HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 817
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 33/19, Beschluss v. 04.07.2019, HRRS 2019 Nr. 817
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Celle übertragen.
Der - zuvor aus Gründen der Gefahrenabwehr in Gewahrsam genommene - Angeschuldigte wurde am 17. Dezember 2018 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Winsen (Luhe) vom selben Tag festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Das Oberlandesgericht Celle hat den Haftbefehl am 3. Juni 2019 entsprechend der zwischenzeitlich dorthin erhobenen Anklage abgeändert, neu gefasst und dem Angeschuldigten verkündet.
Gegenstand des aktuellen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe zwischen März und Juni 2018 in S. sowie an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland auf seinen öffentlich einsehbaren Profilen eines Internetdienstes sechs im einzelnen aufgeführte Lichtbilder mitsamt ergänzenden Texten veröffentlicht. Dadurch habe er durch dieselbe Handlung für eine terroristische Vereinigung im Ausland - den „Islamischen Staat“ (IS) - um Mitglieder und Unterstützer geworben (§ 129a Abs. 1, Abs. 5 Satz 2, § 129b Abs. 1 StGB), öffentlich zu Straftaten aufgefordert (§ 111 Abs. 1 und 2 StGB), Gewaltdarstellungen verbreitet (§ 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a Alternative 1 StGB), Kennzeichen eines von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins verwendet (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG) und Straftaten gebilligt (§ 140 Nr. 2 StGB).
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.
Die Führung der Vereinigung, die sich mit dem Ausrufen des „Kalifats“ im Juni 2014 von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in IS umbenannte und damit von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hat seit 2010 der „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi inne. Al Baghdadi war von seinem Sprecher zum „Kalifen“ erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem „Kalifen“ unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura Räte“. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al l’tisam“ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, ergänzt um das islamische Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Die Vereinigung teilte die von ihr besetzten Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf das Schaffen totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellen, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom ISIG bzw. IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich, Belgien und Deutschland, die Verantwortung übernommen.
bb) Der Angeschuldigte hatte auf einem von ihm genutzten Mobiltelefon das Anwenderprogramm „Google+" installiert und nutzte dieses mit drei verschiedenen Identifikationsnummern jeweils unter dem Namen“ O. ". Dort veröffentlichte er bewusst folgende sechs Inhalte, die ohne weitere Zugangsbeschränkung öffentlich einsehbar waren:
(1) In der zweiten Märzhälfte 2018 veröffentlichte er eine Collage mit dem Bild eines Armes, der ein Messer zum Stoß erhoben führte und mit dem Messer auf eine Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika zielte. Auf der Messerscheide spiegelte sich ein Ausschnitt des vom IS verwendeten Symbols. In die Collage integriert war in englischer Sprache der Aufruf: „Beantwortet den Ruf und erstecht sie.“ („Reply the call and stab them.“). Dem fügte der Angeschuldigte auf arabischer Sprache die Anmerkung an: „Wir werden siegen trotz Wunden und Traurigkeit, denn es ist ein Versprechen vom Gott aller Götter.“
(2) Im April 2018 präsentierte der Angeschuldigte in Bezug auf die damals bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft (WM) in Russland ein Bild, das aus einer Publikation des IS namens „Just Terror“ stammte und einen bewaffneten Mann vor Symbolen der WM sowie Russlands zeigte. Die englischsprachige Bildunterschrift lautete: „Mit Gottes Erlaubnis werden es blutige Spiele sein…"
(3) Ende März 2018 stellte der Angeschuldigte das Foto eines mit einer Tarnuniform gekleideten Kämpfers ein, der ein auf einem Stativ montiertes Maschinengewehr über eine Mauer hinweg abfeuerte, über die eine schwarze Fahne hinweg hing, auf der ein Teil des islamischen Bekenntnisses zu erkennen ist. Der Angeschuldigte kommentierte das Bild auf Arabisch: „Wir kämpfen, weil wir für unsere Religion und Freiheit kämpfen müssen, bis wir die Eindringlinge vertreiben oder wir sterben. Und wir haben keine andere Wahl, als das zu tun. Wir gehören zu Gott, und zu ihm kehren wir zurück.“
(4) Anfang Juni 2018 lud er ein Foto von H. auf sein Profil, der am 29. Mai 2018 in L. (B.) einen Anschlag begangen und dabei zwei Polizistinnen und einen weiteren Menschen getötet hatte; er war sodann bei einem Polizeieinsatz erschossen worden. Der Angeschuldigte ergänzte auf Arabisch: "#Belgien: Bruder Bakr al Baljiki (der Belgier), Gott möge ihn annehmen, hat vor einiger Zeit im Gefängnis durch einen Prediger zum Islam konvertiert. Er ist derjenige, der den Angriff auf die belgische, kreuzritterische Polizei und auf die kriegführenden Christen in der Stadt L. (B. -Ost) durchgeführt hat.“
(5) Der Angeschuldigte veröffentlichte in der zweiten Märzhälfte 2018 ein Foto, das die Enthauptung eines Menschen mit einem Messer durch einen Uniformierten in einem Zeitpunkt zeigt, in dem der Kopf des Opfers bereits weitgehend vom Körper abgetrennt und der klaffende Hals zu sehen ist. Der Angeschuldigte setzte neben der Abbildung von zwei stilisierten Messern auf Arabisch hinzu: „So pflegten die Gefährten Mohammeds die Kehlen durchzuschneiden als Tat, die sie näher an Gott bringt. 'Und wer sie von euch zu Beschützern nimmt, der gehört wahrlich zu ihnen.'"
(6) Rund eine Woche zuvor, ebenfalls im März 2018, fügte der Angeschuldigte ein Foto mit dem verkohlten Oberkörper eines bäuchlings auf Trümmern liegenden Menschen ein. Er bemerkte hierzu auf Arabisch: „Provinz Damaskus. Kadaver der verendeten Soldaten der Armee der Nusairier im Stadteil alQadam, südlich von Damaskus.“
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ aus den „Strukturerkenntnissen“, die zu dieser Organisation in den entsprechend bezeichneten Sachakten zusammengetragen sind, insbesondere aus islamwissenschaftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. St. und Auswerteberichten des Bundeskriminalamts sowie den dort in Bezug genommenen und dargestellten weiteren Quellen.
Die veröffentlichten Beiträge und ihr Inhalt ergeben sich aus den entsprechenden polizeilich gesicherten Profilen sowie den Übersetzungen der fremdsprachigen Passagen. Dass der Angeschuldigte diese Beiträge erstellte und die zugrundeliegenden Zugangs-Identifikationsnummern nutzte, ist - ungeachtet seiner wechselnden, dem zuletzt entgegenstehenden Einlassungen - durch die Ermittlungen im Sinne eines dringenden Verdachts belegt.
In einer ersten Beschuldigtenvernehmung am 10. Dezember 2018 zu dem mitgeteilten Vorwurf in Bezug auf Veröffentlichung von Bildern auf dem „Google+"-Profil hat der Angeschuldigte erklärt, die Fotos, die er veröffentlicht habe, die gebe es überall in der Presse zu sehen, die seien nicht verboten. Das eine Enthauptung zeigende Foto kenne er nicht. In der Beschuldigtenvernehmung am 6. Februar 2019 hat er modifizierend angegeben, Sa., den er in einer Moschee in Ha. kennengelernt habe, habe unter dem Namen " O.“ ein Konto eröffnet. In seiner Vernehmung am 20. März 2019 hat er dann mitgeteilt, er habe nichts mit den Veröffentlichungen zu tun, er sei nicht Nutzer des Profils. Er habe sein Tablet und sein Mobiltelefon oft in der Moschee gelassen. Die Sicherungscodes für die Geräte habe er erst am Tag vor deren Sicherstellung angelegt.
Diese Einlassungen erscheinen in sich widersprüchlich, bereits aus sich heraus wenig überzeugend und nach dem vorläufigen Beweisergebnis widerlegt.
Die Untersuchung des bei dem Angeschuldigten am 12. Juni 2018 sichergestellten Mobiltelefons hat erbracht, dass mit dem Gerät und einer bestimmten Identifikationsnummer unter dem Namen“ O.“ 31 Dateien bei dem Dienst „Google+" zwischen dem 1. und 8. Juni 2018 hochgeladen wurden. Davon konnten 15 Dateien über den „Google+"-Zugang ermittelt werden, unter anderem die den Attentäter H. betreffende. Bereits wegen eines ähnlichen Inhalts und des gleichen Profilnamens“ O.“ liegt nahe, dass der Angeschuldigte auch die Beiträge unter der Ende Mai 2018 gelöschten anderen Identifikationsnummer einstellte. Hierfür sprechen zudem die Angaben des Zeugen A., eines früheren Mitbewohners des Angeschuldigten, dass dieser das Profil“ O.“ bei „Google+" angelegt und - auch für den IS betreffende Inhalte - genutzt habe. Unter der mitgeteilten, im Folgenden gelöschten Identifikationsnummer wurden fünf der sechs genannten Veröffentlichungen geladen. Eine den IS befürwortende Haltung des Angeschuldigten und seine Bezeichnung als“ O.“ haben andere Zeugen bestätigt.
Rückschlüsse zur inneren Tatseite lassen sich aus dem Inhalt der Veröffentlichungen und den sich aus den Ermittlungen ergebenden Erkenntnissen zur Person des Angeschuldigten, auch zu seinen Kenntnissen der englischen Sprache, ziehen.
Wegen weiterer Einzelheiten zur vorläufigen Bewertung der Beweisergebnisse wird auf den Haftbefehl des Oberlandesgerichts und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen.
c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland strafbar gemacht hat.
aa) Die Veröffentlichung im Zusammenhang mit dem erhobenen Messer (oben unter (1)) ist als Werben um Mitglieder oder Unterstützer für eine der in § 129a Abs. 1 oder 2 StGB bezeichneten terroristischen Vereinigungen zu verstehen.
Danach wirbt um Mitglieder, wer sich um die Gewinnung von Personen bemüht, die sich mitgliedschaftlich in die Organisation einer bestimmten derartigen Vereinigung einfügen. Um Unterstützer wirbt, wer bei anderen die Bereitschaft wecken will, die Tätigkeit oder die Bestrebungen einer solchen Vereinigung direkt oder über eines ihrer Mitglieder zu fördern, ohne sich selbst als Mitglied in die Organisation einzugliedern. Die Werbung kann sich dabei in beiden Fällen sowohl an eine konkrete Person als auch an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten richten. Ein Erfolg der Werbung wird nicht vorausgesetzt; auch der erfolglose Versuch, andere als Mitglied oder Unterstützer einer Vereinigung zu gewinnen, wird von der Strafbarkeit erfasst (BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 353; vom 28. Juni 2018 - AK 26 und 27/18, juris Rn. 29). Jedenfalls bedarf es einer Gedankenäußerung, die sich nach dem Verständnis des Adressaten als Werbung zugunsten einer konkreten terroristischen Vereinigung darstellt und über das bloße Werben um Sympathie im Sinne eines befürworteten Eintretens für eine konkrete terroristische Vereinigung hinausgeht (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2015 - 3 StR 197/14, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Werben 4 Rn. 11 f. mwN).
Nach diesen Maßstäben ist ein Werben anzunehmen. Ein Organisationsbezug ist angesichts der wenigstens ausschnittsweisen Darstellung des vom IS genutzten Symbols gegeben. Durch die eigenen Kommentierungen des Angeschuldigten fügte dieser einen eigenen Beitrag hinzu, der im Kontext als Aufforderung zu verstehen ist, sich den Gewalttätigkeiten des IS entweder mitgliedschaftlich oder unterstützend anzuschließen (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2019 - AK 15/19, StB 9/19, juris Rn. 21; vom 28. Juni 2018 - AK 26 und 27/18, juris Rn. 30). Der appellative Charakter ergibt sich bereits aus der ausdrücklichen englischsprachigen Aufforderung, die in dem individuell beigefügten Text befürwortend aufgegriffen wird („Wir werden siegen…").
bb) Eine Strafbarkeit in Bezug auf den IS als Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB eröffnet und deutsches Strafrecht nach § 3 StGB anwendbar, da der Angeschuldigte in Deutschland handelte. Die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB für die Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz unter dem 13. Oktober 2015 für den IS in allgemeiner Form neu gefasst und erteilt.
cc) Hinter eine Strafbarkeit wegen Werbens tritt eine etwaige Strafbarkeit wegen öffentlichen Verwendens des Kennzeichens eines von einem Be25 26 27 tätigungsverbot betroffenen Vereins gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VereinsG zurück. Demnach kommt eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG lediglich in solchen Fällen in Betracht, in denen die §§ 129a, 129b StGB (und §§ 129, 84, 85, 86a StGB) nicht verwirklicht sind.
dd) Weil der wesentliche den Haftbefehl tragende Vorwurf des Werbens für eine terroristische Vereinigung im Ausland im Sinne eines dringenden Tatverdachts mithin belegt ist und dieser die Fortdauer der Untersuchungshaft trägt, bedarf es hier keiner ins Einzelne gehenden Erörterung der weiteren Straftatbestände und Veröffentlichungen.
Insoweit bemerkt der Senat lediglich ergänzend:
(1) Die im Haftbefehl vorgenommene konkurrenzrechtliche Bewertung, sämtliche dem Angeschuldigten zur Last gelegten Delikte seien tateinheitlich (§ 52 StGB) verwirklicht, erscheint zweifelhaft. Nach den allgemeinen Maßstäben sind unterschiedliche Handlungen grundsätzlich für sich zu betrachten, sofern nicht ausnahmsweise (etwa nach dem jeweils in Betracht kommenden Tatbestand oder nach der Enge des Zusammenhangs) eine Bewertung als Tateinheit geboten ist. Bei mehrfachem Werben liegt in der Regel Tatmehrheit vor (BGH, Beschluss vom 17. August 2017 - AK 34/17, NStZ-RR 2017, 347, 348). Ein enger räumlicher, zeitlicher und sachlicher Zusammenhang, der beispielsweise bei einer einheitlichen Chatkommunikation anzunehmen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 - AK 21/19, juris Rn. 28; s. auch BGH, Beschluss vom 7. Februar 2019 - AK 1/19, juris Rn. 38), erschließt sich nicht ohne Weiteres.
(2) Soweit bei den übrigen Veröffentlichungen eine Strafbarkeit wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung im Ausland zu erwägen ist, sind insbesondere ein etwaiger Organisationsbezug der Veröffentlichungen und gegebenenfalls die Abgrenzung zu einem bloß befürwortenden Eintreten für die Vereinigung in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2012 - 3 StR 218/12, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Werben 3 Rn. 5 f.; Urteil vom 2. April 2015 - 3 StR 197/14, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Werben 4 Rn. 12 f.).
(3) Sofern ein Verbreiten von Schriften etwa nach § 111 Abs. 1 Variante 3, § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a Alternative 1 und § 140 Nr. 2 Variante. 3 StGB in Rede steht, ist bei dem Bereitstellen von Dateien im Internet in Bedacht zu nehmen, ob diese bei einem Nutzer eingegangen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2012 - 3 StR 314/12, juris Rn. 18; vom 12. November 2013 - 3 StR 322/13, NStZ-RR 2014, 47; Urteil vom 27. Juni 2001 - 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 59).
2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.
Die im Falle einer Verurteilung drohende Freiheitsstrafe stellt einen Fluchtanreiz dar, der durch die konkreten Lebensumstände des im August 2015 als Flüchtling nach Deutschland eingereisten Angeschuldigten verstärkt wird. Er bemühte sich einige Monate vor seiner Verhaftung um ein Visum für Ägypten, wo seine Eltern und eine Schwester leben. In einem Telefonat äußerte er im Juli 2018 die Absicht, Deutschland zu verlassen. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde im April 2019 widerrufen. In der ihm im Asylverfahren 31 32 33 34 zugewiesenen Unterkunft hielt er sich häufiger nicht auf, sondern übernachtete in Ham. Soziale Bindungen in Deutschland, die einer Flucht ins Ausland oder einem Untertauchen entgegenstünden, bestehen nicht.
Eine etwaige - im Schriftsatz vom 28. Juni 2019 näher dargelegte - Betreuung durch das Aussteigerprogramm „Islamismus“ des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport ändert daran nichts, da sie angesichts des kurzen Zeitraums grundlegende fluchthemmende Gesichtspunkte nicht tragfähig belegt und somit die dargelegte Fluchtgefahr nicht entkräftet. Ob eine Mitarbeit des Angeschuldigten gegebenenfalls lediglich mit Blick auf das Strafverfahren und die Untersuchungshaft taktisch motiviert ist, bedarf somit keiner weiteren Erörterung.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.
3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen.
Die Auswertung der bei dem Angeschuldigten - teils bereits vor seiner Festnahme - sichergestellten Mobiltelefone hat sich angesichts des Umfangs der gespeicherten Daten und der erforderlichen Hinzuziehung von Dolmetschern über mehrere Monate erstreckt. Er selbst ist auf seinen eigenen Wunsch hin wiederholt im Ermittlungsverfahren vernommen worden. Nach Fertigstellung des polizeilichen Abschlussberichts am 8. Mai 2019 hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle unter dem 20. Mai 2019 Anklage erhoben und zugleich die Anfertigung einer Übersetzung der Anklageschrift veranlasst. Die Zustellung der Anklageschrift ist am 23. Mai 2019, dem Tag ihres Eingangs, verfügt und eine Erklärungsfrist von drei Wochen gesetzt worden. Das Oberlandesgericht hat für den Fall der Eröffnung mögliche Hauptverhandlungstermine ab dem 12. August 2019 ins Auge gefasst.
Soweit ein Verteidiger in seiner Stellungnahme herausgestellt hat, dass der Vorsitzende des mit der Sache befassten Senats des Oberlandesgerichts die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers wegen des verhältnismäßig einfach gelagerten Sachverhalts für nicht erforderlich gehalten habe, steht dies der Haftfortdauer nicht entgegen. Die Erforderlichkeit der Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers nach Anklageerhebung bemisst sich nach anderen Maßstäben als die Beurteilung der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfangs der Ermittlungen im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO.
Danach ist das Verfahren insgesamt mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
4. Die Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits derzeit nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 817
Bearbeiter: Christian Becker