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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 155

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 155/19, Beschluss v. 03.12.2019, HRRS 2020 Nr. 155


BGH 2 StR 155/19 - Beschluss vom 3. Dezember 2019 (LG Gießen)

Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger (Antragsbefugnis des Betreuers).

§ 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO; § 1896 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Wahrnehmung höchstpersönlichen Rechte als Verletzter einer Straftat in einem Strafverfahren durch einen Betreuer bedarf grundsätzlich einer gesonderten Übertragung durch das Betreuungsgericht. Etwas anderes kann beispielsweise dann gelten, wenn der Betreuer anlässlich der Aufdeckung einer bestimmten, zum Nachteil des Betreuten begangenen Straftat eigens bestellt und mit umfassenden vermögensrechtlichen und persönlichen Befugnissen ausgestattet wird und das Betreuungsgericht hiermit erkennbar bezweckt, ihm die Durchsetzung der dem Betreuten aus der Straftat erwachsenen Schadensersatzansprüche gerade auch mit den Mitteln des Strafverfahrensrechts zu ermöglichen.

2. Der das Betreuungsrecht beherrschende Grundsatz, dass ein Betreuer nur für solche Aufgabenbereiche bestellt werden darf, in denen die Betreuung - zur Überzeugung des zur Prüfung und Entscheidung berufenen Betreuungsgerichts - erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BGB), macht die ausdrückliche Übertragung (auch) des Aufgabenbereichs „Vertretung in Strafverfahren“ nur ausnahmsweise entbehrlich.

Entscheidungstenor

Die von Rechtsanwältin L. gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 27. November 2018 eingelegte Revision wird als unzulässig verworfen.

Gründe

Der Angeklagte ist durch Urteil des Landgerichts vom 27. November 2018 vom Vorwurf des erpresserischen Menschenraubes zum Nachteil von W. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Das dagegen von Rechtsanwältin L. als Nebenklägervertreterin eingelegte Rechtsmittel ist unzulässig. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:

„Der entführte W. ist durch die verfahrensgegenständliche, rechtswidrige Tat nach § 239a Abs. 1 StGB verletzt und deshalb gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO dazu befugt, sich der öffentlichen Klage mit der Nebenklage anzuschließen. Die für ihn von Rechtsanwältin L. am 3. September 2018 schriftlich bei dem Landgericht eingereichte Anschlusserklärung war indes wegen fehlender Vertretungsmacht unwirksam. Denn Rechtsanwältin L. handelte dabei im Auftrag und mit Vollmacht seiner Mutter, C. W. (vgl. Bl. 1394 ff., 1410 ff. d.A. Bd. V). Diese ist zwar ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts - Betreuungsgericht - Alsfeld vom 29. Oktober 2015 zur Betreuerin ihres am 4. März 1965 geborenen (vgl. Bl. 11 UA), mithin volljährigen Sohnes bestellt (vgl. auch Bl. 12 UA). Ihr Aufgabenkreis, innerhalb dessen sie gesetzlich zu seiner gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung berechtigt ist (§ 1902 BGB), umfasst aber lediglich die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge sowie die Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung (vgl. Bl. 1396 f., 1412 f. d.A. Bd. V). Die Wahrnehmung seiner höchstpersönlichen Rechte als Verletzter einer Straftat in einem Strafverfahren fällt unter keinen dieser Aufgabenbereiche, sondern bedarf grundsätzlich einer gesonderten Übertragung durch das Betreuungsgericht (vgl. zur Strafantragsbefugnis des Betreuers LG Hamburg, Urteil vom 7. März 2001 - 725 Ns 3/01 -, juris, Rn. 16 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 20. Mai 2005 - 8 Ss 66/05 -, juris, Rn. 10 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 21. Februar 2012 - 32 Ss 8/12 -, juris, Rn. 3 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Dezember 2012 - 3 Ws 397/12 -, juris, Rn. 7 ff.; offen gelassen von BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 - 5 StR 46/14 -, juris, Rn. 9 [= BGHSt 59, 278]). Etwas anderes kann beispielsweise dann gelten, wenn der Betreuer anlässlich der Aufdeckung einer bestimmten, zum Nachteil des Betreuten begangenen Straftat eigens bestellt und mit umfassenden vermögensrechtlichen und persönlichen Befugnissen ausgestattet wird und das Betreuungsgericht hiermit erkennbar bezweckt, ihm die Durchsetzung der dem Betreuten aus der Straftat erwachsenen Schadensersatzansprüche gerade auch mit den Mitteln des Strafverfahrensrechts zu ermöglichen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 9 f., 13 f.). Denn der das Betreuungsrecht beherrschende Grundsatz, dass ein Betreuer nur für solche Aufgabenbereiche bestellt werden darf, in denen die Betreuung - zur Überzeugung des zur Prüfung und Entscheidung berufenen Betreuungsgerichts - erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BGB), gebietet bei einer solchen Fallgestaltung ausnahmsweise nicht die ausdrückliche Übertragung (auch) des Aufgabenbereichs „Vertretung in Strafverfahren“ (vgl. BGH, a.a.O.). Für einen derartigen Ausnahmefall ist hier allerdings nichts ersichtlich. Nach den Urteilsfeststellungen ist C. W. vielmehr bereits „seit vielen Jahren als gesetzliche Betreuerin eingesetzt“ (vgl. Bl. 12 UA). Durch den bei den Akten befindlichen Beschluss des Amtsgerichts Alsfeld vom 29. Oktober 2015 wurde die bestehende Betreuung lediglich „verlängert“, ohne dass dabei der bisherige Aufgabenkreis in irgendeiner Form modifiziert worden wäre (vgl. Bl. 1396 f., 1412 f. d.A. Bd. V). Aus dem Beschluss ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der etwa vier Monate zuvor zum Nachteil des Betreuten verübte erpresserische Menschenraub dem Betreuungsgericht bei seiner Entscheidung bekannt war. Bei dieser Sachlage kann nicht angenommen werden, dass das Betreuungsgericht die bestehende Betreuung erweitern und der Betreuerin (trotz unveränderter Beschreibung des Aufgabenkreises) nunmehr auch die Wahrnehmung der höchstpersönlichen Rechte des Betreuten in Strafverfahren übertragen wollte. Dass W. aufgrund seiner intellektuellen Einschränkungen zweifelsfrei nicht dazu in der Lage ist, diese Rechte selbst wahrzunehmen (vgl. Bl. 12, 67 UA), weshalb eine entsprechende Erweiterung des Aufgabenkreises ohne Weiteres zulässig und geboten wäre, macht die nach dem Gesetz notwendige Entscheidung hierüber durch das zuständige Betreuungsgericht nicht entbehrlich; die Strafgerichte sind nicht - auch nicht in Evidenzfällen - dazu befugt, an dessen Stelle über den Umfang der Betreuung zu entscheiden (Art. 101 Abs. 1 GG).

Dass das Landgericht die Nebenklage ungeachtet der unwirksamen Anschlusserklärung mit Beschluss vom 7. September 2018 zugelassen hat (vgl. Bl. 1414 d.A. Bd. V), kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Ebenso wie die Anschlussbefugnis des revidierenden Nebenklägers ist auch die Wirksamkeit der gemäß § 396 Abs. 1 Satz 1 StPO schriftlich einzureichenden Anschlusserklärung eine im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Die vorausgehende Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts über die Berechtigung zum Anschluss als Nebenkläger gemäß § 396 Abs. 2 Satz 1 StPO hat lediglich deklaratorische Bedeutung und bindet das Revisionsgericht nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 1995 - 2 StR 470/95 -, juris, Rn. 5 [= BGHSt 41, 288]; Beschluss vom 18. November 2008 - 4 StR 301/08 -, juris, Rn. 5, 8; Beschluss vom 5. November 2013 - 4 StR 423/13 -, juris, Rn. 1).“

Dem schließt sich der Senat an und weist darauf hin, dass die Revision - ihre Zulässigkeit unterstellt - auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte.

Eine Kostenentscheidung ist hier nicht veranlasst. Der Senat sieht davon ab, die Kosten des Rechtsmittels Rechtsanwältin L. aufzuerlegen. Zwar können dem vollmachtlosen Vertreter, der ein Rechtsmittel einlegt, die hierdurch entstandenen Kosten auferlegt werden. Hier durfte Rechtsanwältin L. jedoch auf Grund der Zulassung des W. als Nebenkläger, und der ihr als dessen Vertreterin gestatteten Teilnahme an der Hauptverhandlung darauf vertrauen, zur Einlegung des Rechtsmittels befugt zu sein (BGH, Beschluss vom 18. November 2008 - 4 StR 301/08).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 155

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 91; StV 2021, 223

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner