HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 928
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, StB 31/23, Beschluss v. 29.06.2023, HRRS 2023 Nr. 928
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 23. März 2023 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB, §§ 1, 3, 105 JGG). Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 23. März 2023 (2 BGs 401/23) die Durchsuchung der Person des Beschuldigten sowie seiner Wohnung einschließlich Nebenräume zum Zweck der Sicherstellung näher beschriebener Beweismittel angeordnet. Die Durchsuchung ist am 29. März 2023 vollzogen worden; dabei sind mehrere elektronische Datenträger einstweilig sichergestellt worden, deren Durchsicht und Auswertung gegenwärtig noch andauert.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 2. Mai 2023 hat der Beschuldigte Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss erhoben. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat dieser nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
1. Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ist gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Beschwerdeziel ist noch nicht prozessual überholt, so dass das Rechtsmittel nicht in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme umzudeuten ist. Denn angesichts der nicht abgeschlossenen Durchsicht der vorläufig sichergestellten elektronischen Speichermedien dauert die Durchsuchungsmaßnahme weiterhin an (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 2023 - StB 8/23, juris Rn. 5; vom 16. Mai 2023 - StB 20/23, juris Rn. 4; vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 5).
2. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 StPO) lagen vor.
a) Gegen den Beschuldigten bestand ein die Durchsuchung nach § 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland.
aa) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, BVerfGK 9, 149, 153; BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 2023 - StB 8/23, juris Rn. 8; vom 16. Mai 2023 - StB 20/23, juris Rn. 7; vom 20. April 2023 - StB 5/23, juris Rn. 9; vom 20. Juli 2022 - StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 6; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 1), zumal eine Durchsuchung nicht nur zur Belastung, sondern ebenso zur Entlastung des Beschuldigten beizutragen vermag (vgl. insofern BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2023 - StB 20/23, juris Rn. 7; vom 5. Oktober 2022 - StB 40/22, NStZ-RR 2022, 380).
bb) Hieran gemessen lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses zureichende Gründe für einen die Durchsuchung rechtfertigenden Tatverdacht vor.
(1) Im Sinne eines Anfangsverdachts war von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der Beschuldigte war jedenfalls Ende Dezember 2013 Mitglied der seinerzeit in Syrien im dortigen bewaffneten Konflikt mit militärischen Mitteln kämpfenden islamistisch-jihadistischen Vereinigung „Jaish Al-Mu’ta Al-Islami“ (JMI).
Die JMI war eine militärisch strukturierte Organisation, die sich im Kontext des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts in Syrien zum Ziel gesetzt hatte, in dem die Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie das Gebiet Palästina umfassenden Raum „Großsyrien“ ein islamistisches Regime unter der Geltung der Scharia zu installieren und hierfür zunächst im Rahmen eines bewaffneten Kampfes das Assad-Regime Syriens zu beseitigen. Die Vereinigung wurde im Dezember 2013 durch einen Zusammenschluss verschiedener in der syrischen Provinz D. agierender islamistischer Gruppierungen, darunter der „Liwa Mu’ta“, gegründet. Sie verfügte über 1.000 bis 1.500 Kämpfer und kooperierte mit der terroristischen Vereinigung „Jabhat al-Nusra“. Die JMI war an Kämpfen zur Eroberung des Militärflughafens und einzelner Viertel der im Südosten Syriens gelegenen Stadt D. beteiligt. Sie wurde von dem salafistischen Prediger Isam al-Dabbab angeführt. Im Juli 2014, nur wenige Monate nach ihrer Gründung, wurde die JMI von der Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) besiegt. Sie schloss sich formell durch Leistung eines Treueides auf deren damaligen Anführer Abu Bakr al-Baghdadi dem IS an, wobei allerdings nicht alle Mitglieder der JMI zum IS wechselten.
Als Mitglied der Vereinigung beteiligte sich der damals 18 Jahre alte Beschuldigte an deren Aktivitäten, indem er am 18. Dezember 2013 an einer Versammlung der Vereinigung in der Nähe seines Geburtsortes D. teilnahm, wobei er - im Vorgriff auf eine Mitwirkung an einem Kampfeinsatz der Gruppierung - in paramilitärischer Kleidung die tatsächliche Gewalt über eine Kriegswaffe ausübte.
(2) Der Anfangsverdacht begründete sich wie folgt:
Die Erkenntnisse zur Vereinigung „Jaish Al-Mu’ta Al-Islami“ (JMI) ergaben sich aus einem Bericht des Bundekriminalamts zu dieser vom 6. März 2018, der im Wesentlichen auf einer Auswertung öffentlich über das Internet zugänglicher Quellen beruht, darunter eigene Verlautbarungen der JMI, die als Videodateien im Portal „Youtube“ abgerufen wurden. Sie wurden ferner gestützt durch eine Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 4. August 2022.
Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegen den gesondert verfolgten R. wurde eine externe Festplatte sichergestellt. Auf dieser wurden am 18. Dezember 2013 gefertigte Bild- und Videodateien festgestellt, die eine Versammlung der JMI zeigen, was sich nicht zuletzt daraus ergibt, dass auf den Aufnahmen Flaggen der Vereinigung zu sehen sind. In dem Videodokument erklärt ein Sprecher, die Gruppierung bereite sich auf einen Einsatz am Folgetag vor. Ausweislich von Meta-Daten der Dateien wurden die Aufnahmen in der Nähe der in der syrischen Provinz D. gelegenen Ortschaft A. angefertigt; mithin fand die ersichtliche Versammlung der JMI dort statt. Auf drei Abbildungen ist mutmaßlich der Beschuldigte zu sehen. Auf der ersten hält er in Tarnfleck-Bekleidung vor einem Kampfpanzer stehend ein Sturmgewehr in der rechten Hand. Die zweite zeigt ihn in derselben Bekleidung vor mehreren Geländewagen kniend. Auf der dritten befindet er sich auf der Ladefläche eines Pickup-Fahrzeugs, an dem die Flagge der JMI befestigt ist. Dass es sich bei der abgebildeten Person um den Beschuldigten handeln kann, ergibt sich jedenfalls im Sinne eines Anfangsverdachts aus einem Vergleich der Abbildungen mit Fotos des Beschuldigten, die sich bei den Verfahrensakten befinden und den Ermittlungsbehörden zur Verfügung standen. Dieser von geschulten Fachkräften vorgenommene Bildvergleich und dessen Ergebnis sind in einem Untersuchungsbericht des Fachbereichs „Gesichtserkennung/Lichtbildvergleiche“ des Kriminaltechnischen Instituts (KTI) des Landeskriminalamts Berlin vom 7. Oktober 2022 dokumentiert. Die dortige Einschätzung, es gebe Hinweise auf eine Identität zwischen dem Beschuldigten und der auf den Bildern zu sehenden Person, erscheint bei Betrachtung der Fotos in den Verfahrensakten plausibel.
Entgegen dem Vorbringen des Verteidigers des Beschuldigten bedurfte es angesichts der vorgenannten bisherigen Ermittlungserkenntnisse keines islamwissenschaftlichen Sachverständigengutachtens zur Vereinigung „Jaish Al-Mu’ta Al-Islami“, um diese im Sinne eines Anfangsverdachts als terroristische Vereinigung im Ausland einordnen zu können.
cc) In rechtlicher Hinsicht war hinsichtlich des dem Beschuldigten angelasteten Sachverhalts jedenfalls der Anfangsverdacht einer mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB, §§ 1, 3, 105 JGG gegeben.
b) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung des Bundesministeriums der Justiz ist unter dem 13. Januar 2023 in Bezug auf solche Mitglieder der JMI erteilt worden, die sich - wie der Beschuldigte - in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
c) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Dies folgt entweder aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB, weil sich der Beschuldigte in Deutschland befindet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. November 2017 - AK 54/17, NStZ-RR 2018, 42, 44; vom 13. Juli 2017 - AK 32/17, juris Rn. 12; vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 34; vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1), oder aber aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 37; s. auch BGH, Beschluss vom 3. März 2021 - AK 10/21, juris Rn. 42).
d) Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses ergibt sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.
e) Die Anordnung der Durchsuchung entsprach - auch unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Beschuldigten - dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
aa) Die Durchsuchung des Beschuldigten und seiner Räumlichkeiten war zur Ermittlung der Tat geeignet und erforderlich, weil unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass sie zum Auffinden der in dem Beschluss genannten Gegenstände führen werde, mit deren Hilfe der ihm angelastete Sachverhalt nachgewiesen oder der Tatvorwurf entkräftet werden kann. Es stand zu erwarten, dass der Beschuldigte elektronische Dateien - Textdokumente, Fotos, Videoaufnahmen - über seine mutmaßliche Beteiligung an Aktivitäten der JMI verwahrte.
bb) Die Ermittlungsmaßnahme stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der aufzuklärenden Tat und der Stärke des aufgezeigten Verdachts.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 928
Bearbeiter: Fabian Afshar