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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 321

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, StB 2/24, Beschluss v. 24.01.2024, HRRS 2024 Nr. 321


BGH StB 2/24 - Beschluss vom 24. Januar 2024 (OLG Düsseldorf)

Fortdauer der Untersuchungshaft (Haftbeschwerde; Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung der konkreten Straferwartung); Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Verhandlungsdichte; Selbstleseverfahren; Planung der Beweisaufnahme; Prozessverhalten der Angeklagten und ihrer Verteidiger).

§ 112 StPO; § 304 StPO; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 EMRK

Leitsätze des Bearbeiters

1. In Haftsachen ist grundsätzlich eine Verhandlungsdichte von durchschnittlich mehr als einem Tag pro Woche erforderlich. Ferien- und Krankheitszeiten haben bei der Berechnung außer Betracht zu bleiben. Jedoch ist ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht streng schematisch an der Terminierungsdichte festzumachen; ebenfalls entscheidend sind die konkreten Verfahrensabläufe in der Hauptverhandlung.

2. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Entscheidung über die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Dazu gehört die sorgfältige Planung der Beweisaufnahme. Die voraussichtliche Dauer einer Beweiserhebung durch das Gericht ist im Vorfeld ebenso abzuschätzen wie die Wahrnehmung von Frage- und Erklärungsrechten der Verfahrensbeteiligten, um Leerläufe möglichst gering zu halten.

3. Strafgerichte sind nicht dazu gehalten, für Situationen, in denen ein für den entsprechenden Tag vorgesehenes Beweisprogramm früher als ursprünglich vorgesehen abgeschlossen ist, stets eine alternative tagesfüllende Beweisaufnahme vorzubereiten und vorzuhalten.

4. Soweit der bisherige Verlauf eines Verfahrens zumindest auch auf dem Prozessverhalten der Angeklagten und ihrer Verteidiger beruht - und etwa von zahlreichen Anträgen und Widersprüchen der Angeklagten geprägt ist - hat dies bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer Berücksichtigung zu finden.

Entscheidungstenor

1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Dezember 2023 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist am 17. Mai 2022 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. Mai 2022 festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich von Sommer 2014 bis Dezember 2018 an verschiedenen Orten der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere in B., Br. und H., als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - DHKPC) beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.

Mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2022 (AK 45-47/22, juris) und 5. April 2023 (AK 14-16/23, juris) hat der Senat die Haftfortdauer über sechs sowie über neun Monate hinaus angeordnet. Nachdem der Generalbundesanwalt gegen den Angeklagten und zwei Mitangeklagte die Anklage zum Oberlandesgericht erhoben hatte, hat dieses anlässlich der Eröffnung des Hauptverfahrens am 1. Juni 2023 ebenfalls die Haftfortdauer beschlossen. Seit dem 14. Juni 2023 findet die Hauptverhandlung statt.

Aufgrund Haftprüfungsantrages des Angeklagten hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2023 erneut entschieden, dass die gegen den Angeklagten angeordnete Untersuchungshaft aufrechterhalten und in Vollzug bleibt. Dagegen wendet er sich mit seiner Beschwerde. Er macht zum einen geltend, dass die Höhe der zu erwartenden Strafe angesichts seiner bereits seit über eineinhalb Jahren andauernden Inhaftierung keine Fluchtgefahr zu begründen vermöge und seine familiäre Einbindung sowie feste Verwurzelung in Deutschland einer solchen ohnehin entgegenstehe. Zum anderen rügt er eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes.

Mit Beschluss vom 27. Dezember 2023 hat das Oberlandesgericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Angeklagte ist der ihm im vollstreckten Haftbefehl angelasteten Tat weiterhin dringend verdächtig. Auf die früheren Haftprüfungsentscheidungen des Senats und den dort in Bezug genommenen Inhalt der Anklageschrift wird verwiesen. In den Gründen des angefochtenen Beschlusses hat das Oberlandesgericht dargelegt, der dringende Tatverdacht werde durch den in der Hauptverhandlung erhobenen Zeugen- und Urkundenbeweis gestützt. Anhaltspunkte dafür, dass er noch entkräftet werden könnte, seien nicht zutage getreten. Der Angeklagte habe eine politische Erklärung abgegeben, weitere Angaben jedoch verweigert. Seine auf die Beweiserhebung gerichteten Anträge beschränkten sich auf die politische Lage in der Türkei, eine angenommene Willkürlichkeit der Verfolgungsermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 bis 5 StGB sowie die Rechtfertigung von etwaigen Anschlägen der DHKPC. Die Beweisaufnahme stehe vor dem Abschluss.

Die Ausführungen des Oberlandesgerichts genügen den rechtlichen Maßstäben, die für die im Haftbeschwerdeverfahren vorzunehmende Überprüfung des dringenden Tatverdachts während laufender Hauptverhandlung gelten (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 21. September 2020 - StB 28/20, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 5 Rn. 16 f. mwN). Insoweit hat der Angeklagte mit seiner Beschwerde auch keine Beanstandungen erhoben. Mit einer im Nachgang in der Hauptverhandlung abgegebenen und hier vorgelegten Einlassung hat er im Wesentlichen sein Unverständnis mit der Strafverfolgung zum Ausdruck gebracht.

2. Die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) bestehen fort.

a) Fluchtgefahr ist gegeben, weil die Würdigung sämtlicher Umstände es weiterhin wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte, auf freien Fuß gelangt, dem Verfahren entzöge, als dass er sich ihm zur Verfügung stellte.

Von der konkreten Straferwartung geht weiterhin ein Fluchtanreiz aus. Wenngleich dieser mit zunehmender Dauer des im Fall der rechtskräftigen Verurteilung anzurechnenden - nunmehr länger als ein Jahr und acht Monate währenden - Untersuchungshaftvollzugs geringer wird (zur sog. Nettostraferwartung s. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 9 mwN), ist die im angefochtenen Beschluss getroffene tatrichterliche Prognose nicht zu beanstanden, der Angeklagte habe nach wie vor mit einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe von Gewicht zu rechnen. Das Oberlandesgericht hat hierbei bedacht, dass die angeklagte Tat mehrere Jahre zurückliegt. Der Einschätzung des Angeklagten, der mit einer Freilassung bei Urteilsverkündung rechnet, hat es sich nachvollziehbar entgegengestellt.

Weitere fluchtbegünstigende Umstände sind die hochwahrscheinliche Erfahrung des Angeklagten oder jedenfalls seiner Kontaktpersonen der DHKPC mit der Nutzung falscher Ausweispapiere und der Beherbergung von im Untergrund agierenden Aktivisten in konspirativen Wohnungen (s. bereits Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2022 - AK 45-47/22, juris Rn. 29). Nach der nicht zu beanstandenden vorläufigen Beweiswürdigung des Staatsschutzsenats, die sich inhaltlich mit zahlreichen früheren Verurteilungen von Oberlandesgerichten deckt, verfügt die Vereinigung über ein Netz von Mitgliedern in ganz Europa.

Entscheidende neue fluchthemmende Faktoren haben sich entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift und dem Schriftsatz vom 19. Januar 2024 nicht ergeben. So ist die wohnliche, familiäre und berufliche Bindung des Angeklagten an H. insbesondere nicht dadurch relevant verfestigt, dass seine knapp zweijährige Tochter inzwischen eine städtische Kindertagesstätte besucht. Gleiches gilt für das Studium und die feste Anstellung seiner Ehefrau sowie den Umstand, dass der Angeklagte seinerseits wieder studieren möchte.

b) Außerdem liegen die Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 StPO vor. Bei dessen gebotener restriktiver Auslegung genügt hierfür eine nach den Umständen des Falls nicht auszuschließende Fluchtgefahr. Ausreichend ist ein verhältnismäßig geringes oder entferntes Risiko, das nicht mit bestimmten Tatsachen belegbar sein muss. Nur wenn nach den Umständen des Einzelfalls gewichtige Gründe gegen jede Fluchtgefahr sprechen, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von einem auf § 112 Abs. 3 StPO gestützten Haftbefehl abzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2022 - StB 15/22, juris Rn. 12 mwN). Derartige Gründe sind hier, wie dargestellt, nicht gegeben.

3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist nicht erfolgversprechend. Unter den genannten Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdebegründung ist das Verfahren seit der letzten Haftentscheidung des Senats vom 5. April 2023 (AK 14-16/23, juris) weiterhin in einer Weise gefördert worden, die dem Anspruch des inhaftierten Angeklagten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist genügt (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EMRK; zu den insoweit nach st. Rspr. anzuwendenden Maßstäben s. etwa BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 2020 - StB 1/20, juris Rn. 14 f.; vom 24. September 2020 - AK 31/20, juris Rn. 7 f.; vom 13. April 2021 - AK 29/21, juris Rn. 8 f.).

Das Verfahren richtet sich gegen drei Angeklagte, denen der Generalbundesanwalt jeweils verschiedene Beteiligungshandlungen vorwirft, die sich über einen Zeitraum von über vier Jahren erstrecken. Für die beiden Mitangeklagten ist eine Übersetzung in die türkische Sprache erforderlich.

a) Vor diesem Hintergrund ist zunächst keine dem Oberlandesgericht zuzurechnende Verzögerung darin zu erblicken, dass es die Anklageschrift von einer erfahrenen Dolmetscherin hat übersetzen lassen (§ 187 Abs. 2 Satz 1 GVG), die in einem vergangenen Verfahren beanstandungsfrei gearbeitet hatte. Nachdem die Verteidigung die inhaltliche Richtigkeit der Übersetzung moniert hatte, hat der Staatsschutzsenat eine andere Person mit der Überprüfung beauftragt und die Frist zur Stellungnahme (§ 201 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 StPO) verlängert, wenngleich nicht im von der Verteidigung beantragten Ausmaß. Nach Fristablauf am 25. Mai 2023 hat es das Verfahren am 1. Juni 2023 eröffnet und am 14. Juni 2023 mit der Hauptverhandlung begonnen. Diese Abläufe verstoßen nicht gegen das Beschleunigungsgebot.

b) In Haftsachen ist grundsätzlich eine Verhandlungsdichte von durchschnittlich mehr als einem Tag pro Woche erforderlich. Ferien- und Krankheitszeiten haben bei der Berechnung außer Betracht zu bleiben. Jedoch ist ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht streng schematisch an der Terminierungsdichte festzumachen; ebenfalls entscheidend sind die konkreten Verfahrensabläufe in der Hauptverhandlung (st. Rspr.; EGMR, Urteil vom 29. Juli 2004 - 49746/99, NJW 2005, 3125 Rn. 51; BVerfG, Beschlüsse vom 29. Dezember 2005 - 2 BvR 2057/05, BVerfGK 7, 140, 161 f.; vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640 Rn. 39 ff.; BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2018 - StB 45/18, juris Rn. 11; vom 18. Dezember 2019 - StB 29/19, juris Rn. 22; vom 23. Januar 2020 - StB 1/20, juris Rn. 16 ff.; vom 26. Mai 2020 - StB 15/20, juris Rn. 23; vom 5. Oktober 2022 - StB 41/22, juris Rn. 22; vom 9. Februar 2023 - StB 4/23, juris Rn. 21; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 121 Rn. 20 mwN).

Die hiesige Hauptverhandlung ist durchweg grundsätzlich auf zwei Verhandlungstage pro Woche terminiert mit zeitlich überschaubaren Unterbrechungen wegen Urlaubs und Fortbildungen der Senatsmitglieder. Einige für das letzte Jahr geplante Hauptverhandlungstage haben wegen der Verhinderung eines Mitverteidigers sowie dringender Arztbesuche eines krebserkrankten Mitangeklagten ausfallen müssen. Tatsächlich ist die Sache binnen der 28 Wochen bis zur Weihnachtspause an 29 Tagen verhandelt worden. Diese Frequenz ist angesichts der Komplexität des Verfahrens und der damit einhergehenden Notwendigkeit für Zwischenberatungen - allein bis zum angefochtenen Haftfortdauerbeschluss hat das Oberlandesgericht über mehr als 40 Anträge und Widersprüche der Verteidigung zu entscheiden gehabt - nicht zu beanstanden.

c) Hinzu kommt, dass der Staatsschutzsenat das Verfahren mittels eines umfangreichen Selbstleseverfahrens gefördert hat (zur beschleunigenden Wirkung des Selbstleseverfahrens s. BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2019 - StB 18/19, juris Rn. 12). Ausweislich des Beschwerdevorbringens sind die Urkunden allein bis zum 23. November 2023 in der Haftanstalt 87,5 Stunden lang für die Mitangeklagten übersetzt worden. Bei einer durchschnittlichen Dauer eines Hauptverhandlungstages von sechs Stunden entspricht dies mehr als 14,5 Tagen. Weshalb die Beschwerde gleichwohl vorträgt, das Selbstleseverfahren verzögere die Urteilsfindung, anstatt sie zu beschleunigen, erschließt sich nicht. Der Nichtabhilfebeschluss führt zur seitens der Verteidigung gewünschten unmittelbaren Erörterung jeder verlesenen Urkunde mit dem Mandanten im Ãœbrigen zutreffend aus, eine solche sei nicht Gegenstand der im Rahmen von § 249 Abs. 2 StPO zu gewährenden Möglichkeit der Kenntnisnahme.

d) Soweit der Angeklagte bemängelt, dass die Hauptverhandlungstage zeitlich nicht immer vollständig ausgeschöpft würden, ist vorliegend auch hierin keine vermeidbare Verzögerung zu sehen. Zunächst ist dieser Umstand zum Teil Verhinderungen der Verteidiger zuzuschreiben. Im Übrigen gilt:

Strafprozesse sind vorausschauend zu organisieren und straff zu führen. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Entscheidung über die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 24. September 2020 - AK 31/20, juris Rn. 8 mwN). Dazu gehört die sorgfältige Planung der Beweisaufnahme. Die voraussichtliche Dauer einer Beweiserhebung durch das Gericht ist im Vorfeld ebenso abzuschätzen wie die Wahrnehmung von Frage- und Erklärungsrechten der Verfahrensbeteiligten, um Leerläufe möglichst gering zu halten.

Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass eine derartige Vorausschau weder dem Gericht noch den übrigen Verfahrensbeteiligten in jedem Einzelfall optimal gelingt. So ist es auch hier gewesen: Ausweislich der angefochtenen Haftfortdauerentscheidung hat die Verteidigung um erneute Ladung einer Zeugin zu einem Folgetermin gebeten, an dem entsprechenden Tag jedoch auf jegliche Fragen an die erschienene Zeugin verzichtet. Soweit Verhandlungstage im Übrigen früher als ursprünglich vorgesehen beendet worden sind, hat dies ebenfalls allein daran gelegen, dass das für den entsprechenden Tag vorgesehene Beweisprogramm abgeschlossen gewesen ist. Der Vorsitzende ist nicht gehalten gewesen, für derartige Situationen eine alternative tagesfüllende Beweisaufnahme vorzubereiten und vorzuhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2020 - StB 1/20, juris Rn. 22).

e) Ansatzpunkte für das Oberlandesgericht, den Abschluss der Hauptverhandlung zusätzlich zu beschleunigen, ergeben sich nicht. Wie aufgezeigt, ist das Verfahren von zahlreichen Anträgen und Widersprüchen der Angeklagten geprägt. Die vom Staatsschutzsenat im Rahmen der Amtsaufklärung für geboten gehaltene Beweisaufnahme ist nur deshalb noch nicht beendet, weil sich die Verteidigung gegen den Abschluss des Selbstleseverfahrens wendet; sie hält die verstrichene Zeit von sechs Monaten für die Kenntnisnahme des Inhalts der Urkunden für unzureichend und deren Verlesung und Ãœbersetzung in öffentlicher Hauptverhandlung für vorzugswürdig. Danach beruht der bisherige konkrete Verlauf des Verfahrens zumindest auch auf dem Prozessverhalten der Angeklagten und ihrer Verteidiger. Dies hat bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer Berücksichtigung zu finden, ohne dass hierzu eine Bewertung des Verhaltens als nicht sachdienlich erforderlich wäre (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 - StB 41/22, juris Rn. 22 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 321

Bearbeiter: Fabian Afshar