hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 722

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 21/22, Beschluss v. 11.04.2022, HRRS 2022 Nr. 722


BGH 2 StR 21/22 - Beschluss vom 11. April 2022 (LG Frankfurt am Main)

Strafzumessung (minder schwerer Fall des Totschlags: Prüfungsreihenfolge, strafschärfende Berücksichtigung von Tatmodalitäten, Vorwerfbarkeit, geistigseelische Beeinträchtigung des Täters).

§ 46 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Tatmodalitäten dürfen einem Angeklagten strafschärfend nur zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer vom Täter nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juli 2021 im Einzelstrafausspruch zu Fall 3 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten in einem ersten Rechtsgang wegen Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu neun Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Senat hat dieses Urteil mit Beschluss vom 27. März 2019 (2 StR 382/18) mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tathergang aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses hat den Angeklagten nun erneut wegen Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu neun Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, die er auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch und zu den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen 1 (gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen S.) und 2 der Urteilsgründe (Bedrohung und Beleidigung zum Nachteil des Zeugen B.) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten ist rechtsfehlerfrei begründet.

2. Indes kann die Einzelstrafe im Fall 3 der Urteilsgründe (Tötung des G.) keinen Bestand haben.

a) Bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall nach der zweiten Alternative des § 213 StGB vorliegt, hat die Strafkammer, wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, schon nicht die gebotene (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 - 2 StR 17/19, NStZ 2019, 409 mwN) Prüfungsreihenfolge beachtet und nicht erkennbar erwogen, ob das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes - hier des § 21 StGB - allein oder zusammen mit anderen Umständen das Vorliegen eines minder schweren Falls begründet.

b) Hinzu kommt, dass die Erwägungen, mit denen die Strafkammer das Vorliegen eines minder schweren Falls verneint hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.

aa) Das Landgericht hat ausgeführt, dass gegen die Annahme eines minder schweren Falles bereits die mehrfache erhebliche Gewalteinwirkung gegen den Kopf des Geschädigten (nach dem ersten mindestens sechs weitere heftige Schläge bzw. Stöße auf Kopf und Hals des Opfers) spreche, wobei der Angeklagte diese stanzartig ausgeführt habe; die hierdurch hervorgerufenen Verletzungen hätten alsbald zum Tod des Tatopfers geführt.

bb) Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer dem Angeklagten die Tatbegehung als solche straferschwerend angelastet hat, was gegen § 46 Abs. 3 StGB verstößt.

cc) Zu besorgen ist ferner, dass dem straferschwerend herangezogenen Verhalten des Angeklagten ein zu großes Gewicht beigemessen worden ist. Denn die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, ob sich die Strafkammer des Umstands bewusst war, dass Tatmodalitäten einem Angeklagten strafschärfend nur zur Last gelegt werden dürfen, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer vom Täter nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. Senat, Beschluss vom 30. April 2015 - 2 StR 444/14, NStZ 2015, 634; vom 8. Januar 2014 - 2 StR 514/13; vom 18. Juni 2013 - 2 StR 104/13; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 636 mwN). Dies in den Blick zu nehmen bestand deshalb Anlass, weil beim Angeklagten ausweislich der getroffenen Urteilsfeststellungen unter anderem eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10: F 62.0) bestand, derentwegen seine Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt erheblich eingeschränkt war. Die der Tötung vorausgehende Auseinandersetzung mit dem Tatopfer hatte - so die Urteilsfeststellungen - beim Angeklagten Emotionen hervorgebracht, die als Triggerfaktoren für die Aktivierung traumaassoziierter Gedächtnisinhalte verantwortlich waren und er sich erneut einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt sah; er missinterpretierte krankheitsbedingt die Konfliktsituation und entwickelte auf der Grundlage der verinnerlichten Doktrin, sich stets wehren zu müssen, eine Zerstörungswut, um sein Gegenüber auszulöschen. Damit, ob dem Angeklagten trotz dieser krankhaften Persönlichkeitsänderung, die seine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit begründet hat, die Brutalität seines Vorgehens uneingeschränkt angelastet werden kann, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die aufgezeigten Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.

3. Die Aufhebung des Strafausspruchs zu Tat 3 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.

4. Die der Strafzumessung zu Grunde liegenden rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht berührt und können daher aufrechterhalten bleiben; ergänzende, zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen bleiben zulässig.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 722

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß