hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 559

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 349/19, Beschluss v. 29.01.2020, HRRS 2020 Nr. 559


BGH 2 StR 349/19 - Beschluss vom 29. Januar 2020 (LG Aachen)

Bandenmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Abgrenzung von Beteiligung und Mittäterschaft).

§ 30a BtMG; § 25 Abs. 2 StGB; § 26 StGB; § 27 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Frage, ob die Beteiligung an einer Bandentat als Mittäterschaft oder als Beihilfe einzuordnen ist, ist auch beim bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach den allgemeinen Grundsätzen durch Gesamtwürdigung aller Umstände zu beantworten. Wesentliche Anhaltspunkte sind der Grad des Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen. Diese Umstände sind in die erforderliche wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 21. Dezember 2018, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.15. bis II.23. der Urteilsgründe verurteilt wurde und

b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwanzig Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und sichergestellte Betäubungsmittel eingezogen. Hiergegen richtet sich die auf die 1 Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Landgericht hat, soweit es hier von Bedeutung ist, folgende Feststellungen getroffen:

1. Der Mitangeklagte A. betrieb Handel mit Marihuana in nicht geringer Menge. Der Mitangeklagte Sc. schloss sich ihm als Straßenverkäufer an. A. lagerte größere Mengen Marihuana in seiner Wohnung, von denen Sc. morgens 20 bis 25 Tütchen abholte und jeweils an Konsumenten verkaufte. Im Herbst 2016 stieg der Mitangeklagte U. in das Geschäft ein, der für die Finanzierung von Drogenkäufen und das Verpacken der Ware zuständig wurde. A. erwarb im Tatzeitraum vom 3. Oktober 2016 bis zum 3. April 2017 in vierzehn Fällen jeweils 750 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 11 % THC von verschiedenen Lieferanten. Ab der vierten Tat kam der Angeklagte S. als weiterer Straßenverkäufer hinzu (Fälle II.4. bis II.14. der Urteilsgründe). Er erhielt 300 Euro Entlohnung pro Kilogramm Verkaufsmenge.

2. Am 15. Dezember 2016 kamen die Mitangeklagten A. und U. überein, neben dem Handel mit Marihuana auch Kokain zu erwerben und zum größten Teil gewinnbringend zu verkaufen. Der Angeklagte S. war dazu bereit, im Verhinderungsfall für U. Kokain aus dessen Wohnung zu holen und an Kunden auszuhändigen. Die Mitangeklagten A. und U. teilten sich den Gewinn aus den Kokaingeschäften. Der Angeklagte S. erhielt keinen 2 3 4 Gewinnanteil. A. und U. gestatteten ihm aber, sich aus den Kokainbeständen für seinen Eigenkonsum zu bedienen. Im Tatzeitraum vom 15. Dezember 2016 bis zum 6. April 2017 kam es in neun Fällen zum Erwerb von je 50 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 90 % Kokainhydrochlorid durch die Mitangeklagten A. und U. Von diesen Drogenportionen waren jeweils 35 g für den gewinnbringenden Verkauf und 15 g zum Eigenkonsum der beteiligten Angeklagten bestimmt. Der Angeklagte S. übernahm in allen Fällen Tätigkeiten als Straßenverkäufer (Fälle II.15. bis II.23. der Urteilsgründe).

II.

1. Die Revision ist begründet, soweit der Angeklagte S. in den Fällen II.15. bis II.23. der Urteilsgründe als Mittäter des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Kokain in nicht geringer Menge verurteilt wurde. Insoweit hat das Landgericht die Annahme von Mittäterschaft nicht tragfähig begründet.

a) Die Frage, ob die Beteiligung an einer Bandentat als Mittäterschaft oder als Beihilfe einzuordnen ist, ist auch beim bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach den allgemeinen Grundsätzen durch Gesamtwürdigung aller Umstände zu beantworten. Wesentliche Anhaltspunkte sind der Grad des Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 2017 - 4 StR 128/17). Diese Umstände sind in die erforderliche wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 3 StR 195/16, NStZ-RR 2017, 84, 85; Beschluss vom 13. Februar 2019 - 4 StR 22/19).

6 b) Daran gemessen hat das Landgericht die Annahme von Mittäterschaft nicht rechtsfehlerfrei begründet. An der notwendigen Gesamtbetrachtung aller für und gegen die Annahme von Täterschaft sprechenden Umstände fehlt es. Mittäterschaft des Angeklagten S. lag auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht auf der Hand.

Der Angeklagte S. war als Straßenverkäufer von Kleinmengen tätig. Er war - anders als in den Fällen des Handels mit Marihuana - nicht am Gewinn beteiligt, sondern wurde durch Zubilligung der Entnahme von kleineren Kokainteilmengen zum Eigenkonsum entlohnt. Inwieweit er davon in den Einzelfällen tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ist nicht festgestellt. Dass der Angeklagte - gegebenenfalls - dabei Zugriff auf den Gesamtvorrat nehmen konnte, fällt nicht erheblich ins Gewicht, weil sich dies nicht auf den Handel mit den Betäubungsmitteln ausgewirkt hat. Auch die Tatsache, dass der Angeklagte S. sich bereit erklärt hatte, den Mitangeklagten U. beim Verkauf zu vertreten, ändert die Bewertung der Taten nicht erheblich, bei denen er diese Vertretertätigkeit tatsächlich nicht ausgeübt hat.

c) Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung, soweit der Angeklagte S. in den Fällen II.15. bis II.23. der Urteilsgründe verurteilt wurde. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der neue Tatrichter noch Feststellungen treffen und Wertungen vornehmen kann, welche die Annahme eines Handelns des Angeklagten als Mittäter tragen.

2. Im Hinblick auf die Entnahme von Teilmengen des Kokains zum Eigenkonsum ist die Anklage möglicherweise nicht erschöpft. Konkrete Feststellungen dazu hat das Landgericht nicht getroffen. Das wird der neue Tatrichter nachzuholen haben, soweit er das Verfahren nicht gemäß § 154a StPO auf die 7 8 9 10 Beteiligung des Angeklagten S. am bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge beschränkt.

Ein Verbrechen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge läge nur vor, wenn es sich insoweit um eine nicht geringe Menge gehandelt hätte (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), also um mindestens 5 g Kokainhydrochlorid (vgl. Senat, Urteil vom 1. Februar 1985 - 2 StR 685/84, BGHSt 33, 133, 141; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29a Rn. 84). Hat der Angeklagte für seinen eigenen Konsum nur eine normale Menge erworben oder sich verschafft, greift insoweit § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ein. Die von den Mittätern A. und U. erworbenen Gesamtmengen sind dem Angeklagten S. nicht als Gesamtbesitz zuzurechnen, weil er am Einkauf nicht beteiligt war. Nur bei einer Einkaufsgemeinschaft würde zugleich gemeinsamer Besitz an der zum Teil auch für den Eigenverbrauch bestimmten Gesamtmengen ausgeübt (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 - 1 StR 137/02, NStZ-RR 2003, 57, 58). Das ist in Bezug auf den Angeklagten S. nach den bisherigen Feststellungen nicht der Fall.

3. Der neue Tatrichter wird bei der Konkurrenzbewertung der Beteiligung des Angeklagten S. am bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu beachten haben, dass die Frage, inwieweit Handlungseinheit (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 4 ff.; LK-StGB/Rissing-van Saan, 13. Aufl., Vor § 52 Rn. 47 ff.) oder Handlungsmehrheit vorliegt, für jeden Tatbeteiligten anhand der festgestellten Tatbeiträge gesondert zu beurteilen ist (SSW-StGB/Eschelbach, 4. Aufl., § 52 Rn. 32). Wenn der Angeklagte S. auch nach den neu zu treffenden Feststellungen in Bezug auf alle Einkaufsmengen von jeweils 50 g Kokain auch Tätigkeiten als Straßenverkäufer vorgenommen haben sollte und sich diese nicht mit Tatbeiträgen zu anderen Einkaufsmengen 11 12 überlappen, ist die Annahme von Tatmehrheit in den neun Fällen der Beschaffung und des überwiegenden Verkaufs von 50 g Kokain konkurrenzrechtlich nicht zu beanstanden.

4. Der neue Tatrichter wird schließlich den bisher nur in den Gründen genannten, aber nicht im Urteilstenor ausgesprochenen Teilfreispruch zu den Fällen 16 bis 18 der Anklageschrift nachzuholen haben, soweit die neuen Feststellungen auch insoweit keine Handlungseinheiten mit Tatbeiträgen des Angeklagten S. zu abgeurteilten Fällen ergeben (vgl. BeckOK StPO/ Eschelbach, 36. Ed., § 260 Rn. 18; SSW-StPO/Franke, 4. Aufl., § 260 Rn. 8).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 559

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner