HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 705
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 311/17, Urteil v. 28.03.2018, HRRS 2018 Nr. 705
1. Auf die Revision des Angeklagten wird
a) das Urteil des Landgerichts Gera vom 28. März 2017 aa) im Schuldspruch dahin berichtigt, dass der Angeklagte im Fall II.4 der Urteilsgründe des Besitzes kinderpornographischer Schriften schuldig ist; bb) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben, (1) soweit der Angeklagte in den Fällen II.1 und II.6 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, (2) im Strafausspruch hinsichtlich der Fälle II.3 und II.4 der Urteilsgründe sowie (3) im Gesamtstrafenausspruch,
b) das Verfahren im Fall II.5 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen (Fall II.1 der Urteilsgründe), wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit der Entziehung Minderjähriger (Fall II.3 der Urteilsgründe), des Besitzes kinderpornographischer Schriften in 116 tateinheitlichen Fällen (Fall II.4 der Urteilsgründe), des Unternehmens der Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften in 116 tateinheitlichen Fällen (Fall II.5 der Urteilsgründe) und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (Fall II.6 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hinsichtlich des Falls II.2 hat das Landgericht das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verfahrensrügen einer Verletzung des § 229 Abs. 1 StPO sowie der Verletzung des § 261 StPO bleiben aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen ohne Erfolg.
Die Sachrüge führt zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.1 und II.6 der Urteilsgründe, zur Schuldspruchberichtigung im Fall II.4 der Urteilsgründe und zur Aufhebung der Strafaussprüche in den Fällen II.3, II.4 der Urteilsgründe sowie des Gesamtstrafenausspruchs.
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs - in den Fällen II.1 und II.6 der Urteilsgründe einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) In diesen Fällen hat die Strafkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am Abend des 19. Dezember 2009 lagen sowohl der Angeklagte als auch die kurz zuvor 14 Jahre alt gewordene, sexuell unerfahrene Zeugin L. W. unbekleidet auf dem Bett in der Wohnung des Angeklagten. Der Angeklagte wollte mit der Zeugin unter Ausnutzung ihrer Unerfahrenheit und ihres Vertrauens in ihn als väterlichen Freund einvernehmlich den Geschlechtsverkehr durchführen. Als die Zeugin die erste Berührung des erigierten Penis an ihrer Scheide wahrnahm, begann sie am ganzen Körper zu zittern und war zu willensgesteuerten Handlungen nicht mehr imstande. Der Angeklagte erkannte den Schockzustand und nutzte ihn zum vaginalen Geschlechtsverkehr aus (Fall II.1 der Urteilsgründe).
Der Angeklagte führte mit der am 21. März 1989 geborenen Zeugin S. W. noch vor deren 14. Geburtstag den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr durch, wobei er das Alter des Mädchens kannte. Die Verurteilung beruht auf einer zulässig erhobenen Nachtragsanklage, nachdem die Zeugin im Zuge einer Beweisaufnahme zum Besitz kinderpornographischer Schriften (Fall II.4 der Urteilsgründe) „spontan“ angegeben hatte, dass es mit dem Angeklagten auch schon vor ihrem 14. Geburtstag zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen sei. Der Angeklagte hat den vaginalen Geschlechtsverkehr mit der Zeugin eingeräumt, jedoch in Abrede gestellt, dass dieser vor dem 14. Geburtstag der Zeugin stattgefunden habe (Fall II.6 der Urteilsgründe).
b) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 261 Rn. 38).
In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, sind zudem besondere Darlegungs- und Begründungsanforderungen an das Urteil zu stellen. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegung einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO, § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO, § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO mwN).
c) Danach ist die Beweiswürdigung des Landgerichts im Fall II.1 der Urteilsgründe im Hinblick auf die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger rechtsfehlerhaft. Sie weist Lücken auf.
aa) Opfer einer Tat nach § 179 Abs. 1 StGB aF kann nur sein, wer aufgrund einzelner, im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener Gegebenheiten unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (BGH, Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 394/14, NStZ-RR 2015, 44, 45). Dabei genügt es, dass das Opfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist (Senat, Urteil vom 15. März 1989 - 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 147). Die sexuelle Handlung muss dem Täter gerade erst aufgrund der besonderen Situation des Opfers gelingen (BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324). An einem bewussten Ausnutzen der Widerstandsunfähigkeit fehlt es, wenn in den Fällen des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF das Opfer vor Eintritt des Zustands der Widerstandsunfähigkeit in die sexuellen Handlungen eingewilligt hat (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2008 - 3 StR 198/08, NStZ 2009, 90; Beschluss vom 19. Februar 2013 - 5 StR 613/12, NStZ-RR 2013, 316, 317; Beschluss vom 8. Januar 2014 - 3 StR 416/13, StV 2014, 414; Schönke/Schröder/Eisele, 29. Aufl., § 179 Rn. 9, LK-Hörnle, 12. Aufl., § 179 Rn. 47; SSW/Wolters, 3. Aufl., § 179 Rn. 13; Fischer, 63. Aufl., § 179 Rn. 16).
bb) Dessen eingedenk hat die Strafkammer das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten nicht tragfähig belegt. Es hätte der näheren Erörterung bedurft, ob die Zeugin, bevor sie in den Schockzustand geriet, in den Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten eingewilligt hatte. Eine solche Einwilligung der Zeugin lag nahe, da sie freiwillig unbekleidet auf dem Bett des Angeklagten lag, der ebenfalls unbekleidet vor ihr kniete. Die Strafkammer hätte in diesem Zusammenhang auch den nachträglichen Chatverkehr vom 20. Dezember 2009 (UA S. 21) zwischen der Zeugin und dem Angeklagten näher in den Blick nehmen müssen. Dieser könnte ein Indiz für den Willen der Zeugin zu einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr beinhalten. Die Feststellungen erweisen sich darüber hinaus als lückenhaft, weil es für ein bewusstes Ausnutzen der Widerstandsunfähigkeit näherer Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten hinsichtlich einer möglichen Einwilligung der Zeugin bedurft hätte.
cc) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Missbrauchs Widerstandsunfähiger bedingt die Aufhebung der tateinheitlichen Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs Jugendlicher.
d) Die Beweiswürdigung des Landgerichts genügt im Fall II.6 der Urteilsgründe ebenfalls nicht den dargelegten Anforderungen.
aa) Hinsichtlich des strafbarkeitsbegründenden Kerngeschehens liegt eine Aussage-gegen-Aussage-Situation vor, da die Strafbarkeit des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern allein auf der Erinnerung der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 28-jährigen Zeugin basiert, der einvernehmliche Geschlechtsverkehr habe bereits vor ihrem 14. Geburtstag stattgefunden.
bb) Vor diesem Hintergrund ist die Beweiswürdigung des Landgerichts in mehrfacher Hinsicht lückenhaft. Es fehlt zunächst die Erörterung, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Zeugin den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr vor ihrem 14. Geburtstag mit dem Angeklagten im Ermittlungsverfahren geschildert hat. Ferner hat die Kammer nicht erkennbar geprüft, ob die Erinnerung der Zeugin an den Zeitpunkt des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs vor ihrem 14. Geburtstag belastbar ist. Einer näheren Erörterung des vom Angeklagten bestrittenen Tatzeitpunktes hätte es jedoch bedurft, weil die Angaben der Zeugin zum Tathergang detailarm und einer Inhaltsanalyse (vgl. KK-Ott, 7. Aufl. § 263 Rn. 29b) kaum zugänglich waren, und das Geschehen bereits 14 Jahre zurückliegt. Dies gilt umso mehr, als die Zeugin weder einen Anknüpfungspunkt für ihre Erinnerung schilderte, noch sich an die Örtlichkeit des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs erinnerte. Gegebenenfalls wird die Kammer auch in den Blick zu nehmen haben, ob die Angaben der Zeugin insoweit durch außerhalb der Aussage liegende Umstände gestützt werden.
Der von der Strafkammer für den 1. März 2013 festgestellte Besitz von Bildern, die die Zeugin in sexuellen Posen zeigen und die der Angeklagte zum Teil selbst angefertigt und seitdem behalten hatte, ist nicht ohne Weiteres geeignet, einen Rückschluss auf den Zeitpunkt des stattgefundenen Geschlechtsverkehrs zwischen dem Angeklagten und der Zeugin zuzulassen. Eine indizielle Bedeutung für den Beginn der Sexualkontakte zwischen der Zeugin und dem Angeklagten könnte den Bildern möglicherweise dann zukommen, wenn das Datum des Erstellens bzw. Sichverschaffens durch den Angeklagten vor dem 14. Geburtstag der Zeugin gelegen hätte. Hierzu hat die Strafkammer jedoch keine Feststellungen getroffen; sie hat vielmehr lediglich ausgeführt, dass sich bei dem Angeklagten am 1. März 2013 pornographische Abbildungen der Zeugin gefunden hätten, die auch schon vor deren 14. Geburtstag aufgenommen worden seien. Ob der Angeklagte diese Aufnahmen selbst gefertigt hatte bzw. wann diese in seinen Besitz gelangt waren, bleibt indes offen.
2. Der Schuldspruch im Fall II.4 der Urteilsgründe bedarf der Berichtigung.
a) Das Landgericht hat den Angeklagten in diesem Fall wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in 116 tateinheitlichen Fällen zu einer Einzelstrafe von 60 Tagessätzen zu 40 Euro verurteilt. Hierzu hat es festgestellt:
Der Angeklagte besaß am 1. März 2013 auf mehreren Datenträgern insgesamt 115 Bilddateien und eine Videodatei, die näher beschriebene sexuelle Handlungen von oder an unter 14 Jahre alten Kindern darstellten. Weit überwiegend hatte der Angeklagte sich diese Dateien zu nicht ausschließbar verjährten Zeitpunkten von den Geschädigten verschafft, teilweise die Bilder selbst hergestellt und seitdem besessen. Soweit sich Bilddateien in gelöschten Bereichen der Datenträger befanden, verfügte der Angeklagte über die Kenntnis und Fähigkeit, diese Dateien wiederherzustellen.
b) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen des Besitzes von kinderpornographischen Schriften gemäß § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB in der Fassung vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I, 2149).
c) Der Schuldspruch bedarf allerdings auf der Konkurrenzebene der Korrektur, da der Besitz am 1. März 2013 lediglich eine Tat darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2015 - 1 StR 255/15, NStZ-RR 2016, 198; BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 - 1 StR 5/16, NStZ 2017, 644, 646; Beschluss vom 10. Juli 2008 - 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208), so dass der Zusatz „in 116 tateinheitlichen Fällen“ zu entfallen hat.
d) Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst berichtigt.
3. In den Fällen II.3 und II.4 der Urteilsgründe hat der Ausspruch über die Einzelstrafen keinen Bestand.
a) Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. In die tatgerichtliche Strafzumessungsentscheidung kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Zusammenhang kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO vorliegen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349).
b) aa) Im Fall II.3 der Urteilsgründe hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Am 28. Februar 2013 teilte die damals 13-jährige J. W. dem bis dato unbestraften Angeklagten mit, dass sie zu Hause massive Probleme habe. Der Angeklagte, der das Alter der Geschädigten kannte und ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihr hatte, schlug vor, sie nach G. zu bringen, damit sie bei ihm unterkomme. Die Geschädigte ließ sich daraufhin vom Angeklagten ohne Wissen und gegen den Willen ihrer Eltern von H. nach G. verbringen.
Am Abend lagen beide bekleidet auf dem Bett. Der Angeklagte streichelte der Geschädigten über der Kleidung den Bauch, dann unter der Kleidung über den Bauch. Er fasste ihr an die Brust und über der Hose an den Intimbereich. Nachdem der Angeklagte sodann den ersten Knopf der Hose der Geschädigten geöffnet hatte, forderte diese ihn auf, von weiteren sexuellen Handlungen Abstand zu nehmen. Der Angeklagte verlangte nachdrücklich von der Geschädigten, mit ihm „Petting“ zu machen, ließ jedoch von den Überredungsversuchen ab, nachdem er erkannte hatte, dass die Geschädigte zu weiteren einvernehmlichen sexuellen Handlungen nicht bereit war.
Am nächsten Morgen nahm die Geschädigte mit dem Einverständnis des Angeklagten telefonisch Kontakt zu ihren Eltern auf, ohne dass sie preisgab, wo sie sich aufhielt. Auf Bitte der Geschädigten brachte der Angeklagte das Kind anschließend mit seinem Auto zurück nach H. .
Das Landgericht hat in diesem Fall sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne bestimmende Zumessungskriterien nicht berücksichtigt. So hat es nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte unbestraft ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1987 - 1 StR 492/87, NStZ 1988, 70). Es hat zudem im Hinblick auf das Maß der Schuld hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht berücksichtigt, dass die festgestellten Handlungen die Erheblichkeitsschwelle gerade überschritten (vgl. Senat, Urteil vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ 2017, 528, 529). Im Hinblick auf die tateinheitlich verwirklichte Entziehung Minderjähriger hat das Landgericht sowohl die eher kurze Dauer der Entziehung wie auch den Umstand, dass der Angeklagte der Geschädigten den Kontakt zu ihren Eltern ermöglichte, nicht in die Strafzumessung eingestellt.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer unter Berücksichtigung dieser Erwägungen zu einer niedrigeren Einzelstrafe gelangt wäre.
bb) Im Fall II.4 der Urteilsgründe kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer auf der Basis ihrer bisherigen Feststellungen den Schuldgehalt der Taten zu hoch bemessen hat, da sie dem Angeklagten den Besitz von 115 kinderpornographischen Bildern und einer kinderpornographischen Videodatei in Gänze zur Last gelegt hat, obwohl eine nicht näher quantifizierte Anzahl dieser Dateien zuvor zu einem nicht bekannten Zeitpunkt gelöscht worden war. Die Feststellungen belegen insoweit nicht, dass der Angeklagte an den gelöschten Dateien am 1. März 2013 bzw. in nicht verjährter Zeit davor den von einem entsprechenden Willen getragenen Besitz innehatte.
(1) Besitz ist das Aufrechterhalten des tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses (Fischer, 65. Aufl., § 184b, Rn. 36) aufgrund Besitzwillens (Senat, Urteil vom 16. April 1975 - 2 StR 60/75, BGHSt 26, 117, 118). Dementsprechend entfällt der Besitz bei vollständig gelöschten Dateien (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - 1 StR 430/06, NStZ 2007, 95; Eckstein, ZStW 117, 107, 118 (2005)).
(2) Nach diesen Maßstäben vermag allein die Feststellung der Kammer, der Angeklagte habe über die Kenntnis und Fähigkeit verfügt, die in den gelöschten Bereichen der Datenträger befindlichen Dateien wiederherzustellen, nicht den Schuldumfang zu erhöhen. Ein Fortbestehen von Dateien an Speicherorten, die dem durchschnittlichen Computerbesitzer nicht mehr ohne Weiteres zugänglich sind, begründet keinen Besitz im Sinne der Vorschrift (vgl. MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184b Rn. 41). Zudem mangelt es an der notwendigen Feststellung zum fortbestehenden Besitzwillen an den gelöschten Dateien. Dieser versteht sich insoweit nicht von selbst.
4. Soweit das Landgericht im Fall II.5 der Urteilsgründe den Angeklagten wegen des Unternehmens der Besitzverschaffung kinderpornografischer Schriften in 116 tateinheitlichen Fällen zu einer weiteren Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt hat, hat der Senat auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Die bisherigen Feststellungen des Landgerichts vermögen den Schuldspruch nicht zu tragen. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 184 Abs. 4 Satz 1 StGB aF in mittelbarer Täterschaft angenommen, indem er seinen Verteidiger veranlasste, die Herausgabe der zuvor beschlagnahmten kinderpornografischen Materialien zu verlangen, um wieder in den Besitz der inkriminierten Dateien zu gelangen. Das Landgericht hat indes weder den genauen Inhalt der anwaltlichen Schriftsätze noch die in den Urteilsgründen erwähnte Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (UA S. 24) oder die augenscheinlich hierauf ergangene gerichtliche Entscheidung in den Urteilsgründen dargestellt, obwohl es der Auslegung der verschiedenen Schreiben maßgebliche Bedeutung beigemessen hat. Dem Senat ist daher die Prüfung verwehrt, ob bzw. unter welchen engeren Voraussetzungen die vom Landgericht angenommene Strafbarkeit des Angeklagten durch eine Antragsschrift in einem gerichtlichen Verfahren in Betracht kommt.
5. Der Wegfall sämtlicher Einzelstrafen bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat ergänzend:
Sollte das Landgericht im Fall II.1 der Urteilsgründe wiederum zu einer Strafbarkeit wegen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen nach § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF kommen, wird es anhand einer konkreten Betrachtungsweise nach § 2 Abs. 3 StGB zu prüfen haben, ob der zur Zeit der Verurteilung geltende § 177 StGB in der Fassung des 50. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) - eine mildere Bestrafung eröffnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - 3 StR 524/16, NStZ-RR 2017, 242; Beschluss vom 16. Mai 2017 - 3 StR 43/17, juris Rn. 2 ff.; BGH bei Pfister, NStZ-RR 2017, 361, 363 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 705
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 244; StV 2019, 548
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner