HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1309
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 126/24, Beschluss v. 04.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1309
1. Der Angeklagten wird auf ihren Antrag und ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 26. Oktober 2023 gewährt.
2. Auf die Revision der Angeklagten wird das vorgenannte Urteil aufgehoben
a) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen und
b) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagten war nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auf ihren - zulässigen - Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO). Nach dem durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemachten Vortrag des Verteidigers ist die Versäumung der Frist auf dessen der Angeklagten nicht zuzurechnendes Verschulden zurückzuführen (§ 44 Satz 1 StPO).
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 690,74 Euro als Gesamtschuldnerin angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
Während die umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge zum Schuldspruch und zur Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat, begegnet der Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Gleiches gilt, soweit eine Entscheidung zur Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, weil er von den Feststellungen nicht getragen wird.
Das Landgericht hat für beide Taten im Rahmen der Prüfung, ob die Indizwirkung des angenommenen Regelbeispiels widerlegt ist, bei der Strafzumessung im engeren Sinne und bei der Frage, ob die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, jeweils zulasten der Angeklagten berücksichtigt, dass sie sich von zuvor vollstreckten Freiheitsstrafen nicht hat beeindrucken lassen und die Taten Bewährungsverstöße darstellen. Zwar sind diese Erwägungen als solche rechtlich nicht zu beanstanden, jedoch lassen sich dem Urteil entsprechende Feststellungen nicht entnehmen, da lediglich mitgeteilt wird, die Angeklagte sei „bislang 23 Mal - davon 20 Mal wegen Diebstahlstaten - strafrechtlich in Erscheinung getreten“. Soweit - wie hier - Vortaten und Vorstrafen für die getroffene Entscheidung von Bedeutung sind, sind sie in der Regel in gestraffter und auf das Wesentliche konzentrierter Form - naheliegend eingebettet in die Lebensgeschichte der Angeklagten - mitzuteilen, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob das Tatgericht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1996 - 5 StR 533/95, BGHR § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 16; Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 StR 202/01, LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 267 Rn. 88 mwN). Der Senat hebt die zum Strafausspruch gehörenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich schlüssige Bewertung auf widerspruchsfreier Tatsachengrundlage zu ermöglichen.
2. Ferner hält das Urteil rechtlicher Überprüfung nicht stand, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ohne Begründung unterblieben ist.
Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Über die aus § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO folgende Pflicht hinaus ist die Nichtanordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung auch ohne Antrag aus sachlich-rechtlichen Gründen zu begründen, wenn sich die Anordnung nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängte (vgl. Senat, Beschluss vom 23. November 2022 - 2 StR 378/22, juris Rn. 13 m.w.N.).
Das war hier der Fall. Die Angeklagte ist seit Jahren abhängig von Heroin und befand sich bereits mehrfach in stationärer Behandlung (vgl. UA, S. 3, 13 f.). Die Taten beging sie mit dem Ziel, die mitgenommene Ware gegen Betäubungsmittel einzutauschen oder sie zur Finanzierung ihres Drogenkonsums zu verkaufen (vgl. UA, S. 4 f., 14 f., 18). Aktuell strebt sie eine Therapie an (vgl. UA, S. 3). Unter Berücksichtigung dessen lassen sich die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht ohne Weiteres verneinen.
Über die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss der neue Tatrichter daher - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) - (erstmals) verhandeln und entscheiden. Dem steht nicht entgegen, dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 15. März 2022 - 2 StR 43/22, juris Rn. 6 m.w.N.); sie hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.“ Dem schließt sich der Senat an.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1309
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede