HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 664
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 412/19, Urteil v. 15.01.2020, HRRS 2020 Nr. 664
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 17. April 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den diesbezüglichen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts bei der Strafzumessung beanstandet wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Landgericht hat, soweit für die Revision von Bedeutung, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Am Vormittag des 31. August 2018 fuhr der Angeklagte zur Wohnung der Nebenklägerin, mit der er zuvor telefonisch einen Termin zur vorgeblichen Besichtigung eines von der Geschädigten auf einer Internetplattform zum Verkauf angebotenen Kinderbetts vereinbart hatte. Er führte ein Taschenmesser mit ca. 8 cm Klingenlänge, eine schwarze Nylonstrumpfhose und Kabelbinder mit sich. Er beabsichtigte, die Nebenklägerin zu zwingen, die Strumpfhose anzuziehen, darin vor ihm zu posieren und zu stöhnen. Dadurch zumindest gedanklich sexuell erregt wollte er vor ihr masturbieren. Nachdem die Zeugin den Angeklagten in ihre Wohnung gelassen hatte, legte ihr der Angeklagte von hinten seinen Arm um den Hals, um die Tat wie geplant auszuführen. Die Nebenklägerin begann jedoch laut zu schreien und leistete massive Gegenwehr. Die Versuche des Angeklagten, sein Tatopfer durch Knebeln oder Vorhalten des Messers ruhig zu stellen und für sein Vorhaben gefügig zu machen, scheiterten. Als sich das Kampfgeschehen in das Badezimmer verlagerte, gelang es der Nebenklägerin, die ernsthaft um ihr Leben fürchtete, ein Fenster zu öffnen und um Hilfe zu rufen. Angesichts dessen entschloss sich der Angeklagte, von der erstrebten und aus seiner Sicht noch möglichen Tatvollendung abzusehen; er wollte die Nebenklägerin nur noch zum Schweigen bringen. Während des folgenden Gerangels führte der Angeklagte mit dem Messer eine Stichbewegung gegen ihren Oberkörper und traf sie an ihrer linken Flanke, wodurch sie eine akut lebensgefährliche Lungenverletzung erlitt. Der Nebenklägerin gelang es, dem Angeklagten das Messer zu entreißen, es gegen diesen zu richten und sodann aus dem Fenster zu werfen. Schließlich konnte sie mit einem Fuß die Türe zu ihrer Wohnung öffnen. Daraufhin verließ der Angeklagte die Wohnung, konnte aber von bereits herbeigeeilten Zeugen bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten werden.
Die Geschädigte wurde erfolgreich notoperiert, litt aber bei ansonsten komplikationslos verlaufender Wundheilung mehrere Wochen an Atembeschwerden und stechenden Schmerzen. Seit der Tat leidet sie an massiven Angst- und Panikattacken, ist in psychotherapeutischer Behandlung und kann ihrer Tätigkeit als Ergotherapeutin nicht mehr nachgehen. Sie hat sich zu einer ängstlich-introvertierten Persönlichkeit gewandelt und bezeichnet sich als durch die Tat „zerstört“.
2. Der Angeklagte hat das objektive Tatgeschehen im Wesentlichen eingeräumt. Während er zunächst angegeben hatte, er habe die Geschädigte berauben wollen, hat er am 8. Hauptverhandlungstag nach der Vernehmung der Nebenklägerin den sexuellen Hintergrund seiner Tat so geschildert, wie ihn die Strafkammer festgestellt hat.
Schon vor Beginn der Hauptverhandlung hat der Angeklagte, vermittelt durch seinen Verteidiger, die Nebenklägerin um Entschuldigung gebeten und ihr zum Ausgleich für die verursachten immateriellen Schäden die Zahlung von 5.000 € angeboten. Er hat dieses Angebot zu Beginn der Hauptverhandlung schließlich auf 25.000 € erhöht und im Laufe der Hauptverhandlung die Zahlung dieses Betrages auf das Anderkonto der Nebenklägervertreterin veranlasst. Er hat hierzu ein Darlehen bei seiner Lebensgefährtin aufgenommen. Die Geschädigte hat die Zahlung angenommen, wobei sie durch ihre Vertreterin erklären ließ, dass sie diese Leistung nicht im Sinne eines Täter-Opfer-Ausgleichs anerkenne, aber in Höhe von 15.000 € auf die durch die Tat verursachten materiellen Vermögensschäden angerechnet wissen wolle.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist, wie dessen Auslegung ergibt, auf den Strafausspruch beschränkt (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285). Es hat in diesem Umfang Erfolg. Die von der Revision mit der Sachrüge beanstandete Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs und die deshalb erfolgte Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Rechtsfolgenausspruch bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
1. § 46a Nr. 1 StGB, der sich vor allem auf den Ausgleich der immateriellen Folgen der Tat bezieht, setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutmacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteile vom 22. Mai 2019 - 2 StR 203/18, NStZ-RR 2019, 369; vom 9. Oktober 2019 ? 2 StR 468/18, NJW 2020, 486; vom 8. August 2012 ? 2 StR 526/11, NStZ 2013, 33; vom 31. Mai 2002 ? 2 StR 73/02, NJW 2002, 3264; BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - 1 StR 591/18, NStZ-RR 2019, 206, 207; BTDrs. 12/6853, S. 21). Ein „Wiedergutmachungserfolg“ wird nicht verlangt. Erforderlich ist, dass der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil“ wiedergutgemacht hat, ausreichend ist aber auch, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt (st. Rspr.; Senat, Urteil vom 25. Mai 2001 ? 2 StR 78/01, NJW 2001, 2557 mwN). Für die Annahme des von § 46a Nr. 1 StGB vorausgesetzten kommunikativen Prozesses zwischen Opfer und Täter ist weder zwingend die Vermittlung durch einen neutralen Dritten erforderlich, noch ein persönlicher Kontakt zwischen Täter und Opfer. Unverzichtbar ist jedoch nach dem Grundgedanken des Täter-Opfer-Ausgleichs eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung, was grundsätzlich voraussetzt, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (Senat, Urteil vom 31. Mai 2002 ? 2 StR 73/02, NJW 2002, 3264, 3265 mwN).
2. Hiervon ausgehend erweist sich die zu Gunsten des Angeklagten vorgenommene Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
a) Allerdings scheidet die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a Nr. 1 StGB nicht schon wegen der Schwere des hier begangenen Delikts aus, das mit einem Eindringen in den Wohnbereich und einem Messerangriff auf die Geschädigte verbunden war. Selbst bei einem schwerwiegenden Sexualdelikt ist ein Täter-Opfer-Ausgleich möglich, mag auch eine entsprechende, zumindest annähernd gelungene Konfliktlösung aus tatsächlichen Gründen schwerer erreichbar sein (vgl. Senat, Urteil vom 31. Mai 2002, aaO) und es regelmäßig nicht genügen, dass der Täter sich lediglich zu entschuldigen versucht und, wenn auch unter Aufnahme eines Kredits, Schmerzensgeldzahlungen leistet (BGH, Beschluss vom 2. Mai 1995 ? 5 StR 156/95, NStZ 1995, 492; zu den Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 ? 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 141; vgl. auch Senat, Urteil vom 6. Februar 2008 ? 2 StR 561/07, NStZ 2008, 452; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 ? 1 StR 405/02, NStZ 2003, 365; Senatsbeschlüsse vom 20. September 2002 ? 2 StR 336/02, NStZ 2003, 199, 200 und vom 25. Juni 2008 ? 2 StR 217/08, NStZ-RR 2008, 304; BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2018 ? 1 StR 422/18 Rn. 33).
b) Die Annahme des Landgerichts, die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB lägen vor, kann aber deswegen keinen Bestand haben, weil es das Landgericht unterlassen hat, hinreichende Feststellungen zum Umfang der der Geschädigten tatsächlich durch die Tat entstandenen materiellen und immateriellen Schäden zu treffen. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um zu überprüfen, ob der Angeklagte einen Ausgleich des von ihm verursachten Schadens „ganz oder zum überwiegenden Teil“ erstrebte.
Zwar bezieht sich § 46a Nr. 1 StGB vor allem auf den Ausgleich immaterieller Schäden; hierauf hat der Angeklagte seine Zahlungsbemühungen ausdrücklich beschränkt. Für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB ist aber auch ein adäquater Ausgleich für die dem Tatopfer entstandenen materiellen Schäden vorzunehmen (vgl. Senat, Urteil vom 22. Mai 2019 ? 2 StR 203/18, NStZ-RR 2019, 369). Dabei kann nicht ausschließlich auf die subjektive Bewertung von Tatopfer oder Täter abgestellt werden. Erforderlich ist vielmehr vorrangig die Prüfung, ob die konkret erfolgten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können; dies folgt schon daraus, dass überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen Schädigungen ausgleichen und zu einer Genugtuung für das Opfer führen können (vgl. Senat, Urteile vom 22. Mai 2019, aaO, und vom 9. Oktober 2019 ? 2 StR 468/18, aaO mwN). Dies macht konkrete Feststellungen zum durch die Tat entstandenen materiellen und immateriellen Schaden erforderlich. Nur auf deren Grundlage kann geprüft werden, ob der vom Angeklagten tatsächlich geleistete Betrag von 25.000 € nach einem objektivierenden Maßstab geeignet ist, die materiellen und immateriellen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin in einem friedensstiftenden Sinn auszugleichen.
c) Ohne Feststellungen zur tatsächlichen Schadenshöhe lässt sich auch nicht beurteilen, ob ein Fall vorliegt, in dem die fehlende Einwilligung des Opfers, die geleistete Zahlung als Ausgleich im Rahmen des § 46a Nr. 1 StGB zu akzeptieren, ausnahmsweise unbeachtlich ist.
Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Hat der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, die Wiedergutmachung der Tat ernsthaft erstrebt, kann allerdings die fehlende Einwilligung des Opfers ausnahmsweise unerheblich sein, wenn etwa die Weigerung des Tatopfers insgesamt nicht mehr nachvollziehbar erscheint. Die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes soll nicht ausschließlich vom Willen des Opfers abhängen. Als einschränkendes Kriterium fordert die Vorschrift das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen; das Bemühen des Täters muss gerade darauf gerichtet sein, das Opfer „zufrieden zu stellen“ (vgl. Senat, Urteil vom 31. Mai 2002 ? 2 StR 73/02 aaO). Dies ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen und kann regelmäßig ? so auch hier ? nur in Kenntnis der Höhe des tatsächlich entstandenen materiellen und immateriellen Schadens beurteilt werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 664
Externe Fundstellen: StV 2021, 31
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner