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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 794

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 448/18, Beschluss v. 10.01.2019, HRRS 2019 Nr. 794


BGH 3 StR 448/18 - Beschluss vom 10. Januar 2019 (LG Hannover)

Tatbestandliche Bewertungseinheit beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (auf Umsatz gerichtete Tätigkeit; Förderung desselben Güterumsatzes; konkrete Anhaltspunkte; Gleichzeitigkeit von Bezahlung einer vorausgegangenen und Abholung einer neuen Lieferung).

§ 29 BtMG; § 52 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, wobei verschiedene Betätigungen, die auf die Förderung ein und desselben Güterumsatzes abzielen, eine tatbestandliche Bewertungseinheit bilden. Dies gilt auch, wenn der Täter Rauschgift sukzessiv aus einer einheitlich von zu Verkaufszwecken erworbenen Handelsmenge weiterverkauft. Zwar ist es nicht geboten, festgestellte Einzelverkäufe zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass sie ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat stammen. Liegen aber nach den Feststellungen konkrete Anhaltspunkte für eine Bewertungseinheit vor, darf das Tatgericht darüber ohne Erörterung nicht hinweggehen.

2. Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine jedenfalls teilweise, Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen. In diesen Fällen dient das Aufsuchen des Lieferanten als verbindendes Element gleichermaßen beiden Umsatzgeschäften, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet (vgl. bereits BGH HRRS 2018 Nr. 679).

3. Selbst ohne eine für alle Umsatzgeschäfte teilidentische Ausführungshandlung verbinden sich mehrere Handelsgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit, wenn es im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel aus Anlass der Bezahlung bereits zuvor „auf Kommission“ erhaltener Rauschgiftmengen kommt. Nichts anderes hat zu gelten, wenn ein Lieferant seinerseits im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung Rauschmittel an seinen Abnehmer übergibt und gleichzeitig das Geld für vorangegangene Lieferungen entgegennimmt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 23. Mai 2018, soweit es ihn betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

soweit der Angeklagte in den Fällen II.1. der Urteilsgründe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei tatmehrheitlichen Fällen verurteilt worden ist;

in den Aussprüchen über die aa) Gesamtfreiheitsstrafe, bb) Einziehung des Wertes der Taterträge.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes der Taterträge in Höhe von 7.500 € angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner nicht ausgeführten Revision, die er allgemein auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt.

Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und schon deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 StPO). Auch die Erhebung der allgemeinen Sachrüge führt nicht zum Erfolg der Revision, soweit sie sich gegen die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.2. und 3. der Urteilsgründe richtet. Insoweit hat die umfassende Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben. Dagegen hält die Verurteilung in den unter II.1. der Urteilsgründe festgestellten Fällen revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nach den unter II.1. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen übergab der Angeklagte an drei Tagen im September 2017 dem gesondert Verfolgten O. jeweils 100 Gramm Heroin mit einem HHCl-Gehalt von 30 %, das er zuvor aus seinem Schrebergarten geholt hatte. Der gesondert Verfolgte O. lieferte das Rauschgift sodann im Auftrag des Angeklagten an den Zeugen H., der den Kaufpreis von je 2.500 € in bar vor Ort leistete. Dieses Geld überbrachte der gesondert Verfolgte O. unmittelbar danach dem Angeklagten.

2. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung des festgestellten Geschehens als drei tatmehrheitlich begangene Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begegnet aus zwei Gründen rechtlichen Bedenken. Im Einzelnen:

a) Die aufgeführten Feststellungen lassen das Vorliegen einer Bewertungseinheit zwischen den drei Einzelverkäufen als naheliegend erscheinen, so dass insoweit möglicherweise nur ein Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gegeben ist.

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, wobei verschiedene Betätigungen, die auf die Förderung ein und desselben Güterumsatzes abzielen, eine tatbestandliche Bewertungseinheit bilden (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 - 4 StR 223/13, NStZ-RR 2014, 144, 145; Weber, BtMG, 5. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 596 ff. mwN). Soweit sie dieselbe Rauschgiftmenge betreffen, sind mehrere Akte des Betäubungsmittelumsatzes zu einer einheitlichen Tat des Handeltreibens verbunden (BGH, Urteile vom 13. Dezember 1994 - 1 StR 720/94, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 1; vom 23. März 1995 - 4 StR 746/94, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4). Dies gilt auch, wenn der Täter Rauschgift sukzessiv aus einer einheitlich von zu Verkaufszwecken erworbenen Handelsmenge weiterverkauft. Dann werden die Einzelverkäufe durch den Erwerb der hierfür erworbenen Gesamtmenge zu einer Bewertungseinheit verbunden (Weber, aaO Rn. 621 mwN). Zwar ist es nicht geboten, festgestellte Einzelverkäufe zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass sie ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat stammen. Liegen aber nach den Feststellungen konkrete Anhaltspunkte für eine Bewertungseinheit vor, darf das Tatgericht darüber ohne Erörterung nicht hinweggehen (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 - 4 StR 67/12, NStZ-RR 2012, 279, 280).

Solche Anhaltspunkte sind hier gegeben. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte in rund wöchentlichem Abstand nach dem Anbahnen des Verkaufsgeschäfts jeweils zu seinem Schrebergartengrundstück, von wo er dann zum Treffpunkt mit dem gesondert Verfolgten O. fuhr und diesem das für den Zeugen H. bestimmte Rauschgift übergab. Nach der Festnahme des Angeklagten konnten auf dem Gartengrundstück auch typische Betäubungsmittelutensilien gefunden werden. Dies lässt es als naheliegend erscheinen, dass der Angeklagte die an den gesondert Verfolgten O. übergebene Handelsmenge jeweils einem einzigen, auf dem Grundstück „gebunkerten“ Verkaufsvorrat entnahm und somit eine Bewertungseinheit gegeben ist.

b) Auch kommt - selbst wenn sich die Taten nicht auf denselben Güterumsatz bezogen - auf der Grundlage einer Gesamtschau der Urteilsgründe das Vorliegen gleichartiger Tateinheit zwischen den einzelnen Verkaufsgeschäften in Betracht.

Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine jedenfalls teilweise, Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen. In diesen Fällen dient das Aufsuchen des Lieferanten als verbindendes Element gleichermaßen beiden Umsatzgeschäften, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet (BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, NJW 2018, 2905 Rn. 23; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 88/17, NStZ-RR 2018, 351; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 236/15, juris Rn. 9). Selbst ohne eine für alle Umsatzgeschäfte teilidentische Ausführungshandlung verbinden sich mehrere Handelsgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit, wenn es im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel aus Anlass der Bezahlung bereits zuvor „auf Kommission“ erhaltener Rauschgiftmengen kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, aaO Rn. 28). Nichts anderes hat zu gelten, wenn ein Lieferant seinerseits im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung Rauschmittel an seinen Abnehmer übergibt und gleichzeitig das Geld für vorangegangene Lieferungen entgegennimmt.

Damit käme vorliegend jedenfalls hinsichtlich der letzten beiden Lieferungen ein tateinheitliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (in der jeweiligen Anzahl der Einzelgeschäfte) in Betracht, wenn im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung bei Lieferung der neuen Betäubungsmittelmenge die vorangegangene bezahlt worden wäre. Dies würde nach oben aufgezeigtem Maßstab selbst dann gelten, wenn eine teilidentische Ausführungshandlung in der Person des Angeklagten nicht festzustellen wäre, weil dieser seinen Abnehmer nicht selbst aufsuchte, sondern die Lieferung durch seinen Boten O. erbrachte.

Allerdings verhalten sich die Urteilsgründe nicht eindeutig zu den Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit. Ausweislich der Beweiswürdigung hat der Zeuge H. ausgesagt, das Heroin jeweils „auf Kommission“ erhalten zu haben. Jedoch bleibt offen, ob das Landgericht diese Angaben seinen Feststellungen zugrunde gelegt hat. Denn danach entrichtete der Zeuge H. bei jeder einzelnen Lieferung den Kaufpreis in bar, was eher für einen Zug-um-Zug-Verkauf als für eine nachträgliche Zahlung einer zuvor ohne Bezahlung erlangten Lieferung spricht.

Die Sache bedarf deshalb in den Fällen II.1. der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Der Wegfall der für diese Fälle ausgesprochenen Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

4. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II.1. der Urteilsgründe ist auch die Grundlage für die Anordnung der Einziehung des Wertes der Taterträge in Höhe von 7.500 € entfallen. Für die neu zu treffende Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Sollte das nunmehr zur Entscheidung berufene Gericht erneut die Einziehung von Wertersatz für die dem Angeklagten aus den unter II.1. der Urteilsgründe aufgeführten Taten erwachsenen Taterträge nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB anordnen, wird es zu erwägen haben, ob insoweit nicht eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht kommt. Denn nach den bisherigen Feststellungen erlangte diesen Betrag nicht allein der Angeklagte, sondern auch der gesondert Verfolgte O. Der von dem Zeugen H. dem gesondert Verfolgten O. ausgehändigte Kaufpreis könnte somit auch bei diesem - unabhängig von den zivilrechtlichen Besitz- und Eigentumsverhältnissen zwischen den Tatbeteiligten - in voller Höhe der Einziehung unterliegen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2006 - 1 StR 46/06, BGHSt 51, 65 Rn. 14). Somit kommt für diesen Betrag eine gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten und des gesondert Verfolgten O. in Betracht.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 794

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 250; StV 2020, 388

Bearbeiter: Christian Becker