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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1236

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 65/19, Beschluss v. 14.05.2019, HRRS 2019 Nr. 1236


BGH 3 StR 65/19 - Beschluss vom 14. Mai 2019 (LG Kleve)

Tateinheit durch die Überlagerung von Ausführungshandlungen im Betäubungsmittelstrafrecht (Beschaffungstätigkeiten; Zahlungsvorgänge; aufeinanderfolgende, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehende Umsatzgeschäfte).

§ 29 BtMG; § 52 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die für die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB erforderliche Verknüpfung der Tatbestände kann allein in der Überlagerung der objektiven Ausführungshandlungen gesehen werden; dies gilt auch im Bereich der Betäubungsmittelstraftaten.

2. Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG sind nicht nur Tätigkeiten, die unmittelbar der Beschaffung und der Weitergabe von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern ebenfalls etwa dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge. Dies gilt auch für die bloße Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer an den Lieferanten.

3. Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen. Dasselbe gilt, wenn der Empfänger des Rauschgifts im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung den Lieferanten aufsucht und das Geld für mehrere vorangegangene Lieferungen gleichzeitig übergibt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 24. Oktober 2018 - auch soweit es die Mitangeklagten M. und C. betrifft - aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 22 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen den nichtrevidierenden Mitangeklagten M. hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren erkannt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die nichtrevidierende Mitangeklagte C. hat es wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen schuldig gesprochen und gegen sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen.

Der Angeklagte D. wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensbeanstandungen gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge - gemäß § 357 Satz 1 StPO auch zugunsten der Mitangeklagten M. und C. - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

a) Im Zeitraum von Februar bis Oktober 2017 erwarb der Angeklagte von dem Zeugen Mü. „auf Kommission“ ein Kilogramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 120 Gramm Amphetaminbase sowie 500 Ecstasy-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von 25 Gramm MDMA-Base und bei zwei weiteren Gelegenheiten jeweils ein Kilogramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 120 Gramm Amphetaminbase. Die Drogen verkaufte er tatplangemäß mit Gewinn weiter. Erst nach Abholung der dritten Lieferung bezahlte der Angeklagte insgesamt die von dem Zeugen Mü. erworbenen Betäubungsmittel (II.1. der Urteilsgründe).

b) Im Zeitraum von September 2017 bis März 2018 erwarb der Angeklagte von dem Mitangeklagten M. in acht Fällen jeweils 500 Gramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 60 Gramm Amphetaminbase, in einem Fall ein Kilogramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 120 Gramm Amphetaminbase, in einem Fall 100 Gramm MDMA mit einem Wirkstoffgehalt von 32 Gramm MDMA-Base und in drei Fällen jeweils 500 Ecstasy-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von jeweils 60 Gramm MDMA-Base. In den vorgenannten 13 Fällen unterstützte ihn die nichtrevidierende Mitangeklagte C., indem sie bei den Betäubungsmitteltransporten vom Übergabeort zu den Verpackungs- und Lagerstellen als Fahrerin fungierte. In weiteren fünf Fällen ließ der Angeklagte sich von anderen Personen zum Übergabeort des Rauschgifts fahren und erwarb jeweils 500 Gramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 60 Gramm Amphetaminbase (II.2. der Urteilsgründe).

c) In einem weiteren Fall erwarb der Angeklagte von dem Mitangeklagten M. 486,9 Gramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 65,7 Gramm Amphetaminbase (II.3. der Urteilsgründe).

2. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung des rechtsfehlerfrei festgestellten Geschehens als 22 tatmehrheitliche Fälle (§ 53 Abs. 1 StGB) des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) In den zu II.1. der Urteilsgründe dargelegten drei Fällen kommt nach den getroffenen Feststellungen das Vorliegen gleichartiger Tateinheit zwischen den einzelnen Erwerbsgeschäften in Betracht. Insoweit gilt:

aa) Die für die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB erforderliche Verknüpfung der Tatbestände kann allein in der Überlagerung der objektiven Ausführungshandlungen gesehen werden; dies gilt auch im Bereich der Betäubungsmittelstraftaten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 16; vom 11. November 1976 - 4 StR 266/76, BGHSt 27, 66 f.). Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG sind nicht nur Tätigkeiten, die unmittelbar der Beschaffung und der Weitergabe von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern ebenfalls etwa dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge. Dies gilt auch für die bloße Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer an den Lieferanten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 20 mwN). Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt nach ständiger Rechtsprechung eine Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen (BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 23; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 88/17, NStZ-RR 2018, 351; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 236/15, juris Rn. 9; vom 10. Januar 2019 - 3 StR 448/18, NStZ-RR 2019, 250, 251). Nichts anderes hat zu gelten, wenn der Empfänger des Rauschgifts im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung den Lieferanten aufsucht und das Geld für mehrere vorangegangene Lieferungen gleichzeitig übergibt. Das Bezahlen des Lieferanten dient als verbindendes Element den vorangegangenen Umsatzgeschäften gleichermaßen, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet.

bb) Nach diesen Maßstäben liegt in den zu II.1. der Urteilsgründe geschilderten drei Fällen die Annahme von Tateinheit nahe, da die Formulierung in den Feststellungen des Urteils, „nach der Abholung der dritten Lieferung an Betäubungsmitteln bezahlte der Angeklagte D. dem Zeugen Mü. die insgesamt entgegengenommenen Betäubungsmittel vollständig“, auf einen einheitlichen Zahlungsvorgang für die drei Rauschgiftlieferungen und damit ein teilweises Überlagern der objektiven Ausführungshandlungen des Betäubungsmittelhandels schließen lässt. Da weitergehende Feststellungen zum Konkurrenzverhältnis möglich erscheinen, kann der Senat den Schuldspruch nicht selbst abändern.

b) In den unter II.2. der Urteilsgründe dargelegten Fällen verhalten sich die Ausführungen des Landgerichts nicht zu den Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit; die Feststellungen sind insoweit lückenhaft. Ihnen lässt sich lediglich entnehmen, dass der Angeklagte immer dann eine neue Bestellung aufgab, nachdem die vorherige abgeholte Menge an Betäubungsmitteln gewinnbringend an Abnehmer verkauft worden war. Ob der Angeklagte bei jeder einzelnen Lieferung den Kaufpreis sogleich oder nachträglich bezahlte und gegebenenfalls Zahlungs- und Liefervorgänge gleichzeitig erfolgten, hat das Landgericht nicht festgestellt. Feststellungen dazu sind in der vorliegenden Fallkonstellation jedoch geboten gewesen. Denn angesichts des nachträglichen Zahlungsvorgangs bei den ersten drei Lieferungen und des Umstandes, dass der Mitangeklagte M. als Ersatzlieferant für den zwischenzeitlich inhaftierten Zeugen Mü. einsprang, liegt die Annahme nicht fern, dass der Rauschgifthandel auch mit ihm als „Kommissionsgeschäft“ mit nachfolgender Bezahlung abgewickelt und Zahlungen für mehrere Lieferungen zusammengefasst wurden. Die im Zuge der Festnahme und Durchsuchung kurz nach der letzten Tat bei dem Angeklagten D. und dem Mitangeklagten M. sichergestellten Bargeldsummen lassen nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass bei diesem Rauschgiftgeschäft die Bezahlung Zug um Zug gegen die Übergabe des Amphetamins erfolgte; möglich ist, dass die bei M. sichergestellten 455 € aus der Bezahlung einer früheren Lieferung oder anderweitigen Handelsgeschäften stammten, zumal bei ihm mehr als 2,3 Kilogramm Amphetamin, ca. 1,4 Liter Amphetaminöl, 84 Gramm MDMA, 577 Ecstasy-Tabletten und ca. 16 Gramm Kokain sichergestellt wurden.

3. Die getroffenen Feststellungen zu den einzelnen Erwerbsvorgängen sind von der rechtsfehlerhaften konkurrenzrechtlichen Beurteilung nicht betroffen; sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen allerdings nicht widersprechen dürfen.

4. Die auf die Sachrüge veranlasste (Teil-)Aufhebung des Urteils ist auf die Mitangeklagten M. und C. zu erstrecken, die keine Revision eingelegt haben (§ 357 Satz 1 StPO), denn die aufgezeigten materiellrechtlichen Fehler betreffen deren Verurteilung in gleicher Weise. Auch für den Mitangeklagten M. würden teilidentische Ausführungshandlungen - sei es durch gleichzeitige Entgegennahme der Zahlungen für mehrere Lieferungen oder durch gleichzeitige Übergabe von Rauschgift und Entgegennahme der Zahlung für frühere Lieferungen - Tateinheit begründen. Für die Mitangeklagte C. gilt wegen der Akzessorietät der Teilnahme, dass mehrere (natürliche und an sich selbstständige) Beihilfehandlungen zu einer einheitlichen Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden, wenn dies bei den Taten des Täters der Fall ist, zu denen Hilfe geleistet wurde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 2014 - 4 StR 377/14, NStZ 2015, 226; vom 14. Januar 2015 - 4 StR 440/14, NStZ-RR 2015, 113).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1236

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 114; StV 2020, 387

Bearbeiter: Christian Becker