HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 394
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 261/23, Beschluss v. 09.01.2024, HRRS 2024 Nr. 394
1. Der Angeklagten wird auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, soweit sie im Rahmen der Begründung ihrer Revision gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 20. Oktober 2022 die Frist zur rechtzeitigen Anbringung der im Schriftsatz vom 20. April 2023 erhobenen Verfahrensrügen versäumt hat.
2. Auf die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird die Adhäsionsentscheidung
a) dahin abgeändert, dass Zinsen erst ab dem 20. Juli 2022 zu zahlen sind,
b) insoweit aufgehoben, als festgestellt ist, dass die Angeklagte verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger alle zukünftigen „immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus den Handlungen resultieren, die Gegenstand des Anklagesatzes der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln vom 15.12.2020 (Az.: 91 Js 24/20) sind, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind“; insoweit wird von einer Adhäsionsentscheidung abgesehen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten der Wiedereinsetzung und ihres Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Adhäsions- und vormaligen Nebenkläger im Rechtsmittelverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Es hat dem Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 75.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. Juli 2020 zuerkannt und ausgesprochen, dass die geltend gemachten materiellen Schadensersatzansprüche in Höhe von 97.119,03 € dem Grunde nach gerechtfertigt sind. Es hat ferner festgestellt, dass die Angeklagte verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem festgestellten schädigenden Ereignis vom 5. Juli 2020 resultieren, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Zudem hat es ausgeurteilt, dass diese Forderungen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung herrühren. Im Übrigen hat es von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen.
Gegen ihre Verurteilung wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf Verfahrensbeanstandungen und die ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet § 349 Abs. 2 StPO).
1. Der Angeklagten war antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Verfahrensrügen aus dem Schriftsatz vom 20. April 2023 zu gewähren.
a) Zwar kommt eine Wiedereinsetzung zur Anbringung von Verfahrensrügen grundsätzlich nicht in Betracht, wenn die Revision bereits - wie hier - form- und fristgerecht begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 - 3 StR 181/21, juris Rn. 14 f. mwN). Eine Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen ist jedoch ausnahmsweise dann zu gewähren, wenn sie zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2020 - 2 StR 267/20, juris Rn. 2; vom 4. März 2021 - 4 StR 209/20, juris Rn. 5; jeweils mwN).
b) Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Revision hat innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist glaubhaft gemacht, dass Rechtsanwalt S. am 20. April 2023, dem letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist, um 23.49 Uhr die Übersendung der fertiggestellten ergänzenden Revisionsbegründung zur Anbringung der Verfahrensrügen als elektronisches Dokument über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach nicht möglich war, weil das elektronische Gerichtsund Verwaltungspostfach (EGVP) des Landes Nordrhein-Westfalen - was ihm im Zeitpunkt des Übersendungsversuchs noch nicht bekannt war - in der Weise gestört war, dass die Gerichte und Behörden elektronische Dokumente nicht empfangen konnten. Dadurch war der Verteidiger durch ausschließlich im Bereich der Justiz gründende Umstände gehindert, eine die fristgemäß erhobene Sachrüge ergänzende Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht anzubringen (vgl. zum gestörten Empfangsgerät im Bereich der Justiz BGH, Beschluss vom 18. Juni 2008 - 2 StR 485/07, NStZ 2008, 705). Eine danach gemäß § 32d Satz 3 StPO hier zulässige Übermittlung per Fax oder in Urschrift an das Landgericht Köln war ihm, wie er ebenfalls glaubhaft gemacht hat, nicht möglich.
2. Den in der Revisionsbegründung vom 20. April 2023 vorgebrachten Verfahrensrügen bleibt indes aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.
3. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils führt zur teilweisen Abänderung der Adhäsionsentscheidung. Im Übrigen hat dessen Überprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
a) Die zugesprochene Verzinsung des Schmerzensgeldes bedarf der Korrektur, soweit das Landgericht Zinsen ab dem 20. Juli 2020 zugesprochen hat. Der Adhäsionskläger hat mit Schriftsatz vom 19. Juli 2022 den entsprechenden Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit seines Antrags, die am gleichen Tag eintrat, geltend gemacht. Das Verbot des § 308 Abs. 1 ZPO gilt auch im Adhäsionsverfahren und ein Verstoß dagegen ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2021 - 4 StR 300/21, juris Rn. 6). Der Zinsbeginn war daher entsprechend abzuändern (vgl. zum Zinsbeginn BGH, Beschluss vom 10. Januar 2023 - 2 StR 394/22, juris Rn. 7 mwN).
b) Zudem fehlt es für die Feststellung zur Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden an einem hierfür erforderlichen Feststellungsinteresse (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2023 - 2 StR 163/23, juris Rn. 5). Anders als hinsichtlich künftiger materieller Schäden ist weder dem Feststellungsausspruch noch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen, dass künftige immaterielle Schäden, die nicht bereits von dem Ausspruch über die Verurteilung der Angeklagten zur Schmerzensgeldzahlung umfasst sind, wahrscheinlich entstehen werden. Verlangt der Geschädigte für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes davon alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten oder objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden können (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2019 - 2 StR 397/19, NStZ-RR 2020, 53). Hinweise auf die Wahrscheinlichkeit anderer als bereits bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in den Blick genommener zukünftiger immaterieller Schäden enthalten die Urteilsgründe nicht. Der Feststellungsanspruch war insoweit aufzuheben und von einer Adhäsionsentscheidung abzusehen. Eine Zurückverweisung der Sache allein wegen des zivilrechtlichen Teils der Entscheidung kommt nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 5 StR 113/18, juris Rn. 5 mwN).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 7, § 472 Abs. 1, § 472a Abs. 1 und 2 StPO. Der geringe Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, die Angeklagte mit den gesamten Kosten ihres Rechtsmittels und der im Revisionsverfahren entstandenen besonderen Kosten des Adhäsionsklägers zu belasten. Dabei waren ihr angesichts der Erfolglosigkeit des Rechtsmittels hinsichtlich des strafrechtlichen Teils der Verurteilung - ungeachtet der Beendigung der Nebenklage (§ 402 StPO) durch den Tod des Nebenklägers während des Revisionsverfahrens - auch die notwendigen Auslagen der Nebenklage im Revisionsverfahren aufzuerlegen (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, juris Rn. 33 f.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 472 Rn. 6 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 394
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede