HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 616
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 524/16, Beschluss v. 04.04.2017, HRRS 2017 Nr. 616
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 25. August 2016
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II. Tat 1 der Urteilsgründe des sexuellen Übergriffs schuldig ist;
aufgehoben
in den Fällen II. Tat 2 und II. Tat 7 der Urteilsgründe insgesamt; die zugehörigen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten;
im Strafausspruch im Fall II. Tat 1 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe; die jeweils zugehörigen Feststellungen bleiben jedoch aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, sexuellen Missbrauchs einer Widerstandsunfähigen, sexueller Nötigung in drei Fällen, versuchter sexueller Nötigung in zwei Fällen und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Revision, mit der er ein Verfahrenshindernis geltend macht, Verfahrensbeanstandungen erhebt sowie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I. Aus den zutreffenden Gründen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts besteht das geltend gemachte Verfahrenshindernis nicht; die Verfahrensrügen haben ebenfalls keinen Erfolg.
II. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die von dem Angeklagten erhobene Sachrüge führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs im Fall II. Tat 1 der Urteilsgründe und zur Aufhebung des Urteils in den Fällen II. Tat 2 und II. Tat 7 der Urteilsgründe, im Strafausspruch im Fall II. Tat 1 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe; im Übrigen hat sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Im Einzelnen:
1. Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Widerstandsunfähigen im Fall II. Tat 1 der Urteilsgründe (Manipulationen im Genitalbereich des schlafenden Opfers) bedarf der Schuldspruchänderung, weil der - von der Strafkammer für sich genommen rechtsfehlerfrei angewandte - zur Tatzeit und noch im Zeitpunkt der Urteilsverkündung geltende § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF aufgrund von Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I, S. 2460 ff.) mit Wirkung ab dem 10. November 2016 aufgehoben wurde und der frühere sexuelle Missbrauch infolge Schlafs widerstandsunfähiger Personen nunmehr als sexueller Übergriff in § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF geregelt ist (vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 177 nF Rn. 62 f.). Diese Gesetzesänderung ist nach § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO zu berücksichtigen, weil sich die Regelung des § 177 Abs. 2 StGB nF hinsichtlich der im Fall II. Tat 1 der Urteilsgründe abgeurteilten Tat gegenüber § 179 Abs. 1 StGB aF als milderes Gesetz erweist. Dies erhellt aus einem Vergleich der Strafrahmen: Während der Strafrahmen des § 179 Abs. 1 StGB aF Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsah, droht § 177 Abs. 2 StGB nF nunmehr Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren an.
Die Anwendung des damit auch im konkreten Fall milderen § 177 Abs. 2 StGB nF bedingt die Aufhebung der im Fall II. Tat 1 der Urteilsgründe verhängten Einzelfreiheitsstrafe. Auch wenn diese mit zehn Monaten im unteren Bereich des Strafrahmens liegt, kann der Senat mit Blick auf die Halbierung der Strafrahmenobergrenze nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des milderen Rechts auf eine niedrigere Einzelfreiheitsstrafe erkannt hätte.
2. In den Fällen II. Tat 2 und II. Tat 7 der Urteilsgründe hält die jeweilige Verurteilung wegen versuchter sexueller Nötigung revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
Im Fall II. Tat 2 der Urteilsgründe traf der Angeklagte eine in der Gaststätte seiner Ehefrau arbeitende Aushilfe, die vorübergehend im Gästezimmer der Wohnung über der Gaststätte wohnte, in dem Wohnzimmer dieser Wohnung an und drängte sie, mit ihm gemeinsam pornographische Filme auf seinem Mobiltelefon anzuschauen. Währenddessen äußerte er den Wunsch, mit ihr geschlechtlich zu verkehren, was sie indes ablehnte und das Wohnzimmer verließ. Der Angeklagte folgte ihr und drängte die ihm körperlich weit unterlegene Zeugin mit seinem Oberkörper so gegen die Tür des Gästezimmers, dass sie ihm auch wegen der von ihm seitlich an der Wand platzierten Arme nicht entkommen konnte. Sodann versuchte der Angeklagte die Zeugin zu küssen und ihr seine Zunge in den Mund zu stecken, was sie durch Aufeinanderpressen ihrer Lippen und Wegdrehen des Gesichts verhindern konnte. Als kurze Zeit später die Tür zum Gästezimmer aufsprang, konnte sich die Zeugin befreien und in ihr Zimmer „stolpern“.
Im Fall II. Tat 7 der Urteilsgründe ergriff der Angeklagte den Kopf einer anderen Aushilfe seiner Ehefrau, die auch in den Fällen II. Tat 3 bis II. Tat 6 der Urteilsgründe sein Opfer wurde (drei Fälle der sexuellen Nötigung und eine Vergewaltigung), und versuchte, ihr ebenfalls die Zunge in den Mund zu stecken, was auch sie durch Aufeinanderpressen ihrer Lippen und Wegdrehen des Kopfes verhindern konnte.
b) Insoweit ist es zwar mit Blick auf die Umstände des Einzelfalles (die Opfer waren zuvor keine Beziehungs- oder Sexualpartnerinnen des Angeklagten, befanden sich vielmehr ihm und seiner Ehefrau gegenüber in einer persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit; er versuchte, mit der Zunge in ihren Mund einzudringen) materiellrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer den in beiden Fällen erstrebten Zungenkuss als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB angesehen hat (vgl. dazu auch MüKoStGB/Hörnle aaO § 184h Rn. 21 mwN).
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen und ausgehend von seiner Wertung, dass der Angeklagte die sexuelle Nötigung jeweils nur versuchte, weil die Opfer das Eindringen seiner Zunge verhinderten, hätte das Landgericht indes prüfen und erörtern müssen, ob er strafbefreiend von der versuchten Tat zurücktrat. Es hat in der rechtlichen Würdigung zwar ausgeführt, der Angeklagte habe die Taten nicht freiwillig aufgegeben, vielmehr hätten die Zeuginnen durch ihre Gegenwehr den Erfolg endgültig verhindert; durch die Feststellungen wird aber weder belegt, dass der Nötigungsversuch jeweils fehlgeschlagen war, noch ist mit tragfähiger Begründung ausgeschlossen, dass der Angeklagte jeweils freiwillig vom unbeendeten Versuch der sexuellen Nötigung zurücktrat, als er sein Vorhaben, die Zeuginnen mit Gewalt zum Zungenkuss zu zwingen, aufgab. Im Einzelnen:
aa) Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen Tathandlung erkennt, dass mit den bereits eingesetzten oder den ihm sonst zur Hand liegenden Mitteln der erstrebte Taterfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann, ohne dass er eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang setzt (st. Rspr.; siehe zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 135/16, juris Rn. 7 mwN).
Nach diesen Maßstäben belegen die Urteilsgründe einen fehlgeschlagenen Versuch nicht. Dies ergibt sich im Fall II. Tat 2 der Urteilsgründe schon daraus, dass der Angeklagte der Zeugin - nachdem diese sich aus der Fixierung durch ihn hatte befreien können - in ihr Zimmer folgte, der Aufforderung dieses zu verlassen, nicht nachkam, sie an ihrer Scheide berührte und sie schließlich auszog und gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog, was sie resigniert über sich ergehen ließ. Die Strafkammer hat diese Handlungen zwar nur als - wegen der fehlenden Gegenwehr der Zeugin strafloses - Nachtatgeschehen gewertet; der Umstand, dass der Angeklagte sein Ziel, mit der Zeugin geschlechtlich zu verkehren, mit Erfolg weiter verfolgte, konnte aber den Schluss rechtfertigen, dass er gerade nicht davon ausging, den erstrebten Taterfolg nicht mehr herbeiführen zu können. Zu den Vorstellungen des Angeklagten in dem Zeitpunkt, als die Zeugin sich zunächst von ihm befreien konnte, verhalten sich die Urteilsgründe indes weder in den Feststellungen, noch im Rahmen der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Würdigung.
Aber auch im Fall II. Tat 7 der Urteilsgründe kann der Senat ohne eine - hier gleichfalls fehlende - Erörterung der Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den Taterfolg nicht ausschließen, dass er es noch für möglich hielt, diesen doch noch zu erreichen. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass der Angeklagte in den anderen Fällen, in denen diese Zeugin sein Opfer wurde, auch vor erheblicherer Gewalt, als er sie in diesem Versuchsfall anwendete, nicht zurückschreckte. Dies lässt es als nicht fernliegend erscheinen, dass er aus seiner Sicht über weitere Mittel verfügt hätte, um die Zeugin zum Zungenkuss zu nötigen.
bb) Der Versuch der sexuellen Nötigung war hier jeweils - auch für den Angeklagten erkennbar - noch nicht beendet, denn es war für ihn offensichtlich, dass die von ihm beabsichtigte sexuelle Nötigung in Gestalt des erstrebten, mit Gewalt erzwungenen Zungenkusses sich noch im Versuchsstadium befand, weil die Opfer jeweils das Eindringen seiner Zunge in ihren Mund verhinderten. Davon ausgehend konnte in seinem bloßen Nichtweiterhandeln ein Rücktritt vom Versuch liegen.
c) Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn sich die Handlungen des Angeklagten ungeachtet des Umstands, dass es ihm jeweils nicht gelang, seine Zunge in den Mund der Opfer zu stecken, gleichwohl bereits als sexuelle Handlungen von einiger Erheblichkeit darstellen würden und die Taten damit jeweils als vollendete sexuelle Nötigungen zu werten wären. Davon ist die Strafkammer indes offenbar nicht ausgegangen; auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist es dem Senat nicht möglich, zu einer abweichenden Würdigung zu gelangen.
3. Die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II. Tat 1 der Urteilsgründe und ihr jeweiliger Wegfall in den Fällen II. Tat 2 und II. Tat 7 der Urteilsgründe bedingen die Aufhebung auch des Gesamtstrafenausspruchs.
4. Die Feststellungen zu den Einzelstrafen und zum Gesamtstrafenausspruch werden, ebenso wie die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen in den Fällen II. Tat 2 und II. Tat 7 der Urteilsgründe, von den Rechtsfehlern, die zur teilweisen Aufhebung des Urteils führen, nicht betroffen und können deshalb - und weil sie auch im Übrigen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen - bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen kann das neue Tatgericht treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 616
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 242
Bearbeiter: Christian Becker