HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1286
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 480/21, Beschluss v. 13.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1286
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 6. Juli 2021 aufgehoben,
a) soweit es die Angeklagten S. und B. betrifft, im gesamten Strafausspruch,
b) soweit es den Angeklagten I. betrifft, im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen 2 und 3 und im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Den Angeklagten S. hat es wegen derselben Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten I. hat es wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, wegen Beihilfe zum versuchten Betrug in Tateinheit mit Beihilfe zum Vortäuschen einer Straftat sowie wegen vorsätzlichen Besitzes einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz von Munition, mit vorsätzlichem Überlassen einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe an einen Nichtberechtigten und mit vorsätzlichem Überlassen erlaubnispflichtiger Munition an einen Nichtberechtigten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und diesen Angeklagten betreffend eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die vom Angeklagten B. erhobenen Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrügen hat hinsichtlich des Schuldspruchs sowie der Einzelstrafen in Fall 4 und 5 keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
3. Hinsichtlich des Angeklagten B. hat der gesamte Strafausspruch keinen Bestand.
a) Der Ausspruch über die Einzelstrafe in Fall 2 ist rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist. Es hat die Freiheitsstrafe von zwei Jahren dem gemäß §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 2 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen, wobei es von Freiheitsstrafe nicht unter neun Monaten ausgegangen ist. Richtigerweise ist jedoch die Strafe einem Strafrahmen von drei Monaten bis elf Jahre drei Monate zu entnehmen.
b) Auf dem Fehler beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht auf eine geringere Strafe erkannt hätte, wenn es vom richtigen Strafrahmen ausgegangen wäre.
c) Angesichts der Aufhebung der Einsatzstrafe im Fall 2 hebt der Senat auch die Einzelfreiheitsstrafe im Fall 1 in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende und ausgewogene neue Strafzumessung zu ermöglichen.
d) Der Wegfall aller Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
4. Auch hinsichtlich des Angeklagten S. hält der gesamte Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht bei der Zumessung der beiden Einzelstrafen einen falschen Strafrahmen zugrunde gelegt hat.
a) In Fall 1 hat es die Freiheitsstrafe von einem Jahr dem gemäß §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 2 StGB gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falles gemäß § 29a Abs. 2 BtMG entnommen. Diesen hat es auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Monaten - anstatt richtigerweise vom gesetzlichen Mindestmaß bis drei Jahre und neun Monaten - bestimmt.
b) In Fall 2 hat es die Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten dem gemäß §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 2 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen. Hierbei ist es von Freiheitsstrafe nicht unter neun Monaten ausgegangen. Zutreffend ist jedoch ein Strafrahmen von drei Monaten bis elf Jahre drei Monate Freiheitsstrafe.
c) Auf den Fehlern beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht auf geringere Strafen erkannt hätte, wenn es vom richtigen Strafrahmen ausgegangen wäre.
d) Der Wegfall aller Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
5. Hinsichtlich des Angeklagten I. hält der Ausspruch zu den Einzelstrafen in den Fällen 2 und 3 rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht eine mögliche Strafmilderung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG nicht erwogen hat, obwohl es sich ausweislich der Urteilsgründe zu einer ausdrücklichen Erörterung gedrängt sehen musste.
a) Das Landgericht hat zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass seine geständige Einlassung bereits in einem frühen Stadium der Ermittlungen erfolgt ist, und er während der erlittenen Untersuchungshaft besondere Einschränkungen hinnehmen musste, weil er in der Szene nunmehr als „Zinker“ verschrien ist.
Es hat jeweils einen minder schweren Fall gemäß § 29a Abs. 2 BtMG verneint und der Strafbemessung den gemäß §§ 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt. Eine weitere Strafmilderung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist nicht erörtert worden.
b) Die Nichterörterung von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist danach rechtsfehlerhaft. Nach den Urteilsgründen, die den Angeklagten als „Zinker“ bezeichnen, der sich bereits in einem frühen Stadium der Ermittlungen geständig eingelassen hat, lag es nahe, dass der Angeklagte durch die freiwillige Benennung von Personen, die an den Taten beteiligt waren, gemäß § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG dazu beigetragen hat, die Taten über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufzuklären (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2022 - 3 StR 394/21, juris Rn. 6; vom 11. November 2021 - 4 StR 134/21, juris Rn. 12; vom 20. August 2014 - 1 StR 390/14, juris Rn. 4; vom 31. August 2010 - 3 StR 297/10, juris Rn. 2 f.; vom 23. Oktober 2008 - 3 StR 413/08, NStZ-RR 2009, 58 f.).
c) Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht der Strafausspruch. Zwar hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten sein Geständnis berücksichtigt. Die Urteilsgründe lassen jedoch nicht erkennen, dass es die Möglichkeit geprüft hat, aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG zu bejahen oder die Strafe dem nach § 29a Abs. 1 BtMG, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen zu entnehmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2022 - 3 StR 394/21, juris Rn. 7; vom 11. November 2021 - 4 StR 134/21, juris Rn. 12; vom 31. August 2010 - 3 StR 297/10, juris Rn. 2 f.).
d) Dies zwingt zur Aufhebung der in den Fällen 2 und 3 verhängten Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs.
6. Die strafzumessungsrelevanten Feststellungen können jeweils bestehen bleiben, da ausschließlich ein Rechtsanwendungsfehler vorliegt (§ 353 Abs. 2 StPO). Weitere, zu diesen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen kann das neue Tatgericht treffen.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1286
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede