall 7 der Anklageschrift produzierten und in ihrem Einvernehmen am 17. sowie am 21. Juni 2016 von A. S. im Internet veröffentlichten Filmen leugnete sie ihrerseits den Holocaust (§ 130 Abs. 3 StGB). Im Fall 10 der Anklageschrift stachelte sie ebenso wie der Angeklagte A. S. zum Hass gegen Juden und Flüchtlinge auf (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 StGB) und griff zudem die Menschenwürde der Juden an, indem sie diese böswillig verächtlich machte (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c, Nr. 2 StGB). Das am 21. Juni 2016 publizierte Video (Fall 7 der Anklageschrift) veröffentlichte der Angeklagte A. S. zudem am 16. August 2016 als Anhang zu einem der beiden Videos, die Gegenstand von Fall 9 der Anklageschrift sind.

b) Die Schuldsprüche wegen Volksverhetzung unter den Gesichtspunkten des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c, Nr. 2 und Abs. 3 StGB sind rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf insoweit nur Folgendes:

aa) Das Landgericht hat den subjektiven Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB jeweils zu Recht als erfüllt angesehen.

(1) Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass die Angeklagten in Bezug auf die Leugnung des Holocaust mit bedingtem Vorsatz handelten, und hat dazu im Wesentlichen ausgeführt:

Die Angeklagten hätten bei allen Taten in der Absicht gehandelt, sich mit den Videos an eine breite Öffentlichkeit zu wenden, und dabei zumindest billigend in Kauf genommen, die historische Tatsache des Völkermordes an den europäischen Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus in Abrede zu stellen. Sie hätten nicht irrig an die „Nichtexistenz“ des NS-Genozids geglaubt. Ihr Vorsatz hinsichtlich der von ihnen geleugneten Tatsache der systematischen Vernichtung der Juden im Dritten Reich werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass sie unbeirrt an den von ihnen verbreiteten Thesen festhielten. Dass sie in Kenntnis der geschichtlichen Tatsache des NS-Genozids, auch unter Ablehnung der einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die systematische Vernichtung der Juden ausdrücklich bestritten, lasse nur auf eine Ignoranz der eindeutigen Beweislage schließen, nicht aber Zweifel am Vorsatz aufkommen. Fanatische Überzeugungen seien nicht gleichzusetzen mit kognitiven Erkenntnissen über Tatsachen. Die Angeklagten hinterfragten die Quellen ihrer Erkenntnisse, etwa den „Leuchter-Report“, keineswegs kritisch und seien an sorgsamer, an Wahrheit orientierter Forschung nicht interessiert. Die Existenz historisch anerkannten Quellenmaterials aus differenzierter siebzigjähriger Forschung sei ihnen bekannt und sie ignorierten diese bewusst. Damit nähmen sie die Falschheit ihrer Beweise zumindest billigend in Kauf.

Den Angeklagten sei die Strafverfolgung von Ha., Z. und St. in Deutschland gemäß § 130 StGB wegen ähnlicher Äußerungen ebenso bekannt gewesen wie die juristische Auslegung der subjektiven Komponente des Leugnens. Auch vor diesem Hintergrund hätten sie die Leugnungshandlungen zumindest billigend in Kauf genommen. Hinzu komme, dass es den Angeklagten in den Videos im Schwerpunkt gar nicht um die Auseinandersetzung mit Quellenmaterial gehe, sondern darum, die vorgebliche jüdische Weltherrschaft mit allen Mitteln zu brandmarken.

(2) Diese Ausführungen stoßen auf keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der subjektive Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB Vorsatz (§ 15 StGB) voraussetzt, wobei bedingter Vorsatz genügt. In Bezug auf das hier in Rede stehende Leugnen des Holocaust gilt:

Der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Völkermord an den europäischen Juden ist eine historische Tatsache, die offenkundig ist und deshalb auch keiner Beweiserhebung bedarf (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 9. Juni 1992 - 1 BvR 824/90, NJW 1993, 916, 917; vom 13. April 10 11 12 1994 - 1 BvR 23/94, NJW 1994, 1779, 1780; BGH, Urteile vom 15. März 1994 - 1 StR 179/93, BGHSt 40, 97, 99; vom 10. April 2002 - 5 StR 485/01, BGHSt 47, 278, 283 f.). Diesen wahren Sachverhalt leugnet, wer den Holocaust in Abrede stellt (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 106; S/S/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, StGB, 30. Aufl., § 130 Rn. 19; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 130 Rn. 80 f.). Vorsätzlich leugnet den Holocaust, wer ihn in Abrede stellt, obwohl er entweder weiß oder zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass der Holocaust entgegen seiner Behauptung tatsächlich stattgefunden hat (vgl. LK/Krauß, aaO Rn. 130; MüKoStGB/Schäfer, aaO Rn. 103; S/S/Sternberg-Lieben/Schittenhelm, aaO Rn. 20).

Das Vorsatzerfordernis in Bezug auf das Leugnen gilt ohne Einschränkungen. Die Unwahrheit der behaupteten Tatsache ist - anders als bei der üblen Nachrede (§ 186 StGB) - nicht nur eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, sondern ein Merkmal des objektiven Tatbestandes, auf das sich der Vorsatz zu erstrecken hat (§ 16 StGB). Demgegenüber soll es nach einer teilweise im Schrifttum vertretenen Ansicht insoweit ausreichen, dass der Täter sich bewusst ist, eine allgemein akzeptierte Auffassung zu bestreiten, während seine persönliche Überzeugung von der Richtigkeit seiner Behauptung für den Vorsatz ohne Bedeutung sein soll (vgl. Stegbauer, NStZ 2000, 281, 286; BeckOK StGB/Rackow, § 130 Rn. 44; SSWStGB/Lohse, 4. Aufl., § 130 Rn. 39; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. April 2002 - 5 StR 485/01, BGHSt 47, 278, 281 f.). Dadurch soll der Intention des Gesetzgebers Rechnung getragen werden, gerade „Unbelehrbaren auch mit dem Mittel des Strafrechts“ zu begegnen (BT-Drucks. 12/7960, S. 4; 12/8411, S. 4).

Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Sie wird dem Wortsinn des Merkmals „Leugnen“ letztlich nicht mehr gerecht (vgl. MüKoStGB/Schäfer, aaO Rn. 103; SKStGB/Stein, 9. Aufl., § 130 Rn. 51; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 130 Rn. 47). Müsste sich der Vorsatz lediglich darauf beziehen, dass die eigene Tatsachenbehauptung im Widerspruch zur allgemeinen Überzeugung steht, würde auch allein das Aussprechen bestimmter Worte aus Dummheit, Unwissenheit oder Ungläubigkeit bestraft; das wäre mit dem das deutsche Strafrecht beherrschenden Schuldgrundsatz nicht vereinbar (MüKoStGB/Schäfer, aaO Rn. 103; Fischer, aaO Rn. 48).

Die unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Prüfungsmaßstabs diskutierte Vorsatzproblematik betrifft im Wesentlichen die Beweiswürdigung. Insoweit kommt die Annahme von zumindest bedingtem Leugnungsvorsatz regelmäßig auch bei Tätern in Betracht, welche die Realität bewusst ignorieren und nicht wahrhaben wollen, dass es sich bei dem Holocaust um eine historische Tatsache handelt, zumal die Anforderungen an den Nachweis, dass der Täter die Unwahrheit seiner Behauptung wenigstens für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, in Anbetracht der Offenkundigkeit des nationalsozialistischen Massenmordes in der Regel eher gering sind (MüKoStGB/Schäfer, aaO Rn. 103; LK/Krauß, aaO Rn. 130; Fischer, aaO Rn. 48; vgl. auch Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, 2014, S. 99 f.).

Danach ist die Annahme des Landgerichts, dass die Angeklagten in Bezug auf die Leugnung des Holocaust zumindest mit bedingtem Vorsatz handelten, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Überzeugung der Strafkammer, wonach die Angeklagten die historische Tatsache des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes an den europäischen Juden in Kenntnis der eindeutigen Beweislage und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bewusst ignorierten und damit die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen zumindest billigend in Kauf nahmen, beruht auf einer Beweiswürdigung, die Rechtsfehler nicht erkennen lässt (vgl. zum eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab etwa BGH, Urteil vom 5. April 2018 - 3 StR 13/18, NJW 2019, 90 Rn. 13).

bb) Das Landgericht hat die Angeklagte M. S. im Hinblick auf die erneute Veröffentlichung des bereits am 21. Juni 2016 publizierten Videos (Fall 7 der Anklageschrift) durch den Angeklagten A. S. am 16. August 2016 als Anhang zu einem weiteren von ihm produzierten Film (Fall 9 der Anklageschrift) zu Recht wegen mittäterschaftlich begangener Volksverhetzung verurteilt (§ 130 Abs. 3, § 25 Abs. 2 StGB).

(1) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen beteiligte sich M. S. im Sommer 2016 aufgrund eines gemeinsam mit A. S. gefassten Tatentschlusses an der Produktion eines Videos mit dem Titel“ ". Sie hatte die Idee zu dem Film entwickelt und das Drehbuch geschrieben, A. S. verfügte über die Fähigkeiten, das Video technisch zu produzieren und es im Internet zu veröffentlichen. In dem Film war M. S. zu sehen. Sie trat auf und erklärte, dass sie sich bei ihren Eltern dafür entschuldige, ihnen früher vorgeworfen zu haben, Hitler und die Todeslager nicht verhindert zu haben. Nunmehr wisse sie, dass es den Holocaust, insbesondere die Vernichtung europäischer Juden im Vernichtungslager Ausschwitz, nicht gegeben habe. A. S. publizierte das Video dem gemeinsamen Tatplan der beiden Angeklagten entsprechend zunächst am 21. Juni 2016 im Internet. Außerdem veröffentlichte er es am 16. August 2016 als Anhang zu einem weiteren Video, an dessen Produktion M. S. nicht mitgewirkt hatte. Auch dies geschah im Einvernehmen mit M. S. Beide Angeklagten hatten von vornherein die Absicht, durch die Veröffentlichung des Videos mit dem Titel“ " im Internet eine möglichst große Öffentlichkeit zu erreichen. M. S. hatte das Filmmaterial deshalb A. S. zur Verwendung im Zusammenhang mit anderen Internetpublikationen überlassen.

(2) Diese Feststellungen tragen die Annahme des Landgerichts, dass die Angeklagte M. S. an der Veröffentlichung des Videos am 16. August 2016 als Mittäterin (§ 25 Abs. 2 StGB) beteiligt war. Insoweit gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, Folgendes:

Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst und auch keine Anwesenheit am Tatort; ausreichen kann vielmehr auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich die objektiv aus einem wesentlichen Tatbeitrag bestehende Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. April 2019 - 5 StR 685/18, NStZ 2019, 514 Rn. 26; Beschlüsse vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, juris Rn. 5; vom 15. März 2016 - 4 StR 7/16, NStZ-RR 2016, 140; vom 23. März 2017 - 1 StR 451/16, NStZ 2018, 544, 545 f.; vom 11. Juli 2017 - 2 StR 220/17, NStZ 2018, 144, 145 jeweils mwN).

Die Frage, ob sich bei mehreren Tatbeteiligten das Handeln eines von ihnen als Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB darstellt, ist vom Tatgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei sind die maßgeblichen Kriterien der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betroffenen abhängen müssen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2016 - 3 StR 221/16, NStZ 2017, 296, 297; vom 8. Juni 2017 - 1 StR 188/17, juris Rn. 3; vom 13. September 2017 - 2 StR 161/17, NStZ-RR 2018, 40; vom 27. November 2018 - 5 StR 604/18, NStZ-RR 2019, 73; vom 26. März 2019 - 4 StR 381/18, NStZ-RR 2019, 203, 204 jeweils mwN).

Entgegen einer in jüngerer Zeit in der Literatur geäußerten Auffassung (vgl. Schlösser, NStZ 2018, 651) ergibt sich aus der Rechtsprechung des Senats, in der ausgeführt wurde, unter dem Blickwinkel der Tatherrschaft sei Voraussetzung der (Mit-)Täterschaft, dass der Täter durch seinen Beitrag Einfluss auf die Tatausführung nehmen könne (BGH, Beschlüsse vom 28. November 2017 - 3 StR 266/17, NStZ 2018, 650; vom 19. April 2018 - 3 StR 638/17, NStZ-RR 2018, 271) nichts anderes: Nach den genannten Maßgaben handelt es sich bei der insoweit angesprochenen Tatherrschaft lediglich um eines der Kriterien, welche bei der wertenden Gesamtbetrachtung in den Blick zu nehmen sind. Deshalb scheidet indes nicht immer dann, wenn dieses schwach oder gar nicht ausgeprägt ist, Mittäterschaft aus; vielmehr können Defizite in diesem Bereich - wie es im Wesen einer Gesamtbetrachtung liegt - ausgeglichen werden, wenn andere der in die Prüfung einzustellenden Kriterien stärker ausgeprägt sind. Mit der zitierten Rechtsprechung sollten demnach lediglich die Voraussetzungen der Mittäterschaft für den Fall formuliert werden, dass dem Kriterium der Tatherrschaft im Rahmen der Gesamtwürdigung maßgebliche Bedeutung zukommen sollte (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, NJW 2019, 1818, 1825; Beschluss vom 20. Februar 2019 - AK 4/19, juris Rn. 23).

Daran gemessen erweist sich die Annahme von Mittäterschaft hier als rechtsfehlerfrei. Dem steht nicht entgegen, dass die Angeklagte M. S. bei der Veröffentlichung des Videos mit dem Titel“ " durch den Angeklagten A. S. als Anhang zu einem weiteren von ihm produzierten Video am 16. August 2016 nicht unmittelbar mitwirkte. Das Landgericht hat im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung insoweit zu Recht maßgeblich darauf abgestellt, dass auch diese Veröffentlichung des Videos von dem gemeinsamen Tatplan der beiden Angeklagten umfasst war und dass M. S. wesentliche Tatbeiträge im Vorfeld der Veröffentlichung geleistet hatte, indem sie die Idee zu dem Video entwickelt, das Drehbuch geschrieben und in dem Film selbst als Akteurin mitgewirkt hatte.

c) Die konkurrenzrechtliche Beurteilung der den Angeklagten zur Last fallenden Volksverhetzungen durch das Landgericht ist demgegenüber in zweifacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.

aa) Das gilt zum einen, soweit das Landgericht die gleichzeitige Verwirklichung von § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB durch den Angeklagten A. S. in den Fällen 2, 3, 4, 6 und 9 der Anklageschrift sowie die gleichzeitige Verwirklichung von § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB durch beide Angeklagten im Fall 10 der Anklageschrift jeweils als zwei in Tateinheit zueinander stehende Fälle der Volksverhetzung angesehen hat. Das Landgericht hat dazu im Wesentlichen ausgeführt:

Bei gleichzeitiger Verwirklichung von § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB sei Tateinheit anzunehmen. Geschütztes Rechtsgut sei zwar jeweils das Allgemeininteresse an einem friedlichen Zusammenleben im Staat in der Ausprägung des Individualrechtsgüterschutzes und der öffentlichen Sicherheit. Hinsichtlich der praktischen Bedeutung sei aber die Gefährlichkeit der § 130 StGB unterfallenden Propaganda mit dem ihr eigenen hohen Drohungs- und Aufforderungspotential zum einen sowie die Verrohung und Abstumpfung gegenüber Verletzungen und Leiden von Angehörigen als minderwertig dargestellter Gruppen zum anderen zu sehen. So sei die Zielrichtung der friedensstörenden Hetze jeweils eine andere. Das Aufstacheln zum Hass ziele in erster Linie auf die Agitation Dritter außerhalb der Gruppe während sich das böswillige Verächtlichmachen unmittelbar gegen die Bevölkerungsgruppe selbst richte. Entsprechendes gelte für die gleichzeitige Verwirklichung von § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB.

Diese Ausführungen stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Maßgeblich für die konkurrenzrechtliche Beurteilung ist - wovon das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist - dass die Tatbestandsvarianten des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB einerseits sowie des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB andererseits jeweils dem Schutz desselben Rechtsguts dienen (vgl. MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 130 Rn. 1 ff.; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 2 ff., 9) und insoweit lediglich gleichwertige Tatmodalitäten mit Strafe bedrohen. Deshalb liegt bei gleichzeitiger Verwirklichung mehrerer Tatbestandsvarianten desselben Absatzes von § 130 StGB nur eine Tat vor (LK/Krauß, aaO Rn. 140; MüKoStGB/Schäfer, aaO Rn. 116 jeweils mwN). Es verhält sich insoweit gleichermaßen wie bei anderen Deliktstatbeständen, die zum Schutz desselben Rechtsguts verschiedene gleichwertige Tatmodalitäten mit Strafe bedrohen. So stellt etwa die Verwirklichung mehrerer Tatbestandsvarianten des § 224 Abs. 1 StGB zum Nachteil desselben Opfers nur eine Tat der gefährlichen Körperverletzung dar (vgl. etwa S/S/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 16; MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 224 Rn. 59), und es ist nur ein Mord gegeben, falls der Täter bei der Tötung des Opfers durch dieselbe Handlung mehrere Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB verwirklicht (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 279; LK/Laufhütte, StGB, 12. Aufl., § 211 Rn. 2).

Demzufolge hat sich der Angeklagte A. S. in den Fällen 2, 3, 4, 6 und 9 der Anklageschrift, die insgesamt acht abgeurteilte Taten umfassen, bei denen er zugleich den Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB verwirklichte, jeweils nur der Volksverhetzung in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung strafbar gemacht; Tateinheit zwischen der Verletzung von § 130 Abs. 1 StGB und dem gleichzeitigen Verstoß gegen § 130 Abs. 3 StGB hat das Landgericht zu Recht bejaht (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 140; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 130 Rn. 116). Im Fall 10 der Anklageschrift sind beide Angeklagten jeweils der Volksverhetzung schuldig; die tateinheitliche Verurteilung wegen eines weiteren Falls der Volksverhetzung entfällt.

bb) Rechtsfehlerhaft ist die Bewertung der Konkurrenzen zum anderen, soweit das Landgericht in der erneuten Veröffentlichung des Videos mit dem Titel“ " durch den Angeklagten A. S. am 16. August 2016 eine materiell selbständige Tat der Angeklagten M. S. gesehen hat. Wie bereits ausgeführt, hat die Strafkammer der Angeklagten M. S. diese Tat zwar gemäß § 25 Abs. 2 StGB zu Recht als eigene zugerechnet. Sie hat jedoch nicht bedacht, dass bei einer durch mehrere Personen begangenen Abfolge von Straftaten der Tatbeitrag jedes Beteiligten einer gesonderten konkurrenzrechtlichen Prüfung unterliegt. Hat ein Mittäter seinen mehrere Einzeldelikte umfassenden Tatbeitrag bereits im Vorfeld erbracht, so verletzt er den Tatbestand zwar nicht nur einmal; die materiell selbständigen Einzeltaten der Mittäter werden ihm jedoch nicht in Tatmehrheit, sondern als in gleichartiger Tateinheit begangen zugerechnet (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 253/09, juris Rn. 6). So verhält es sich hier.

Die Angeklagte hatte ihre sämtlichen Beiträge zu den hinsichtlich des Angeklagten A. S. in Tatmehrheit zueinander stehenden Veröffentlichungen des Videos mit dem Titel“ " am 21. Juni 2016 und am 16. August 2016 bereits in deren Vorfeld geleistet. Über die zeitlich vorgelagerte Mitwirkung bei der Produktion des Videos hinaus wirkte sie an dessen erneuter Veröffentlichung durch den Angeklagten A. S. am 16. August 2016 nicht mit. Betreffend die Angeklagte M. S. stellen sich die beiden in Bezug auf dieses Video verwirklichten Verletzungen von § 130 Abs. 3 StGB mithin als zwei tateinheitlich begangene Fälle der Volksverhetzung dar.

cc) Bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung ist der Angeklagte A. S. mithin der Volksverhetzung in elf Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie eines weiteren Falls des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig. Die Angeklagte M. S. hat sich wegen Volksverhetzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung strafbar gemacht. Der Senat hat die Schuldsprüche in analoger Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die Angeklagten nicht anders hätten verteidigen können.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung lassen die Strafaussprüche unberührt. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Beurteilung der Konkurrenzen mildere Strafen verhängt hätte. Zum einen hat die Strafkammer in den Urteilsgründen ausdrücklich betont, der von ihr angenommenen Tateinheit zwischen den Verstößen gegen § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB sowie gegen § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB bei der Strafzumessung „kein eigenes Gewicht“ beigemessen zu haben. Zum anderen verringert sich der Unrechtsund Schuldgehalt der Taten durch die geänderte Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse nicht.

4. Der geringfügige Erfolg der Revisionen lässt es nicht unbillig erscheinen, die Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1073

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 375; StV 2021, 104

Bearbeiter: Christian Becker