HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 882
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 46/25, Beschluss v. 22.05.2025, HRRS 2025 Nr. 882
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 17. September 2024, soweit es ihn betrifft und er verurteilt ist,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen, davon in neun Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis, sowie des Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen schuldig ist;
b) im Strafausspruch aufgehoben;
c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin geändert, dass die Einziehung in Höhe von 126.330 Euro angeordnet ist; die darüber hinausgehende Einziehung des Wertes von Taterträgen entfällt.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis in 20 Fällen, des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen sowie des Handeltreibens mit Cannabis in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und - neben weiteren Einziehungsentscheidungen - eine „Einziehung des Wertes des Taterlangten“ in Höhe von 127.610 Euro angeordnet. Mit der Sachrüge hat die Revision des Angeklagten den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
1. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung der rechtsfehlerfrei festgestellten Rauschmittelgeschäfte des Angeklagten als 38 tatmehrheitliche Fälle hält rechtlicher Nachprüfung nur teilweise, nämlich in Bezug auf die Fälle II.12, II.34 und II.36 bis 38 der Urteilsgründe, stand.
a) Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine jedenfalls teilweise, Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen, also das Aufsuchen des Lieferanten als verbindendes Element gleichermaßen beiden Umsatzgeschäften dient (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 8). Gleiches gilt, wenn der Empfänger des Rauschgifts im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung den Lieferanten aufsucht und das Geld für mehrere vorangegangene Lieferungen gleichzeitig übergibt. Das Bezahlen des Lieferanten dient als verbindendes Element den vorangegangenen Umsatzgeschäften gleichermaßen, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet (BGH, Beschlüsse vom 14. Dezember 2021 - 2 StR 371/21, Rn. 4, und vom 3. Dezember 2019 - 4 StR 239/19, Rn. 9 jeweils mwN).
b) Nach diesen Maßstäben liegt im Verhältnis der Taten II.1 bis 3, II.4 und 5, II.6 bis 9, II.10 und 11, II.13 bis 18, II.19 und 20, II.21 und 22, II.23 bis 25, II.26 und 27 sowie der Taten II.28 bis 33 und 35 zueinander jeweils Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor. Nach den Feststellungen fielen bei diesen Geschäften des Angeklagten, die er mit dem in seinen Aufzeichnungen als „R.“ bezeichneten Verkäufer tätigte, die jeweiligen Rauschmittellieferungen so mit der Erbringung von Teilzahlungen auf vorangegangene Geschäfte und bzw. oder die Erbringung von Teilzahlungen für verschiedene Geschäfte auf identische Tage - und damit naheliegend auf die gleiche Gelegenheit - zusammen, dass die einzelnen Umsatzgeschäfte durch eine gemeinsame teilidentische Ausführungshandlung untereinander verbunden sind.
Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung wie aus der Beschlussformel ersichtlich nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
2. Die vom Landgericht in den genannten Fällen verhängten Einzelstrafen unterliegen bereits infolge der Änderung des Schuldspruchs der Aufhebung. Sie und die von der Schuldspruchänderung nicht betroffenen Einzelstrafen begegnen allerdings auch für sich genommen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, was die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs bedingt.
a) Die Strafkammer hat in ihren Strafzumessungserwägungen den zeitlichen Abstand zwischen den Taten und dem Urteil nicht bedacht. Zu Gunsten des Angeklagten hat sie jeweils nur den Zeitablauf „zwischen Anklageerhebung und Hauptverhandlung von mehr als zwei Jahren“ strafmildernd berücksichtigt. Den zeitlichen Abstand zu den noch ein bis zweidreiviertel Jahre länger zurückliegenden Taten selbst hat sie dagegen nicht gewertet. Hierbei handelt es sich jedoch um einen gegenüber der Dauer des Verfahrens und einer möglichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung eigenständigen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (BGH, Urteil vom 3. November 2022 - 3 StR 321/21, Rn. 5; Beschlüsse vom 17. August 2022 - 4 StR 472/21, Rn. 6, und vom 6. Dezember 2018 - 4 StR 424/18, Rn. 10 jeweils mwN).
b) Die Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
3. Auch die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in der einen Betrag von 126.330 Euro übersteigenden Höhe gemäß §§ 73, 73c StGB begegnet durchgreifenden Bedenken. In ihre weitergehende Berechnung hat die Strafkammer Weiterverkaufserlöse aus den Geschäften mit dem „R.“ in Höhe von 134.790 Euro sowie in den übrigen Fällen (II.34, II.36 bis 38) von 16.680 Euro aufgenommen und die aufgefundenen 23.860 Euro in Abzug gebracht. Wie sie zu den 16.680 Euro gelangt ist, hat sie - wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift, in der er allerdings von einem Betrag von 16.330 Euro ausgeht, beanstandet - nicht näher dargelegt. Tatsächlich belegen die Feststellungen nur einen Betrag von 15.400 Euro. Hinsichtlich der in den Notizen 1 und 3 vermerkten Geschäfte können nur die als „bezahlt“ vermerkten Teilbeträge Berücksichtigung finden. Im Übrigen hat der Angeklagte aus ihnen nichts erlangt, weil die weitergehende Kaufpreisforderung nichtig ist (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2010 - 3 StR 62/10, BGHR StGB § 73 Erlangtes 11 Rn. 5). Ferner hat der Angeklagte aus dem Umsatz des ersten Kilogramms Amphetamin im Fall II.36 der Urteilsgründe von den einzelnen Abnehmern lediglich 2.740 Euro vereinnahmt und nicht 2.840 Euro, wie er in seiner Notiz 5 (oben) fälschlich errechnet hat.
4. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird bei der Bemessung der neuen Einzelstrafen für die in der Revision zur Tateinheit verbundenen Taten den gegenüber den bisher getrennt bewerteten Einzeltaten erhöhten Unrechtsgehalt in den Blick zu nehmen haben. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) verbietet in einem solchen Fall nur, dass die Summe der bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der für diese Tat neu festzusetzenden Strafe überschritten wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2022 - 2 StR 319/21, Rn. 15 mwN, und vom 2. August 2023 - 5 StR 107/23, Rn. 4).
Es wird auch Gelegenheit haben, genauer als bisher zu prüfen, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand „zwischen Anklageerhebung und Hauptverhandlung von mehr als zwei Jahren“ eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung darstellt, und wenn ja, welche Kompensation zu Gebote steht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146 ff.).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 882
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede