HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1184
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 263/11, Beschluss v. 22.09.2011, HRRS 2011 Nr. 1184
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 21. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die mitangeklagte Ehefrau des Angeklagten hat es vom Vorwurf der Beihilfe zu diesen Taten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die daneben erhobene Verfahrensrüge kommt es nicht an.
1. Nach den Feststellungen bewohnte der Angeklagte im Jahr 2004 zusammen mit seiner mitangeklagten Ehefrau eine Wohnung im Anwesen - straße 20 in A. -S., in dem sich auch eine von der Ehefrau betriebene Gaststätte befand. Eine weitere Wohnung war an den Zeugen U. vermietet, stand aber leer und wurde vom Angeklagten zu Abstellzwecken genutzt.
In dieser Wohnung errichtete der Angeklagte zusammen mit dem gesondert verfolgten Zeugen C. sowie drei niederländischen Staatsangehörigen im Sommer 2004 eine Cannabis-Plantage, in die im September 2004 ca. 500 Setzlinge eingebracht wurden. Während der Zeuge C. beim Aufbau der Plantage mitwirkte, indem er erforderliche Elektroarbeiten durchführte, beteiligte sich der Angeklagte an der Aufzucht der Pflanzen und am Betrieb der Plantage.
Das abgeerntete Marihuana in der Größenordnung von fünf Kilogramm wurde sodann von den niederländischen Tatbeteiligten übernommen und verkauft. Entgegen der ursprünglichen Absprache erhielt der Angeklagte aus dem Verkaufserlös keinen Anteil, weil dieser mit getätigten Investitionskosten für den Aufbau und die Bepflanzung der Plantage verrechnet wurde (Fall 1).
Entweder im Spätjahr 2004 oder im Verlauf des Jahres 2005 wurden erneut etwa 500 Cannabis-Pflanzen in die Anlage eingebracht, wobei sich neben den drei Niederländern wiederum der Angeklagte als Mitbetreiber der Anlage an der Aufzucht der Pflanzen beteiligte, während man dem Zeugen C. den Zugang zur Plantage nunmehr verweigerte. Das nach Abernten der Anlage gewonnene Marihuana wurde in der Folgezeit von den niederländischen Mittätern verkauft; wie hoch der auf den Angeklagten entfallene Gewinnanteil war, konnte das Landgericht nicht aufklären (Fall 2).
2. In sechs weiteren Fällen (Fälle 3 bis 8 der Anklage), in denen der Angeklagte zusammen mit anderen Personen auch am Betrieb einer weiteren, in einem anderen Gebäude betriebenen Cannabis-Plantage beteiligt gewesen sein soll, hat ihn das Landgericht freigesprochen.
3. Der Angeklagte hat sich ebenso wie die frühere Mitangeklagte in der Hauptverhandlung nicht zu den Tatvorwürfen eingelassen. Die Strafkammer hat die Verurteilung in erster Linie auf die Bekundungen gestützt, die die Zeugen Ei. und R. zu den Angaben gemacht haben, die der Zeuge C. im Ermittlungsverfahren im Rahmen zweier Beschuldigtenvernehmungen getätigt hat. In der Hauptverhandlung hat der Zeuge C. von seinem Aussageverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch gemacht.
Die Beweiswürdigung der Kammer hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand; das Landgericht hat wesentliche Gesichtspunkte, die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen C. sprechen könnten, nicht erkennbar bedacht.
1. Hängt - wie hier - die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Mittäters ab, so muss der Tatrichter die für die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen sprechenden Gesichtspunkte umfassend prüfen, würdigen und dies im Urteil deutlich machen (vgl. BGHR StPO, § 261 Mitangeklagte 2; BtMG § 29 Beweiswürdigung 7; BGH StV 2000, 243, 244; 2002, 467; NStZ-RR 2002, 146, 147). Dabei sind im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 d MRK erhöhte Anforderungen an die Sorgfältigkeit und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu stellen, wenn die belastenden Angaben - wie hier - nur mittelbar über eine Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (vgl. BGHR StPO, § 261 Zeuge 2; BGH NStZ 2004, 691, 692).
2. Diesen Anforderungen werden die beweiswürdigenden Ausführungen der Kammer nicht gerecht.
a) So ist den Urteilsgründen bereits nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen sich die Tatvorwürfe in den Fällen 3 bis 8, die sich nach der Anklage ebenfalls auf die Angaben des Zeugen C. im Ermittlungsverfahren gestützt hatten, in der Hauptverhandlung nicht bestätigt haben. Da sich die Urteilsgründe insbesondere zu einer möglichen Falschbelastung durch den Zeugen in diesem Tatkomplex nicht verhalten, kann der Senat nicht prüfen, ob die Anforderungen, die der Bundesgerichtshof an die umfassende Würdigung belastender Zeugenaussagen in solchen Konstellationen aufgestellt hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; BtMG § 29 Beweiswürdigung 7; BGH NJW 1993, 2451; NStZ 2003, 164; StV 2011, 270, 271; Urteil vom 12. August 2010 - 2 StR 185/10 Rn. 6 f.), hinreichend Beachtung gefunden haben.
b) Ferner hätte sich das Landgericht auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sich der Zeuge C. in dem gegen ihn geführten Strafverfahren möglicherweise durch unrichtige Angaben Vorteile im Sinne einer "Aufklärungshilfe" verschaffen wollte (BGH NStZ 2004, 691, 692). Denn für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung gerade bei Aussagen im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts ist es ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob sich der Zeuge durch seine Aussage in dem gegen ihn gerichteten Verfahren im Hinblick auf § 31 BtMG Vorteile verspricht und vor diesem Hintergrund einen Nichtgeständigen möglicherweise zu Unrecht belastet (BGHSt 48, 161, 168; BGH NStZ-RR 2003, 245). Die Möglichkeit einer bewussten Falschbelastung wird im Übrigen durch den von der Kammer herausgehobenen Umstand nicht entscheidend gemindert, der Zeuge habe sich durch seine Angaben auch selbst belastet. Denn den insoweit knappen Ausführungen der Strafkammer lässt sich schon nicht entnehmen, ob der Zeuge im Hinblick auf vorhandene Sachbeweise überhaupt damit rechnen konnte, den Verdacht jeglicher Tatbeteiligung von sich abzulenken (vgl. BGHR BtMG § 29 Beweiswürdigung 5). Hinzu kommt, dass der Zeuge im Fall 1 einen eher untergeordneten eigenen Tatbeitrag (Ausführung von Elektroinstallationsarbeiten) eingeräumt und im Fall 2 eine eigene Tatbeteiligung generell in Abrede gestellt hat.
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1184
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2012, 52
Bearbeiter: Karsten Gaede