HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 287
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 355/19, Beschluss v. 09.01.2020, HRRS 2020 Nr. 287
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 5. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie sichergestelltes Marihuana eingezogen. Von dem Vorwurf des bandenmäßigen Handeltreibens in vier weiteren Fällen hat es ihn „aus tatsächlichen Gründen“ freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat auf die Sachrüge hin Erfolg.
Nach den Feststellungen war der Angeklagte mit den bereits rechtskräftig verurteilten Rauschgifthändlern M. und Ma. befreundet.
Anfang 2018 machte der Angeklagte, ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr, M. mit dem in seiner Bundeswehreinheit tätigen, gesondert verfolgten K., einem Mitglied der sog. „Rheinsberg Connection“ bekannt, um die Möglichkeit gemeinsamer Betäubungsmittelgeschäfte auszuloten. Am 14. Februar 2018 übernahm die gesondert verfolgte Mar. im Auftrag des M. von einer unbekannten Person 1 kg Marihuana, das später von Ma. abgeholt wurde (Fall 1).
Am 15. April 2018 fuhren die gesondert verfolgten Mar. und W. im Auftrag des M. nach Rheinsberg, wo sie 6.000 Euro für die vorangegangene Lieferung vom 14. Februar 2018 überbrachten und gleichzeitig weiter 10 kg Marihuana von einer unbekannten Person, die sie mit „Ku.“ (dem Namen des Angeklagten) ansprach, übernahmen. In der Folgezeit wurden die bei Mar. gelagerten Betäubungsmittel von M. und dem Angeklagten teilweise entnommen und weitergegeben. Am 18. Juni 2018 wurden auf dem allgemein zugänglichen Grundstück der Mutter des Angeklagten bei einer Durchsuchung 934,26 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 133 Gramm sichergestellt. Bei der Durchsuchung bei den gesondert verfolgten Mar. und W. am 21. Juni 2018 wurden 4.070 Gramm Marihuana, 120,8 Gramm Amphetamin sowie Arzneimittel und Muskelaufbaupräparate sichergestellt (Fall 2).
Bereits am 21. April 2018 hatte Mar. im Auftrag M. s 1 kg Marihuana für 3.600 Euro, 1 kg Amphetamin und eine unbekannte Menge eines Testosteronpräparates von einem Hamburger Lieferanten übernommen. Dabei hatte der Angeklagte Mar. per WhatsApp-Sprachnachrichten zu dem Übergabeort, einer Aral-Tankstelle, navigiert (Fall 3).
Am 4. Mai 2018 übernahm W. in Rheinsberg 10 kg Marihuana, die für M. bestimmt waren. Dieses Geschäft hatte der Angeklagte am 2. Mai 2018 mit dem gesondert verfolgten K. „angeschoben“, bevor er noch am selben Tage für zweieinhalb Wochen zu einer Bundeswehrübung nach Estland verreiste. Am 17. Juni 2018 fuhr der Angeklagte im Auftrag des M. in Begleitung des Ma. zu K. und übergab diesem einen Briefumschlag mit 3.600 Euro als Bezahlung für die Lieferung vom 4. Mai 2018 (Fall 4).
Die Verurteilung des die Tatvorwürfe bestreitenden Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 StR 208/19).
2. So liegt es hier; die Beweiswürdigung ist lückenhaft.
a) Das Landgericht stützt seine Überzeugungsbildung von der Beteiligung des Angeklagten auf belastende Angaben der beiden Haupttäter M. und Ma. in der gegen diese geführten Hauptverhandlung. Während M. und Ma. auf der Grundlage einer Verständigung gemäß § 257c StPO verurteilt wurden, war das Verfahren gegen den Angeklagten, der jegliche Tatbeteiligung bestritten hatte, abgetrennt worden. Weil die beiden Haupttäter ebenso wie weitere Zeugen, deren Bekundungen ebenfalls nicht wiedergegeben werden, in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nunmehr von ihren früheren, diesen belastende Angaben abgerückt sind, hat die Strafkammer den Berichterstatter des vorangegangenen Strafverfahrens als Zeugen vernommen.
Hängt - wie hier - die Überzeugung von der Täterschaft eines bestreitenden Angeklagten entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Mittäters ab, muss der Tatrichter die für die Richtigkeit der Angaben der Belastungszeugen sprechenden Gesichtspunkte umfassend prüfen, würdigen und diese im Urteil deutlich machen. Dabei sind erhöhte Anforderungen an die Sorgfältigkeit und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu stellen, wenn die belastenden Angaben - wie hier - nur mittelbar über eine Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. September 2011 - 2 StR 263/11, NStZ-RR 2012, 52, 53; vom 11. November 1987 - 2 StR 575/87, BGHR StPO § 261 Zeuge 2).
Diesen Anforderungen genügen die knappen Ausführungen des Landgerichts nicht. Es fehlt bereits an einer ausreichenden Darstellung der durch die Vernehmung des Berichterstatters in die Hauptverhandlung eingeführten Aussagen der bereits Verurteilten M. und Ma. Hier wäre es aber - insbesondere vor dem Hintergrund des § 31 BtMG und einer in der früheren Hauptverhandlung gemäß § 257c StPO getroffenen Verständigung - erforderlich gewesen, den näheren Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussagen und die Umstände ihrer Entstehung darzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2009 - 4 StR 174/09, NStZ 2010, 228).
b) Auch im Übrigen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unter mehreren Gesichtspunkten lückenhaft.
So wird nicht erörtert und beweiswürdigend belegt, durch welchen konkreten Tatbeitrag der Angeklagte in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe die jeweiligen Betäubungsmittelgeschäfte gefördert hat. Im Fall 4 bleibt offen, auf welcher Grundlage sich die Strafkammer die Überzeugung gebildet hat, der Angeklagte habe am 2. Mai 2018 das Geschäft mit K. „angeschoben“. Soweit die Strafkammer davon ausgeht, der Angeklagte habe am 17. Juni 2018 durch Übergabe eines Briefumschlages mit 3.600 Euro die Lieferung der 10 kg Marihuana vom 4. Mai 2018 bezahlen wollen, hätte dies angesichts eines Grammpreises von dann nur 36 Cent näherer Erklärung bedurft.
c) Schließlich wäre zu erläutern gewesen, warum das Landgericht den Angeklagten auf der Grundlage früherer Einlassungen der Haupttäter M. und Ma. in vier Fällen verurteilt, in vier weiteren gleichgelagerten Fällen aber aus „tatsächlichen Gründen“ freigesprochen hat.
Dem Angeklagten waren mit der zugelassenen Anklage vier weitere Betäubungsmittelstraftaten im Zusammenwirken mit M. und Ma. vorgeworfen worden. Das Landgericht hätte in dieser Konstellation erörtern müssen, welche Umstände zum Freispruch aus tatsächlichen Gründen geführt haben. Dass die Strafkammer insoweit nicht zur Verurteilung gelangt ist, legt es nahe, dass sie den belastenden Angaben der beiden Haupttäter in dem früheren Verfahren hinsichtlich der Freispruchsfälle nicht gefolgt ist. Daraus könnten sich jedoch auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben hinsichtlich der zur Verurteilung gelangten Fälle ergeben.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat für den Fall, dass der neue Tatrichter wieder eine Beteiligung des Angeklagten an den Betäubungsmittelgeschäften feststellen sollte, darauf hin, dass - weil für den Schuldumfang und damit für die Strafzumessung bedeutsam - Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt der gehandelten Betäubungsmittel zu treffen sein werden. Soweit die Betäubungsmittel teilweise nicht sichergestellt wurden und deshalb für eine Untersuchung nicht zur Verfügung stehen, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung hinreichend sicher festgestellter Tatumstände (z. B. Herkunft, Preis, Beurteilung durch die Tatbeteiligten) und des Grundsatzes „in dubio pro reo“ die für den Angeklagten günstigste Wirkstoffkonzentration und Betäubungsmittelqualität durch eine „Schätzung“ bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 - 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247, 248).
Gegebenenfalls wird der neue Tatrichter auch zu bedenken haben, dass die Bezahlung von zuvor „auf Kommission“ gelieferten Betäubungsmitteln bei gleichzeitiger Entgegennahme einer neuen Lieferung die beiden Betäubungsmittelgeschäfte zu einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbindet (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 ff.).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 287
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 90
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner