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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 136

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 319/21, Beschluss v. 04.10.2022, HRRS 2023 Nr. 136


BGH 2 StR 319/21 - Beschluss vom 4. Oktober 2022 (LG Frankfurt am Main)

Verschlechterungsverbot (Konkurrenzkorrektur: höhere Einzelstrafen, Summe der bisherigen Einzelstrafen, neue Gesamtstrafe).

§ 358 Abs. 2 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht in Fällen, in denen wegen einer Konkurrenzkorrektur aufgrund der Revision eines Angeklagten neue Einzelstrafen festzusetzen sind, der Verhängung einer höheren Einzelstrafe nicht entgegen. Werden vom ersten Tatgericht als rechtlich selbständig erachtete Taten durch das Revisionsgericht oder ein neues Tatgericht zur Tateinheit verbunden, ist der Unrechtsgehalt dieser einen Tat gegenüber den bisher getrennt behandelten Einzelakten erhöht. Das Verschlechterungsverbot gebietet dann nur, dass die Summe der bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird; überdies darf die neue Gesamtstrafe nicht höher als bisher ausfallen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten E. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. Januar 2021, soweit es ihn betrifft

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass er des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist,

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe und die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten,

c) im Ausspruch über die Einziehung dahin geändert, dass 20,508 kg Marihuana und weitere 388 g Marihuana eingezogen werden.

2. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass er des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen schuldig ist,

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe und die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten,

c) im Ausspruch über die Einziehung dahin geändert, dass 20,508 kg Marihuana und weitere 388 g Marihuana eingezogen werden,

d) die Anordnung der Einziehung von Wertersatz von Taterträgen aufgehoben, soweit sie 4.500 Euro übersteigt.

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten E. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, ferner die Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die Einziehung seines Führerscheins mit einer Sperrfrist für die Wiedererteilung von drei Jahren sowie die Einziehung von Wertersatz für Taterträge in Höhe von 150 Euro angeordnet. Gegen den Angeklagten K. hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und die Einziehung von Wertersatz für Taterträge in Höhe von 42.700 Euro angeordnet. Außerdem hat es bestimmt, dass die „unter der LÜ-Nr. 1147/20 sichergestellten Rauschmittel“ eingezogen werden. Gegen dieses Urteil richten sich die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten, diejenige des Angeklagten K. auch mit einer Verfahrensrüge. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Die Angeklagten betrieben seit Februar 2019 Handel mit Marihuana und Haschisch. Die Betäubungsmittel bezogen sie aus Spanien. Der Angeklagte K. hatte die Aufgabe, für die Lieferung der Betäubungsmittel zu sorgen, wobei er Menge, Preis und Umstände der Lieferung mit einem Kontaktmann in Spanien absprach, während E. für das Abholen und die Lagerung zuständig war.

a) Am 1. Juli 2019 bestellte der Zeuge R. bei dem Angeklagten K. zwei Kilogramm Marihuana. Dieser beauftragte den Angeklagten E. damit, das Marihuana zu besorgen und es an R. auszuliefern. E . begab sich zu G., der aber nur ein Kilogramm Marihuana vorrätig hatte, das E. nach Rücksprache mit K. an R. lieferte, der dafür 4.500 bis 5.000 Euro an K. zahlte (Fall II.1 der Urteilsgründe).

b) Kurz vor dem 22. Juli 2019 bestellte der Angeklagte K. bei seinem Kontaktmann M. in Spanien die Lieferung von 28 Kilogramm Haschisch. Weil die Angeklagten keine ausreichenden Geldreserven für den Kaufpreis hatten, wurde ein Kommissionsgeschäft vereinbart. Nachdem der Kuriertransport aus Spanien angekommen war, begaben sich E. und Ra. in zwei PKWs, darunter einem Opel Combo des K., zur Autobahnraststätte B. Dort übernahm Ra. von dem Lieferfahrer das Haschisch. E. blieb in der Nähe, um die Übergabe abzusichern. Ra. brachte die Betäubungsmittel am nächsten Tag zur Wohnung von E., der es dort zwischenlagerte und dann in einen Kastenwagen des Angeklagten K. deponierte. Weil das Haschisch von schlechter Qualität war, kam es beim Absatz der Drogen zu Beschwerden und Retouren. Daher erzielten die Angeklagten durchschnittlich nur einen Erlös von 1.900 Euro pro Kilogramm. Auch gelang es nicht, sämtliche Betäubungsmittel zu verkaufen. Zuletzt standen überdies Zahlungen der Abnehmer in Höhe von 10.000 bis 15.000 Euro aus. Praktisch erzielten die Angeklagten keinen Gewinn. Auch blieb der Angeklagte K. seinem Kontaktmann M. Geld schuldig (Fall II.2 der Urteilsgründe).

c) Noch während laufender Verkäufe aus der Liefermenge von 28 Kilogramm Haschisch vereinbarte der Angeklagte K. mit M. ein weiteres Rauschiftgeschäft. Dabei kam er mit M. überein, dass anlässlich der Übergabe der neuen Lieferung ein Teilbetrag der rückständigen Kaufpreiszahlung für das vorherige Geschäft an die Kuriere aus Spanien übergeben werden sollte. Im November wurde der Lieferumfang auf 21 Kilogramm festgelegt. Als Übergabeort nannte M. die Einfahrt zu einem Depot der Firma T. in W. In der Nacht vom 12. auf den 13. November 2019 wurden die Drogen in Ba. vom Lieferanten an die Lkw-Fahrer F. und S. übergeben. E. begab sich am 13. November 2019 mit seinem Pkw Peugeot 3008 zum vereinbarten Übergabeort. Dort traf er gegen 18.20 Uhr die Drogenkuriere und übergab diesen 8.200 Euro für M. Zugleich kam es zur Übergabe von 20,508 kg Marihuana an E. Dieser verstaute die Betäubungsmittel in seinem Auto und wollte damit wegfahren. Die Rauschgiftübergabe wurde aber polizeilich überwacht und der Einsatzleiter gab den Befehl zum Zugriff (Fall II.3 der Urteilsgründe).

d) E. entfernte sich vom Übergabeort, wurde aber von zivilen Einsatzfahrzeugen der Polizei eingekreist. Er entschloss sich gleichwohl zur Flucht und schaffte es, durch eine Lücke zwischen den Polizeifahrzeugen hindurchzufahren. Er fuhr mit 90 km/h in Richtung des Übergabeortes des Rauschgifts zurück. In der Gegenrichtung hatte sich ein weiteres ziviles Einsatzfahrzeug der Polizei genähert und blieb in Höhe der Hinterräder des spanischen LKWs stehen. Dadurch wurde die Fahrbahn blockiert. Ein Polizeibeamter verließ das Einsatzfahrzeug. Spätestens 260 m vor dem Ort des nachfolgenden Unfalls nahm E. die Scheinwerfer des Polizeitransporters wahr. Er versuchte, durch Betätigen der Lichthupe die Beamten zum Wegfahren zu nötigen. Das Polizeifahrzeug blieb aber stehen. Der ausgestiegene Polizeibeamte stand zwischen den eingeschalteten Frontscheinwerfern und wurde von E. erst kurz vor dem Unfall gesehen. 39,6 m vor dem Polizeitransporter leitete er eine Vollbremsung ein, die den Aufprall auf das Polizeifahrzeug nicht mehr verhindern konnte. Der vor dem Fahrzeug stehende Polizeibeamte konnte sich durch einen Sprung zur Seite retten, jedoch wurde ein noch im Fahrzeug sitzender Polizeibeamter verletzt (Fall II.4 der Urteilsgründe).

Bei der nachfolgenden Durchsuchung in der Wohnung des Angeklagten E. wurden 388 g Marihuana sichergestellt.

2. Das Landgericht hat in den Fällen II.1 bis II.3 der Urteilsgründe jeweils rechtliche selbständige Handlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch die beiden Angeklagten gesehen und E. im Fall II.4 der Urteilsgründe nach Verfahrensbeschränkungen gemäß § 154a StPO zusätzlich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

II.

Das Urteil bedarf aufgrund der Revisionen der Angeklagten einer Konkurrenzkorrektur (1.), die sich auf die Strafaussprüche auswirkt (2.). Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen bezüglich des Angeklagten K. unterliegt zum Teil der Aufhebung (3.) und die Einziehung der Betäubungsmittel ist zu korrigieren (4.).

1. In den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe liegt wegen Teilidentität von Ausführungshandlungen jeweils nur eine Tat vor. Das zwingt zur Konkurrenzkorrektur.

a) Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur eine Tat vor, wenn die vorangegangene Lieferung bezahlt und zugleich eine zuvor bestellte Lieferung entgegengenommen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 8; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 88/17, NStZ-RR 2018, 351; vom 10. Januar 2019 - 3 StR 448/18, NStZ-RR 2019, 250, 251; vom 14. Mai 2019 - 3 StR 65/19). Das gilt auch dann, wenn - wie hier - bei der Übermittlung einer Teilzahlung für eine frühere Lieferung mit der Übernahme der neuen Lieferung zusammentrifft.

b) Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die Angeklagten nicht anders als geschehen verteidigen könnten.

2. Die Aussprüche über die Einzelstrafen für die beiden Angeklagten in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe sind aufzuheben. Das entzieht auch den Gesamtfreiheitsstrafen die Grundlage.

a) Das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht in Fällen, in denen wegen einer Konkurrenzkorrektur aufgrund der Revision eines Angeklagten neue Einzelstrafen festzusetzen sind, der Verhängung einer höheren Einzelstrafe nicht entgegen. Werden vom ersten Tatgericht als rechtlich selbständig erachtete Taten durch das Revisionsgericht oder ein neues Tatgericht zur Tateinheit verbunden, ist der Unrechtsgehalt dieser einen Tat gegenüber den bisher getrennt behandelten Einzelakten erhöht. Das Verschlechterungsverbot gebietet dann nur, dass die Summe der bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird; überdies darf die neue Gesamtstrafe nicht höher als bisher ausfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2002 - 1 StR 313/02, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12; Beschluss vom 8. Juni 2004 - 4 StR 150/04; Beschluss vom 13. März 2019 - 4 StR 491/18, NZWiSt 2019, 442).

b) Danach kann der Senat weder unter Wegfall einer Einzelstrafe lediglich die höhere bestehen lassen, noch kann er trotz Wegfalls von zwei Einzelstrafen, darunter der jeweiligen Einsatzstrafe, die Gesamtstrafen aufrechterhalten. Die Bestimmung der aufgehobenen Einzelund Gesamtfreiheitsstrafen obliegt dem neuen Tatrichter.

3. Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen bei dem Angeklagten K. ist bereits aufgrund der Sachrüge aufzuheben, soweit sie den rechtsfehlerfrei bestimmten Teilbetrag von 4.500 Euro übersteigt; auf die Verfahrensrüge kommt es insoweit nicht an. Anhand der Urteilsgründe ist nicht nachzuvollziehen, wie der angenommene Durchschnittspreis für das Weiterveräußern der Lieferung von 28 Kilogramm Haschisch schlechter Qualität und der veräußerte Teil der Drogenlieferung bestimmt wurden, ferner woraus sich die angenommene Höhe offenstehender Kaufpreiszahlungen ergeben hat.

4. Der Ausspruch über die Einziehung der Betäubungsmittel hat die einzuziehenden Gegenstände so genau zu kennzeichnen, dass bei allen Beteiligten und der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht; die Bezugnahme auf ein Asservatenverzeichnis genügt nicht. Einer Zurückverweisung der Sache bedarf es aber nicht, wenn die Urteilsgründe die erforderlichen Angaben enthalten und das Revisionsgericht analog § 354 Abs. 1 StPO die Einziehungsentscheidung selbst treffen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Oktober 2022 - 2 StR 86/22, juris). Das ist hier der Fall. Die Urteilsgründe enthalten die erforderlichen Angaben über Art und Menge der sichergestellten Betäubungsmittel, mit denen der Senat die konkrete Bezeichnung der einzuziehenden Gegenstände nachholt.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 136

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede