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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1036

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 83/24, Beschluss v. 23.04.2024, HRRS 2024 Nr. 1036


BGH 5 StR 83/24 - Beschluss vom 23. April 2024 (LG Bremen)

Verjährung bei Taten des Handeltreibens mit Cannabis nach Neuregelung.

§ 78 StGB; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 34 KCanG; § 2 Abs. 3 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 26. September 2023

im Fall II.3 der Urteilsgründe aufgehoben und insoweit das Verfahren eingestellt; die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen;

im Schuldspruch in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe dahingehend geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis schuldig ist,

im Strafausspruch in den Fällen II.1 und II.2 sowie im Gesamtstrafausspruch aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und bestimmt, dass aufgrund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sieben Monate der Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von insgesamt 4.800 Euro angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschlossen der Angeklagte und der nicht revidierende frühere Mitangeklagte in der Zeit vor November 2013, Marihuana im Kilogrammbereich aus B. nach Finnland zu transportieren und dieses dort gewinnbringend zu veräußern. Der Nichtrevident verfügte über die notwendigen Kontakte zu Lieferanten und Abnehmern. Der Angeklagte organisierte den Transport der Handelsmengen sowohl für das gemeinsame Geschäft mit dem Nichtrevidenten als auch - gegen Entgelt - für Handelsgeschäfte anderer Personen. Bei der Durchführung band er die ihm bekannte Zeugin A. ein.

In diesem Rahmen übergab der Angeklagte am 7. Dezember 2013 der Zeugin insgesamt 14 von 15 bestellten Kilogramm Marihuana für den Transport nach Finnland, wobei 9 Kilogramm mit einem Wirkstoffgehalt von 3 % THC für den gemeinschaftlichen Handel mit dem Nichtrevidenten bestimmt waren. Bei weiteren 5 Kilogramm mit einem Wirkstoffgehalt von 10 % THC handelte es sich um eine Handelsmenge, deren Transport der Angeklagte für einen gesondert Verfolgten abwickelte, wofür er eine Entlohnung von mindestens 1.500 Euro erhielt. Das vom Angeklagten und dem Nichtrevidenten verkaufte Marihuana hatte eine schlechte Qualität, so dass die Käufer die Rückgabe veranlassten (Fall II.1).

Ende Januar 2014 beschaffte der Nichtrevident mindestens 4 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 13 % THC, welches er und der Angeklagte an Abnehmer aus Finnland veräußerten. Am 13. Februar 2014 übergab der Angeklagte einen Koffer mit insgesamt 9,7 Kilogramm und einem Wirkstoffgehalt von 13 % THC an die Zeugin zum Transport nach Finnland. Hiervon stammten 6 Kilogramm von einem unbekannten Betäubungsmittelhändler, für den der Angeklagte den Transport gegen ein Entgelt von mindestens 1.800 Euro organisierte. Bei der Ankunft in Finnland am 15. Februar 2014 wurde die Zeugin festgenommen und das Marihuana sichergestellt (Fall II.2).

Bereits vor diesen Taten, nämlich am 16. Juni 2013, war die Zeugin in Absprache mit dem Angeklagten nach Finnland gereist und führte dabei mindestens 5 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % THC mit sich, dessen Transport der Angeklagte gegen ein Entgelt in Höhe von mindestens 1.500 Euro für einen gesondert Verfolgten veranlasst hatte (Fall II.3).

2. Im Fall II.3 kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Der Verfolgung der Tat steht wegen Eintritts der absoluten Verfolgungsverjährung ein Verfahrenshindernis entgegen (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB).

a) Diese Beihilfetat bezog sich ausschließlich auf Marihuana und damit Cannabis. Der Senat hat deshalb gemäß § 2 Abs. 3 StGB die seit dem 1. April 2024 geltende Strafvorschrift des § 34 KCanG (BGBl. I 2024 Nr. 109) als milderes Recht zur Anwendung zu bringen, welche gegenüber dem vom Landgericht der Bemessung der Strafe zugrunde gelegten § 29a Abs. 1 BtMG einen geringeren Strafrahmen vorsieht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. April 2024 - 5 StR 136/24; vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24).

b) aa) Die an die gesetzliche Strafandrohung anknüpfende Verjährungsfrist des § 78 StGB richtet sich nach dem gemäß § 2 Abs. 3 StGB anzuwendenden Recht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1964 - 1 StR 358/64, NJW 1965, 52; Beschluss vom 7. Juni 2005 - 2 StR 122/05, BGHSt 50, 138, 139 ff.). Angesichts des in § 34 Abs. 1 KCanG bestimmten Höchstmaßes der Strafe (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre. Der für besonders schwere Fälle in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG vorgesehene erhöhte Strafrahmen ist gemäß § 78 Abs. 4 StGB ohne Bedeutung.

bb) Zum Zeitpunkt des Erlasses des erstinstanzlichen Urteils am 26. September 2023 war die absolute Verjährungsfrist abgelaufen.

Die Frist beträgt gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB, § 34 Abs. 1 KCanG zehn Jahre. Sie begann am 17. Juni 2013 zu laufen und endete am 16. Juni 2023 (zur Berechnung der Verjährungsfrist vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2011 - 2 StR 275/10). Die absolute Verjährung war damit vor Eintritt der durch Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 26. September 2023 gesetzlich bestimmten Ablaufhemmung gemäß § 78b Abs. 3 iVm § 78c Abs. 3 Satz 3 StGB eingetreten. Etwaige Unterbrechungshandlungen haben insoweit keine Bedeutung (§ 78c Abs. 3 Satz 2 StGB).

c) Der Senat stellt deshalb das Verfahren hinsichtlich Tat II.3 ein (§ 206a StPO).

3. Der Schuldspruch in den Fällen II.1 und II.2 bedarf der Änderung, da der Angeklagte nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden ist, sich sein Handeltreiben und die Beihilfehandlungen dazu aber ausschließlich auf Marihuana und damit Cannabis bezogen.

a) Die festgestellten Handlungen erfüllen die Tatbestände des Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB.

b) Die Verfolgung dieser Taten ist nicht verjährt.

aa) Nach den getroffenen Feststellungen wurden die Tathandlungen im Fall II.1 am 7. Dezember 2013 und im Fall II.2 am 15. Februar 2014 beendet. Die Verjährungsfrist war gemäß § 78a Satz 1 StGB im Fall II.1 spätestens am 8. Dezember 2013 und im Fall II.2 am 16. Februar 2014 in Lauf gesetzt worden und endete am 7. Dezember 2018 im ersten Fall und am 15. Februar 2019 im zweiten Fall.

Innerhalb dieser Frist wurde sie letztmalig gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB durch Anklageerhebung am 29. November 2016 unterbrochen. Die Verjährungsfrist endete danach am 29. November 2021. Die nächste Unterbrechungshandlung gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 7 StGB lag in der Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss vom 23. Mai 2023. Der Erlass des Eröffnungsbeschusses hatte gemäß § 78c Abs. 5 StGB unterbrechende Wirkung, obwohl zu diesem Zeitpunkt die fünfjährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen war.

(1) Die genannte Vorschrift bestimmt, dass dann, wenn ein Gesetz, das bei der Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert wird und sich hierdurch die Frist der Verjährung verkürzt, Unterbrechungshandlungen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts vorgenommen worden sind, wirksam bleiben, auch wenn im Zeitpunkt der Unterbrechung die Verfolgung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre.

(2) Der Angeklagte hatte vor Inkrafttreten des KCanG den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verwirklicht, der eine Freiheitsstrafe im Höchstmaß von 15 Jahren androht (§ 38 Abs. 2 StGB). Zum Zeitpunkt der Unterbrechungshandlung galt die für diese Tat bestimmte Verjährungsfrist von 20 Jahren gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB, die bei Erlass des Eröffnungsbeschlusses am 23. Mai 2023 noch nicht abgelaufen war. Mit der Unterbrechungshandlung begann eine neue Verjährungsfrist zu laufen. Das KCanG trat erst danach in Kraft.

(3) Bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 26. September 2023 ist das Ende der nunmehr geltenden kürzeren Verjährungsfrist (§ 34 Abs. 1 KCanG iVm § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) nicht eingetreten; seitdem ruht die Verjährung gemäß § 78b Abs. 3 StGB bis zur Rechtskraft des Urteils.

bb) Die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren (§ 78c Abs. 3 Satz 2, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB, § 34 Abs. 1 KCanG) begann mit Beendigung der Taten zu laufen. Das Fristende war bei Erlass des Eröffnungsbeschlusses und auch vor Eintritt der Ablaufhemmung durch Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 26. September 2023 noch nicht erreicht (§ 78b Abs. 3 iVm § 78c Abs. 3 Satz 3 StGB).

c) In den Fällen II.1 und II.2 hat der Senat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO geändert. Dem steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte insoweit nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Der wegen Ãœberschreitens der nicht geringen Menge (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24; vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24; Urteil vom 24. April 2024 - 5 StR 516/23) jeweils erfüllte besonders schwere Fall gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG ist, da es sich nur um ein Regelbeispiel handelt, nicht zu tenorieren.

d) Aufgrund des nunmehr anzuwendenden milderen Strafrahmens nach § 34 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 4 KCanG (vgl. zur nicht geringen Menge BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24) können die verhängten Einzelstrafen nicht bestehen bleiben; dies - und die Einstellung des Verfahrens im Fall II.3 - zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Die Feststellungen bleiben davon unberührt; sie können um neue, ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

4. Eine Erstreckung auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten nach § 357 StPO findet nicht statt, weil die Aufhebung nicht auf einer „Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes“, sondern auf einer nachträglichen Rechtsänderung beruht (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1964 - 1 StR 358/64, BGHSt 20, 77; Beschluss vom 7. Mai 2003 - 5 StR 535/02).

5. Die Einziehungsentscheidung kann bestehen bleiben. Das gilt auch, soweit das Verfahren im Fall II.3 wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung eingestellt worden ist. Zwar ist diese Tat nicht mehr Gegenstand des Strafverfahrens, so dass eine Entscheidung nicht auf § 73 Abs. 1, § 73c StGB gestützt werden kann. Jedoch ist die Einziehung des Wertes des durch die Tat Erlangten nach § 76a Abs. 2 Satz 1, § 73 Abs. 1, § 73c StGB anzuordnen. Das Gericht kann die selbständige Einziehung des durch oder für eine verjährte Straftat erlangten Ertrages oder dessen Wertes nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB im subjektiven Verfahren mit dem Urteil anordnen, durch das es das Verfahren hinsichtlich dieser Tat einstellt; in einem solchen Fall bedarf es nicht des Ãœbergangs in das objektive Verfahren gemäß §§ 435 f. StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2023 - GSSt 1/23, BGHSt 67, 295). Im Fall der Einstellung des Verfahrens durch das Revisionsgericht kann jedenfalls dann nichts Anderes gelten, wenn wie hier die Einziehung im subjektiven Verfahren zwingend anzuordnen gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2024 - 6 StR 36/24; BeckOK StGB/Heuchemer, 60. Ed., § 76a Rn. 13; MüKoStGB/Joecks/Meisner, 4. Aufl., § 76a Rn. 18). Das ist bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c StGB der Fall (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2021 - 5 StR 62/21).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1036

Bearbeiter: Christian Becker