Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 470/95, Beschluss v. 18.10.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X
Der Anschluß von S. C. als Nebenkläger gegen die Angeklagten O. und A. G. ist berechtigt.
Gegen den Angeklagten R. G. ist die Nebenklage unzulässig.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Köln hat am 30. Dezember 1994 wegen Totschlags zum Nachteil des L. C. Anklage zur Jugendkammer des Landgerichts Köln gegen die zur Tatzeit erwachsenen Angeklagten O. und A. G. und den zur Tatzeit jugendlichen Angeklagten R. G. erhoben. Der Bruder des Getöteten, S. C. - nachfolgend als Nebenkläger bezeichnet - hat mit Anwaltsschreiben vom 29. März 1995 seine "Zulassung als Nebenkläger" beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht durch Beschluß vom 4. April 1995 zurückgewiesen. Über die Beschwerde des Nebenklägers gegen diese Entscheidung ist bisher nicht entschieden worden.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 28. April 1995 die Angeklagten O. und R. G. wegen versuchten Totschlags verurteilt, den Angeklagten A. G. hat es freigesprochen. Nach Verkündung dieser Entscheidung haben der Vertreter der Staatsanwaltschaft hinsichtlich aller drei Angeklagten sowie die verurteilten Angeklagten und ihre Verteidiger auf Rechtsmittel verzichtet.
Mit am 4. Mai 1995 eingegangenem Schreiben hat der Verfahrensbevollmächtigte des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts vom 28. April 1995 Revision eingelegt. Das angefochtene Urteil ist ihm bisher nicht zugestellt worden.
Der Generalbundesanwalt beantragt, die Revision des Nebenklägers als unzulässig zu verwerfen, weil eine Anschlußbefugnis nicht bestehe.
I.1. Nach Einlegung der Revision durch den Nebenkläger hat der Senat über dessen Anschlußberechtigung zu entscheiden. Denn diese ist Verfahrensvoraussetzung für das Rechtsmittelverfahren, die nur das dafür zuständige Gericht prüfen kann (Wendisch in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 396 Rdn. 6). Dabei ist der Senat nicht an bisherige Entscheidungen über die Anschlußbefugnis gebunden (BGH bei Dallinger MDR 1970, 732; BGH, Beschl. v. 15. September 1995 - 3 StR 328/95; OLG Düsseldorf JMBl NRW 1980, 237; OLG Köln NStZ 1994, 298; s. auch BGHSt 29, 217; Wendisch a.a.O. § 396 Rdn. 15, 22).
2. Daraus folgt zugleich, daß der Rechtsmittelverzicht der Staatsanwaltschaft das Begehren der Nebenklage nicht erledigt hat. Zwar ist ein Beitritt als Nebenkläger zum Verfahren grundsätzlich nicht möglich, wenn der Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel nicht mehr offensteht (§ 399 Abs. 2 StPO; RGSt 66, 129, 130; 71, 173; KK-Pelchen StPO 3. Aufl. § 395 Rdn. 16, 17). Hier hat der Nebenkläger seinen Anschluß aber bereits während des landgerichtlichen Verfahrens erklärt. Diese Erklärung verschaffte dem Nebenkläger seine verfahrensrechtliche Stellung. War die Anschlußerklärung berechtigt, dann war der Nebenkläger am weiteren Verfahren ungeachtet des Beschlusses des Landgerichts vom 4. April 1995, welcher die "Zulassung" ablehnte, beteiligt. Zwar wird einer solchen verneinenden Entscheidung verschiedentlich konstitutive Wirkung beigelegt (KMR-Fezer StPO § 396 Rdn. 12; Dünnebier in Peters - Festschrift II 1984 S. 333, 344; vgl. auch BGH bei Dallinger MDR 1970, 732). Diese Auffassung trifft indessen nicht zu. Dem Nebenkläger ist eine Mitwirkung lediglich tatsächlich verschlossen, wenn das Gericht seine Anschlußbefugnis verneint und ihn nicht als Verfahrensbeteiligten betrachtet. Dagegen vermag das Gericht nicht die Rechtslage zu ändern und die rechtliche Existenz der Anschlußerklärung zu beseitigen. Denn seine Entscheidung kann sich als unrichtig erweisen, und es wäre nicht begründbar, daß der die Anschlußerklärung zurückweisende Beschluß im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu überprüfen und auch ohne entsprechenden Antrag ggf. durch eine eigene Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu ersetzen ist (OLG Saarbrücken JBl Saar 1961, 16; Wendisch aaO § 396 Rdn. 15). Ebensowenig einsichtig wäre, daß das Rechtsmittelgericht an frühere Entscheidungen über die "Zulassung" nicht gebunden ist. Zudem wäre § 399 Abs. 1 StPO zu weit gefaßt, weil die Vorschrift anordnet, daß alle Entscheidungen, welche nach der Anschlußerklärung ergehen, dem Nebenkläger mitzuteilen sind, damit er prüfen kann, ob er Rechtsmittel einlegt. Damit aber war auch der Rechtsmittelverzicht der Staatsanwaltschaft nicht geeignet, der Anschlußerklärung ihre Wirkung mit der Folge zu nehmen, daß der Nebenkläger bereits begründete Beteiligungs- und Anfechtungsrechte verlor, ohne sich dagegen wehren zu können. Der Senat hat daher über die Nebenklagebefugnis sachlich zu befinden.
3. Der Anschluß des Nebenklägers als Bruder des Getöteten (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) gegen die erwachsenen Angeklagten O. und A. G. ist berechtigt. Damit entscheidet der Senat die in Schrifttum und Rechtsprechung umstrittene Frage, ob im verbundenen Verfahren (§ 103 JGG) gegen Jugendliche und Erwachsene eine Nebenklage gegen letztere zulässig ist (so u.a., jeweils m.w.N., OLG Düsseldorf NStZ 1994, 299; Diemer/Schoreit/Sonnen JGG 2. Aufl. § 80 Rdn. 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl., vor § 395 Rdn. 6) oder nicht (so u.a., jeweils m.w.N., OLG Köln NStZ 1994, 298; Eisenberg JGG 6. Aufl. § 80 Rdn. 13; derselbe NStZ 1994, 299; differenzierend Ostendorf JGG 3. Aufl. § 80 Rdn. 1 a), im erstgenannten Sinne.
Eine Einschränkung des Rechts auf Beitritt eines Nebenklägers in den Fällen, in denen sich im verbundenen Verfahren vor der Jugendkammer auch ein Jugendlicher zu verantworten hat, ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen. § 80 Abs. 3 JGG steht der Beteiligung eines Nebenklägers gegen einen erwachsenen Angeklagten im verbundenen Verfahren nicht entgegen. Die Verneinung der Anschlußbefugnis als Nebenkläger in diesem Falle wäre daher ein Eingriff in das Recht eines nach § 395 StPO Anschlußberechtigten ohne gesetzliche Grundlage (OLG Düsseldorf a.a.O.).
Auch eine Abwägung der Belange des Opferschutzes einerseits und des das Jugendgerichtsgesetz beherrschenden Erziehungsgedankens andererseits kann nicht dazu führen, die Nebenklageberechtigung gegen die erwachsenen Beteiligten entfallen zu lassen. Dabei hat der Senat zunächst bedacht, daß der Gesetzgeber sich in der Frage der Öffentlichkeit des verbundenen Verfahrens gegen die uneingeschränkte Geltung der Grundsätze des Jugendgerichtsgesetzes ausgesprochen hat: Während § 48 Abs. 1 JGG für das Verfahren gegen Jugendliche festlegt, daß die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Entscheidungsverkündung nicht öffentlich ist, ist gemäß Abs. 3 Satz 1 a.a.O. die Verhandlung grundsätzlich öffentlich, wenn im Verfahren auch Heranwachsende oder Erwachsene angeklagt sind, und die Öffentlichkeit kann nur unter den Voraussetzungen des Satzes 2 a.a.O. ausgeschlossen werden. Ferner ist zu bedenken:
Wollte man die Nebenklagebefugnis von der jeweiligen Verfahrensgestaltung (Verfahren nur gegen einen Erwachsenen oder im verbundenen Verfahren auch gegen einen Jugendlichen) abhängig machen, würde dies dazu führen, daß sie je nach Verfahrensgang vorliegt oder nicht: Wird gegen den Erwachsenen Anklage vor dem für allgemeine Strafsachen zuständigen Gericht erhoben, ist die Anschlußbefugnis gegeben. Sie entfiele, wenn es zu einer Verfahrensverbindung mit einem Verfahren gegen einen Jugendlichen käme (§ 103 Abs. 1 JGG), im Falle einer späteren Verfahrenstrennung (§ 103 Abs. 3 JGG) würde sie hingegen wieder aufleben. Eine solche Abhängigkeit der Nebenklageberechtigung von der Verfahrensgestaltung wäre vor allem deshalb unbefriedigend, weil der Nebenklageberechtigte jedenfalls in den Fällen, in welchen schon die Staatsanwaltschaft die Verfahrensverbindung bewirkt, auf den Verfahrensgang kaum Einfluß nehmen kann.
Die Verfahrensverbindung ist im übrigen an die strengen Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 JGG gebunden. Kommt Nebenklage in Betracht, so ist dies bei der Entscheidung hierüber zu beachten. Es dürfte daher eher die Ausnahme sein, daß sich Jugendliche und Erwachsene in einem verbundenen Verfahren gemeinsam zu verantworten haben. Wenn es doch dazu kommt, wird es Aufgabe des Vorsitzenden sein, durch entsprechende Verhandlungsführung bei der Beteiligung des Nebenklägers die Interessen des Jugendlichen zu wahren. Einer im Einzelfall sich gleichwohl ergebenden Beeinträchtigung der erzieherischen Belange könnte äußerstenfalls durch eine Verfahrenstrennung gemäß § 103 Abs. 3 JGG entgegengewirkt werden.
Schließlich darf auch nicht unbeachtet bleiben, daß ein jugendlicher Tatbeteiligter immer dann der Mitwirkung eines Nebenklägers ausgesetzt ist, wenn es nicht zur Verfahrensverbindung kommt und er als Zeuge im Verfahren gegen den erwachsenen Beteiligten vernommen wird.
II. Soweit sich die Nebenklage gegen den zur Tatzeit jugendlichen Angeklagten R. G. richtet, ist sie gemäß § 80 Abs. 3 JGG unzulässig.
Externe Fundstellen: BGHSt 41, 288; NJW 1996, 1007; NStZ 1996, 149; NStZ 1996, 402; StV 1996, 83
Bearbeiter: Rocco Beck