HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 182
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 145/24, Beschluss v. 23.10.2024, HRRS 2025 Nr. 182
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 20. Dezember 2023 wird, soweit es ihn betrifft
a) hinsichtlich Fall II.8/9 der Urteilsgründe der Vorwurf des Besitzes von Betäubungsmitteln und Cannabisprodukten von der Verfolgung ausgenommen;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte schuldig ist des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, des Handeltreibens mit Cannabis in fünf Fällen sowie des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge,
c) das vorgenannte Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, hinsichtlich der Einziehungsentscheidung mit den zugehörigen Feststellungen; die Einzelstrafe für Fall II.8 der Urteilsgründe entfällt.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Haschisch, Marihuana, Kokain) in nicht geringer Menge in acht Fällen (Fälle II.1 bis 8 der Urteilsgründe) sowie wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Haschisch, Marihuana, Kokain) in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln (Haschisch, Marihuana, Kokain) in nicht geringer Menge (Fall II.9 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die erweiterte Einziehung einer Rolex-Armbanduhr und die Einziehung des Wertes des „Taterlangten“ in Höhe von 116.690 Euro angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Nach den Feststellungen handelte der Angeklagte mit Drogen (Haschisch, Marihuana, Amphetamin und Kokain), die er von unbekannt gebliebenen Lieferanten bezog und sowohl an Zwischenhändler als auch an Endabnehmer verkaufte. Die Drogen lagerte er in einem fahruntüchtigen, in der Nähe zu seiner Wohnung abgestellten, als Bunkerfahrzeug dienenden VW Polo, den er bis zu zwei Mal täglich aufsuchte, um Drogen für den Verkauf zu entnehmen. Die Bestellvorgänge wickelte der Angeklagte über ein Kryptohandy von ANOM ab, der Verkauf erfolgte mittels persönlicher Übergabe oder per Postversand.
Im Einzelnen kam es zu folgenden Taten:
1. Am 14. April 2021 erwarb der Angeklagte ein Kilogramm Marihuana zu einem Preis von 4.000 Euro zum gewinnbringenden Weiterverkauf.
2. Am 10. Mai 2021 erwarb der Angeklagte 2,5 kg Haschisch, das er für 4.150 Euro an einen Dritten weiterverkaufte.
3. Am 11. Februar 2022 verkaufte der Angeklagte 10 kg Marihuana für 40.000 Euro.
4. Am 20. Februar 2022 veräußerte der Angeklagte 100 Gramm Kokain zu einem Kaufpreis von 4.600 Euro.
5. Am 10. März 2022 bot der Angeklagte demselben Abnehmer weitere 100 Gramm Kokain zum Kauf an. Das Geschäft kam nicht zustande.
6. Am 11. März 2022 veräußerte der Angeklagte 9.738,8 Gramm Marihuana und 922 Gramm Haschisch zu einem Preis von 59.200 Euro.
7. Am 14. Juni 2022 verkaufte der Angeklagte 300 Gramm Haschisch und 60,4 Gramm Marihuana per Postversand für 2.220 Euro.
8. Am 22. August 2022 entnahm der Angeklagte aus dem VW Polo eine mit Haschischplatten und Marihuana gefüllte Einkaufstüte, begab sich in seine Wohnung und machte dort 288,9 Gramm Haschisch und 87,3 Gramm Marihuana versandfertig. Nach Erhalt des Kaufpreises von 2.520 Euro per Überweisung brachte die nicht revidierende Mitangeklagte S. das Paket am Folgetag zur Post.
9. Am 24. August 2022 wurde der Angeklagte verhaftet, seine Wohnung und das Bunkerfahrzeug VW Polo wurden durchsucht.
In dem PKW wurden zum Verkauf bestimmte größere Mengen Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt von insgesamt 1.346,36 Gramm und Kokain mit einem KHC-Gehalt von 184,48 Gramm aufgefunden. In der Wohnung wurden verteilt an verschiedenen Orten und in verschiedenen Behältnissen ausschließlich zum Eigenverbrauch bestimmte Cannabisprodukte mit einem Gesamtgewicht von 57,9™5 Gramm sowie 0,12 Gramm Amphetamin und 0,02 Gramm Kokain aufgefunden. Unter anderem sichergestellt wurden 2.000 Euro Bargeld, eine Breitling-Uhr, eine von dem Angeklagten getragene Uhr „Rolex Submariner“ sowie eine Goldkette. Zugriffsbereit befanden sich in der Wohnung zudem ein geladener und einsatzbereiter Elektroschocker sowie eine PTB-Pistole nebst Magazin und Munition.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung u.a. auf die Herausgabe der Breitling-Uhr, der Goldkette, der Pistole nebst Munition, des Elektroschockers sowie des Bargeldes in Höhe von 2.000 Euro verzichtet. Darüber hinaus hat er sein Einverständnis zur Verwendung der von ihm geleisteten Kaution für die Begleichung einzuziehender Beträge erklärt.
1. Die erhobene Formalrüge ist nicht näher ausgeführt und daher unzulässig gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils führt zur Neufassung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.
a) Die revisionsrechtliche Nachprüfung des Schuldspruchs hat gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO nach dem Maßstab des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Cannabisgesetzes zu erfolgen (BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, NJW 2024, 1968 Rn. 4 und vom 4. Juni 2024 - 2 StR 416/23, Rn. 5).
aa) Während die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge in den Fällen II.4 und 5 der Urteilsgründe keinen Bedenken begegnet, unterfällt das in den Fällen II.1 bis 3, 6 und 7 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei festgestellte Tatgeschehen nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz. Vielmehr ist der Handel mit Cannabis nunmehr gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbar. Anders als der Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, dessen Strafrahmen das Landgericht angeordnet hat und der für den Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge einen Strafrahmen von 1 bis 15 Jahren Freiheitsstrafe eröffnet, sieht der nunmehr als Regelbeispiel ausgestaltete Vergehenstatbestand des § 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG für den Handel mit Cannabis in nicht geringer Menge lediglich noch einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor. Gemäß § 2 Abs. 3 StGB ist in den Fällen II.1 bis 3, 6 und 7 der Urteilsgründe das mildere Recht zu Grunde zu legen. Der Senat passt insoweit den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 i.V.m. § 354a StPO an die am 1. April 2024 in Kraft getretenen rechtlichen Bestimmungen an.
bb) Soweit das Landgericht in den Fällen II.8 (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) und II.9 der Urteilsgründe (bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) zwei selbständige Taten angenommen hat, ist dies rechtsfehlerhaft. Nach den Feststellungen zu Fall II.9 der Urteilsgründe lagerte der Angeklagte bei der Durchsuchung am 24. August 2022 in seinem Bunkerfahrzeug erhebliche Mengen an Kokain, Marihuana und Haschisch. Aus diesem Vorrat hatte er zwei Tage zuvor 288,9 Gramm Haschisch und 87,3 Gramm Marihuana entnommen, in der Wohnung portioniert und am 23. August 2022 an seinen Abnehmer versandt (Fall II.8 der Urteilsgründe). Mit dem vorangegangenen Beschaffen der im Bunkerfahrzeug zum Verkauf vorrätig gehaltenen Drogen war der Tatbestand des Handeltreibens aber bereits erfüllt. Zu dieser Tat gehören dann alle späteren Betätigungen, die auf den Vertrieb desselben Rauschgifts gerichtet sind.
Nach alledem hat sich der Angeklagte im Fall II.8/9 der Urteilsgründe durch die Entnahme einer Teilmenge der in dem PKW gelagerten Cannabisprodukte sowie deren Portionierung in der Wohnung angesichts der dort griffbereit vorgehaltenen Waffen des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG schuldig gemacht. Auch hier ist das Konsumcannabisgesetz gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO maßgeblich, weil der Senat aufgrund der Erwägungen zu § 30a Abs. 3 BtMG im Fall II.9 der Urteilsgründe sicher davon ausgehen kann, dass das Landgericht auch einen minder schweren Fall des § 34 Abs. 4 KCanG angenommen hätte. Tateinheitlich dazu tritt das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, was die im Übrigen im Bunkerfahrzeug vorrätig gehaltenen Betäubungsmittel (Kokain und Amphetamin) anbelangt. Was den Besitz an den Cannabisprodukten, weiteren 0,12 Gramm Amphetamin sowie 0,02 Gramm Kokain anbelangt, sieht der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwaltes aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO von einer Verfolgung ab.
b) Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
aa) Die Korrektur des Konkurrenzverhältnisses führt zum Entfall der im Fall II.8 der Urteilsgründe verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten.
bb) Im Übrigen zwingt die gesetzliche Neuregelung zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.1 bis 3, 6, 7 und 9 der Urteilsgründe. Zwar hat die Strafkammer im Fall II.1 der Urteilsgründe (10 Monate Freiheitsstrafe) und im Fall II.7 der Urteilsgründe (acht Monate Freiheitsstrafe) den von ihr gefundenen Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG von nicht unter einem Jahr rechtsfehlerhaft unterschritten. Zudem hat das Landgericht das geringere Suchtpotential in den Cannabis-Fällen ausdrücklich in den Blick genommen („weiche Droge“). Gleichwohl kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung der Strafrahmen des Konsumcannabisgesetzes niedrigere Einzelstrafen verhängt hätte.
cc) Auch die in den Fällen II.4 und 5 der Urteilsgründe für den Kokainhandel verhängten Einzelstrafen unterliegen trotz des insoweit unverändert gebliebenen Schuldspruchs der Aufhebung. Die Strafkammer hat - wie auch in den übrigen Fällen - straferschwerend berücksichtigt, dass sich der Angeklagte bereits wegen einer Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt befunden habe, was nicht ausgereicht habe, diesen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Nach den Ausführungen zu seinem Werdegang ist der Angeklagte mit 17 Jahren in der Justizvollzugsanstalt N. inhaftiert gewesen. Eine entsprechende Verurteilung des Angeklagten ist indes nicht festgestellt. Sollte es sich um eine bereits getilgte Verurteilung handeln, wäre deren Verwertung zum Nachteil des Angeklagten gemäß § 51 Abs. 1 BZRG unzulässig. Das Verwertungsverbot hindert den Tatrichter nicht nur an der Berücksichtigung der Vorstrafe als solcher, sondern auch an der strafschärfenden Erwägung, der Vollzug der von dem Verwertungsverbot betroffenen Strafe habe nicht ausgereicht, um den Angeklagten von weiteren Straftaten abzuhalten (BGH, Beschluss vom 17. März 2006 - 1 StR 577/05, StV 2006, 522 Rn. 12 mwN).
dd) Die Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen bedingt auch die Aufhebung der Gesamtstrafe.
ee) Die zum Strafausspruch gehörigen Feststellungen werden von der Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
c) Auch die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 116.690 Euro und die erweiterte Einziehung der „Rolex Submariner“ sind aufzuheben. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:
„a) Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, den Verzicht des Angeklagten auf das sichergestellte Bargeld in Höhe von 2.000 Euro, die sichergestellte Armbanduhr „Breitling“ und die sichergestellte Goldkette bei der Berechnung des Einziehungsbetrages zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Geldbetrages ist durch den wirksamen Verzicht des Angeklagten der staatliche Zahlungsanspruch gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Abs. 1 StGB in Höhe dieser Summe erloschen und die Einziehung des Wertes von Taterträgen insoweit ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 400/19, Rn. 8). Dies gilt auch für den Wert der Gegenstände, auf deren Herausgabe der Angeklagte verzichtet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 5 StR 198/18, BGHSt 63, 305, 311 f.; BGH, Beschluss vom 19. April 2023 - 2 StR 70/23, Rn. 3 ff.).
Da das Landgericht den Wert der betreffenden Gegenstände nicht festgestellt hat, ist die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. … b) Daneben ist die vom Landgericht nach § 73a StGB angeordnete Einziehung der Armbanduhr „Rolex Submariner“ fehlerhaft. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass der Angeklagte diese Uhr durch oder für eine andere Straftat erlangt hat; eine erweiterte Einziehung des Surrogats sieht das Gesetz nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2024 - 5 StR 508/23).“ Dem schließt sich der Senat an und bemerkt ergänzend, dass die Feststellungen des Landgerichts zur Herkunft der sichergestellten 2.000 Euro weder belegt noch nachvollziehbar und deshalb aufzuheben waren. Auch den Verzicht des Angeklagten auf die von ihm gestellte Kaution wird das Landgericht gegebenenfalls zu berücksichtigen haben.
3. Eine Erstreckung auf die nicht revidierende Mitangeklagte S. nach § 357 StPO findet nicht statt, weil die Aufhebung nicht auf einer „Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes“, sondern auf einer nachträglichen Rechtsänderung beruht (BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 83/24, Rn. 23 mwN).
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass für Cannabisprodukte der Grenzwert der nicht geringen Menge nach dem Konsumcannabisgesetz unverändert ab einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC anzunehmen ist (BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, NJW 2024, 1968 Rn. 7 ff.; vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, Rn. 11 ff. und vom 6. Mai 2024 - 2 StR 480/23, StV 2024, 587 Rn. 27 ff.).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 182
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede