HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1094
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 106/22, Beschluss v. 05.07.2022, HRRS 2022 Nr. 1094
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Dezember 2021 aufgehoben
a) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen,
b) soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils hat im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Der Strafausspruch hält dagegen materiellrechtlicher Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat bei der Strafzumessung nicht erkennbar berücksichtigt, dass der berufstätige Angeklagte als Erstverbüßer besonders strafempfindlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2005 - 3 StR 500/04, BeckRS 2005, 2848; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 719), zumal ihm der Widerruf der Bewährungsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 30. Oktober 2020 droht (vgl. Senat, Urteil vom 17. Februar 2021 - 2 StR 294/20).
3. Das Urteil unterliegt auch der Aufhebung, soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
a) Die Prüfung, ob diese Maßregel anzuordnen ist, drängte sich angesichts der Urteilsfeststellungen auf. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt:
„Nach den Feststellungen begann der Angeklagte im Jahr 2015 - zunächst unregelmäßig - Methamphetamin zu konsumieren, wobei das Konsumverhalten mit der Trennung von seiner Lebensgefährtin im August 2021 anstieg. Bis zu seiner Inhaftierung in dieser Sache konsumierte er an drei bis vier Tagen in der Woche jeweils zwischen einem bis zu fünf Gramm Methamphetamin und verspürte zu Beginn seiner Inhaftierung leichte Entzugserscheinungen in Gestalt von Schlafstörungen nachts und Müdigkeit am Tage (UA Seite 3).
Der Angeklagte wurde darüber hinaus im Jahr 2020 unter anderem wegen zweier am 17. Juni 2018 und am 11. November 2019 in stark alkoholisiertem Zustand begangener Gewaltdelikte verurteilt (UA Seiten 5f.). Auch vor der nun abgeurteilten Tat hatte der Angeklagte jeweils so viel Alkohol und Methamphetamin zu sich genommen, dass die Strafkammer zu seinen Gunsten aufgrund der festgestellten Mischintoxikation eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen hat (UA Seiten 8 und 16ff.).
Diese Feststellungen legen die Annahme eines Hangs des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, Alkohol und Drogen im Übermaß zu sich zu nehmen, den symptomatischen Zusammenhang der verfahrensgegenständlichen Tat, aber auch die Gefahr weiterer erheblicher (Gewalt)straftaten nahe. Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB nicht von vornherein verneint werden können, bedarf die Sache im Hinblick auf die Maßregelentscheidung - mit sachverständiger Unterstützung, § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO ? neuer Verhandlung und Entscheidung (vgl. BGH, aaO).
Die rechtsfehlerfreien Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen (vgl. BGH, aaO).
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 - 2 StR 210/20, StV 2021, 361). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. Senat, aaO). Der Strafausspruch bleibt hiervon unberührt, da auszuschließen ist, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine mildere Freiheitsstrafe erkannt hätte.“
b) Dem schließt sich der Senat an. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht wird daher mit Hilfe eines Sachverständigen (§ 246a StPO) zu prüfen haben, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1094
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede