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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 131

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 175/22, Urteil v. 23.11.2022, HRRS 2023 Nr. 131


BGH 2 StR 175/22 - Urteil vom 23. November 2022 (LG Frankfurt am Main)

Einziehung des Wertes von Taterträgen (Erlangen: tatsächliche Verfügungsgewalt, mehrere Beteiligte, faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt, zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse, Aufgabe einer Verfügungsmacht, Weitergabe, Verfügungsmacht der Angeklagten an dem auf ihren Konten befindlichen Buchgeld, ausländisches Geschäftskonto); Revisionsbeschränkung.

§ 73c StGB; § 344 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. August 2021 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen über den als Tatlohn eingezogenen Betrag von 12.000 Euro (E.) bzw. 1.500 Euro (N.) hinaus unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen „Beihilfe zu 20 Fällen des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges“ schuldig gesprochen und gegen den Angeklagten E. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten sowie gegen die Angeklagte N. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt. Die von den Angeklagten in Schweden erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis 1:1 angerechnet. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 12.000 Euro (E.) bzw. 1.500 Euro (N.) angeordnet.

Gegen dieses Urteil richten sich die zu Lasten der Angeklagten eingelegten, auf die Einziehungsentscheidungen beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen die Beschwerdeführerin die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 647.613 Euro gegen den Angeklagten E. als Gesamtschuldner und in Höhe von 214.401 Euro gegen die Angeklagte N. erstrebt.

Die auf die Rüge der Verletzung formellen sowie materiellen Rechts gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen haben mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es nicht an.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte E. befand sich Anfang des Jahres 2019 in einer angespannten persönlichen und wirtschaftlichen Lage. Von einem Bekannten wurde ihm das Angebot unterbreitet „schnelles Geld“ zu verdienen. Er sollte eine Personengruppe aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens unterstützen, indem er Gesellschaften gründete und Bankkonten eröffnete. E. war dabei von Anfang an bewusst, dass beides der Begehung von Vermögensdelikten dienen sollte.

Das „Geschäftsmodell“ der Bande sah wie folgt aus: Für die gegründeten Gesellschaften wurden neben der Einrichtung von Geschäftskonten auch Büroräume angemietet und Homepages erstellt, um so den Anschein eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs zu erwecken. Im Namen der jeweiligen Gesellschaft wurden sodann im Internet Verkaufsangebote über hochwertige - tatsächlich existierende - Pkw zu einem lukrativen Preis eingestellt. Jeweils nach Besichtigung der Fahrzeuge wurden Interessenten dazu bewogen, einen Teil des Kaufpreises vorab auf ein angegebenes Geschäftskonto zu überweisen. Danach wurde der Kontakt zum Käufer abgebrochen, ohne dass es zur Übergabe des Fahrzeugs kam.

Vereinbarungsgemäß gründete der Angeklagte E. verschiedene Gesellschaften in Kroatien, Ungarn sowie Deutschland und eröffnete sowohl im In- als auch im Ausland mehrere Konten, teils für die Gesellschaft, teils auf eigenen Namen. Zudem nahm er die Schlüssel für angemietete Geschäftsräume entgegen, organisierte die Abwicklung des Postverkehrs und erwarb zwei später zum Verkauf angebotene Pkw. Schließlich stellte E. den Kontakt zwischen der Bande und der Angeklagten N. her, die sich ebenfalls in einer prekären Lebenssituation befand. Er verdeutlichte ihr dabei das Geschäftsmodell. In Kenntnis dessen unterstützte auch N. die Bande in gleicher Weise, indem sie mehrere Gesellschaften im In- und Ausland gründete, zahlreiche Konten eröffnete, den Postverkehr mitorganisierte und einen hochpreisigen Pkw erwarb. Bandenmitglieder waren beide indes nicht.

In 20 Fällen wurden seitens der Bande unter Beteiligung der beiden Angeklagten - entsprechend dem „Geschäftsmodell“ - Kaufinteressenten dazu bewogen, Anzahlungen zu leisten, ohne dass es in der Folge zu einer Übergabe der angebotenen Fahrzeuge kam. Auf die durch die Angeklagten im Inland eröffneten Konten wurden von den Geschädigten insgesamt 647.613 Euro (E.) bzw. 214.401 Euro (N.) eingezahlt. Die Beträge wurden entweder in bar abgehoben oder auf andere - in Deutschland, Kroatien und Ungarn eröffnete - Konten weitergeleitet, wobei das Landgericht nicht festgestellt hat, durch wen dies jeweils veranlasst wurde. Von den ausländischen Konten wurden im weiteren Verlauf ebenfalls Barabhebungen vorgenommen, zum Teil durch die Angeklagten selbst, die die Beträge sodann „unmittelbar“ an Bandenmitglieder weiterreichten. Für ihre Dienste erhielten der Angeklagte E. 12.000 Euro und die Angeklagte N. 1.500 Euro Tatlohn.

2. Nach der Wertung des Landgerichts haben sich die geständigen Angeklagten jeweils der Beihilfe zu 20 Fällen des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs strafbar gemacht. Eingezogen hat die Strafkammer den Wert des erhaltenen Tatlohnes. Von einer Einziehung des Wertes der auf die Konten durch die Geschädigten eingezahlten Gelder hat das Landgericht dagegen abgesehen. Zwar seien die Angeklagten Inhaber der Konten gewesen und hätten daher „auf dem Papier“ Verfügungsmacht über die eingezahlten Gelder gehabt, gleichwohl habe keine Verfügungsbefugnis vorgelegen, da sie von ihnen abgehobene Gelder unmittelbar an die Bandenmitglieder weitergereicht hätten.

II.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben überwiegend Erfolg.

1. Die Rechtsmittelbeschränkung auf die unterbliebene Einziehungsanordnung von Taterträgen ist zulässig (vgl. Senat, Urteil vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18 Rn. 5, insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2019, 221; BGH, Urteil vom 3. März 2022 - 4 StR 156/20, wistra 2022, 293).

a) Der Beschränkung steht nicht entgegen, dass die Annahme einer Beihilfe auch zum bandenmäßig begangenen Betrug rechtsfehlerhaft ist, da nach den Feststellungen das besondere persönliche Merkmal der Bandenmitgliedschaft (§ 28 Abs. 2 StGB) in der Person der Angeklagten nicht gegeben war, so dass lediglich eine Beihilfe zum Regelbeispiel des gewerbsmäßigen Betruges vorliegt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 247/13, NStZ-RR 2013, 349 mwN). Da es sich jedoch bei der Einziehung von Taterträgen nicht um eine Strafe oder strafähnliche Maßnahme handelt, ist sie von Art und Umfang der Schuld unabhängig.

b) Die von der Beschwerdeführerin begehrte Einziehung des Wertes von Taterträgen und die von der Strafkammer im angefochtenen Urteil bereits getroffene Einziehungsanordnung von Tatlohn knüpfen in tatsächlicher Hinsicht an unterschiedliche Verschiebungsakte von Vermögenswerten an. Sie weisen daher keinen untrennbaren Zusammenhang auf und sind einer isolierten Betrachtung zugänglich.

2. Soweit das Landgericht von einer Einziehung des Wertes von Taterträgen über einen Betrag von 12.000 Euro (E.) bzw. 1.500 Euro (N.) hinaus abgesehen hat, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne durch die Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf ihn nehmen können. Da es sich bei dem Erlangen um einen tatsächlichen Vorgang handelt, kommt es auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse nicht an. Grundsätzlich unerheblich ist es auch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Täter eine durch die Tat gewonnene Verfügungsmacht später aufgibt oder das Erlangte absprachegemäß an einen anderen weitergibt (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. März 2019 - 5 StR 543/18, wistra 2019, 234 mwN).

b) Ausgehend von diesem Maßstab sind die Wertungen des Landgerichts, die Angeklagten hätten keine Verfügungsmacht an dem auf ihren Konten befindlichen Buchgeld erlangt, rechtsfehlerhaft.

aa) Zwar handelt es sich bei der Kontoinhaberschaft zunächst um eine formalrechtliche Position, die Ansprüche gegenüber dem Bankinstitut auf Auszahlung des Guthabensaldos begründet. Indes hat der Kontoinhaber die Möglichkeit über die Beträge auf dem Konto jederzeit und ungehindert durch Überweisungen oder Barabhebungen zu verfügen. Dem Kontoinhaber kommt damit Verfügungsmacht über das Buchgeld auf seinem Konto zu (vgl. auch Senat, Urteil vom 13. April 2022 - 2 StR 1/21, Rn. 27; Beschluss vom 27. März 2019 - 2 StR 561/18, NJW 2019, 2182, 2183).

bb) Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob dies ausnahmslos gilt oder ob in besonderen Konstellationen die Frage der Verfügungsmacht anders zu beurteilen sind. Vorliegend ist jedenfalls kein Umstand ersichtlich, der eine entsprechende Verfügungsmacht der Angeklagten ausschließen würde.

(1) Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass die durch die Geschädigten auf die inländischen Konten eingezahlten und nach Überweisung auf ausländische Konten dort von den Angeklagten abgehobenen Gelder unmittelbar von diesen an die Mitglieder der Bande weitergereicht worden seien, übersieht es, dass ein späterer Abfluss erhaltener Taterträge einem „Erlangen“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB gerade nicht entgegensteht (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18, NStZ 2019, 221, 222 mwN). Vor Weiterleitung bzw. Abführung der ertrogenen Gelder hatten die Angeklagten die Möglichkeit, über diese ungehindert zu verfügen.

(2) Soweit das Landgericht kritiklos der pauschalen Einlassung des Angeklagten E. folgt, er habe sämtliche Kontounterlagen einschließlich Karten für die in Deutschland errichteten Konten einem Hintermann überlassen, fehlt es dazu an tragfähigen Feststellungen, insbesondere zu dem genauen Zeitpunkt und den Umständen der angeblichen Übergabe. Zudem schließt die bloße Weitergabe von Zugangsdaten eines Kontos es nicht aus, dass der Kontoinhaber - selbst nach wie vor ebenfalls in Kenntnis der Zugangsdaten - von Zahlungseingängen erfährt und über auf dem Konto befindliche Gelder durch Überweisung verfügt.

Im Übrigen ist es nicht nachvollziehbar, warum lediglich der Angeklagte E. und nicht auch die Angeklagte N. den Hintermännern sämtliche Bankunterlagen ausgehändigt haben sollten und das nur für die deutschen, nicht auch für die ausländischen Konten, auf die die Gelder überwiegend weitergeleitet wurden.

Soweit die Strafkammer festgestellt hat, abgehobene Gelder habe E. unmittelbar an die Hintermänner weitergereicht, setzt dies zwingend voraus, dass der Angeklagte E. Zugriff auf die auf den Konten befindlichen Gelder hatte.

(3) Soweit Gelder nicht nur auf ein Privatkonto, sondern auch auf ausländische Geschäftskonten der von den Angeklagten gegründeten Gesellschaften flossen, hindert auch das eine Einziehung von Wertersatz nicht. Die Konten dienten allen Beteiligten ausschließlich der Ermöglichung von Straftaten und stellten sich damit als bloßer formaler Mantel hierfür dar (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18, BGHR StGB § 73 Erlangtes 27).

3. Das Urteil kann damit keinen Bestand haben, soweit von einer Einziehung des den Tatlohn übersteigenden Wertes an Taterträgen abgesehen worden ist. Der Senat hebt auch die dazugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht die Möglichkeit zu geben, diesbezüglich insgesamt neue Feststellungen treffen zu können (§ 353 Abs. 2 StPO).

4. Die von der Revision beantragte Anordnung der Einziehung durch den Senat (§ 354 Abs. 1 StPO) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es an Feststellungen dazu fehlt, ob die den Angeklagten gezahlten Tatlöhne aus den Taterträgen stammten und damit gegebenenfalls mindernd zu berücksichtigen sind.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 131

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede