HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1470
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 269/24, Beschluss v. 14.08.2024, HRRS 2024 Nr. 1470
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 12. März 2024
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass er des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis sowie des Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig ist und
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und ein Vorwegvollzug der Strafe angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Siegburg vom 6. Dezember 2022 nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass drei Monate der Strafe vor der Maßregel zu vollstrecken sind.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
1. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils führt zu einer Neufassung des Schuldspruchs.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts besaß der Angeklagte am 7. April 2022 eine Gesamtmenge von 11,1 g Amphetamin, die zum Eigenkonsum bestimmt war (Fall I. 2. a) der Urteilsgründe). Am 17. Mai 2022 wurden bei dem Angeklagten 2.352,02 g Amphetamin, 295,7 g Amphetaminsulfatzubereitung und 375,91 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 50,5 g THC aufgefunden. Der Angeklagte wollte diese Rauschmittel gewinnbringend weiterveräußern (Fall I. 2. b) der Urteilsgründe).
b) Gegenstand der Verurteilung im Fall I. 2. b) der Urteilsgründe ist auch das Handeltreiben des Angeklagten mit Marihuana und damit Cannabis im Sinne von § 1 Nr. 4, 8 KCanG. Der Schuldspruch ist daher an die Änderungen durch das am 1. April 2024 in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz (KCanG) anzupassen, auf das gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO als milderes Recht bei der revisionsrechtlichen Kontrolle abzustellen ist. Dass sich die Tat auf Cannabis in nicht geringer Menge bezogen hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, NJW 2024, 420, 421 f.), weswegen das gesetzliche Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG vorliegt, bedarf keiner Kennzeichnung in der Urteilsformel (vgl. nur Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 30. Aufl., Rn. 45, 50 mwN).
c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es nicht. Der Senat kann im Hinblick auf die im Fall I. 2. b) der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe angesichts der großen Menge an Amphetamin, die die Menge des ebenfalls zum gewinnbringenden Verkauf bestimmten Marihuanas um ein Vielfaches übersteigt, ausschließen, dass die Tathandlung des Angeklagten in Bezug auf diese Droge bei der Bestimmung des Schuldumfangs und damit bei der Findung der verhängten Strafe mitentscheidend war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2024 - 3 StR 159/24, Rn. 6).
3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält indes revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
Zwar besteht bei dem Angeklagten eine langjährige polyvalente Betäubungsmittelabhängigkeit, die den von der Neufassung des § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzten Begriff einer Substanzkonsumstörung erfüllt (vgl. näher BT-Drucks. 20/5913, S. 69). Die bisherigen Feststellungen belegen aber nicht, dass die Taten des Angeklagten im Sinne der Neuregelung „überwiegend“ hierauf zurückgehen. Von einer überwiegenden Verursachung der Tat durch den Hang ist vor allem in den Fällen auszugehen, in denen die Tat auf Drogenhunger oder die Notwendigkeit zum Erwerb des Rauschmittels zur Vermeidung von Entzugserscheinungen zurückgeht („klassische Beschaffungskriminalität“), aber auch, wenn aggressive Handlungen infolge der Abhängigkeit oder Intoxikation begangen worden sind (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 47). Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs muss das Tatgericht - gegebenenfalls unter sachverständiger Hilfe - positiv feststellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2023 - 4 StR 188/23, Rn. 7; vom 12. Dezember 2023 - 3 StR 343/23, Rn. 12 und vom 2. Januar 2024 - 5 StR 545/23, Rn. 2).
Das Landgericht hat bei seiner Prüfung diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht durchgängig beachtet und deshalb seine Feststellungen nicht daran ausgerichtet. Die vom Landgericht getroffene Feststellung, der über keine nennenswerten anderweitigen Einkünfte im Tatzeitraum verfügende Angeklagte habe „mit den Drogen gehandelt, um seinen eigenen Konsum zu finanzieren“, belegt zwar eine Mitursächlichkeit des nicht unerheblichen Konsums des Angeklagten für seine Straftat, nicht belegt ist jedoch mit Blick auf die Menge der gehandelten Betäubungsmittel im Vergleich zu der benötigten Eigenkonsummenge inwieweit sein Konsum überwiegende Ursache für die verfahrensgegenständliche Tat war.
Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf daher erneuter Prüfung und Entscheidung. Die Aufhebung der Unterbringungsanordnung entzieht der Anordnung über den Vorwegvollzug die Grundlage. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
4. Sollte das neue Tatgericht erneut die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen und über einen Vorwegvollzug nach Maßgabe von § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB entscheiden, wird es zu beachten haben, dass die erlittene Untersuchungshaft bei der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs außer Betracht zu bleiben hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 - 3 StR 458/21, Rn. 15; vom 15. Januar 2020 - 1 StR 601/19, Rn. 4, und vom 6. März 2019 - 3 StR 29/19, Rn. 2).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1470
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede