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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1162

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 389/13, Urteil v. 22.07.2015, HRRS 2015 Nr. 1162


BGH 2 StR 389/13 - Urteil vom 22. Juli 2015 (LG Gera)

Bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern (limitierte Akzessorietät zu Taten nach § 95 AufenthG; Anforderungen an die Bandenabrede); Machen oder Benutzen falscher oder unrichtiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels (abstraktes Gefährdungsdelikt: nur allgemeine Eignung der Angaben erforderlich, keine Prüfung der Angaben durch die Behörde erforderlich; keine Begehung durch zuständigen Sachbearbeiter); Geschehenlassen der Straftat eines Untergebenen (Tatmehrheit); Mitteilung über Verständigungsgespräche außerhalb der Hauptverhandlung (Beruhen des Urteils auf unterlassener Negativmitteilung; Anforderungen an die Revisionsbegründung).

§ 96 Abs. 1 AufenthG; § 95 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG; § 97 Abs. 2 AufenthG; § 357 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 243 Abs. 4 StPO; § 344 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Durch die Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach allgemeinen Regeln strafbare Teilnahmehandlungen an den in Bezug genommenen Taten zu selbständigen, täterschaftlich begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Beteiligte eines der in § 96 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfüllt. Trotz dieser tatbestandlichen Verselbständigung gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät. Erforderlich ist daher eine vorsätzlich und rechtswidrig begangene Tat eines anderen im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 oder Abs. 2 AufenthG (vgl. BGH NStZ 2015, 399, 400).

2. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG stellt ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar und dient der Sicherung des ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahrens gegenüber Falschangaben. Er schützt das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2009 - 5 StR 266/09, BGHSt 54, 140, 145 f.). Nach diesem Schutzzweck stellt das Gesetz die Unterbreitung und das Benutzen unrichtiger Angaben im Vorfeld der behördlichen Entscheidung unter Strafe (vgl. Senat, Urteil vom 15. November 2006 - 2 StR 157/06, NStZ 2007, 289, 290).

3. Jedenfalls wenn das behördliche Handeln seinerseits strafrechtliche Bedeutung im Sinne einer Amtsanmaßung des Beamten besitzt, der den begünstigenden Verwaltungsakt erlässt, und in einem kollusiven Zusammenwirken zwischen dem Sachbearbeiter der Ausländerbehörde und den Antragstellern besteht, die falsche Angaben gemacht haben, kann das nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG straftatbestandsmäßige Verhalten des jeweiligen Antragstellers nicht gerechtfertigt sein. Es geht nicht um die Ausnutzung eines behördlichen Ermessenspielraums, sondern um die Verletzung zwingender Vorschriften des Ausländerrechts, die einer aktiven „behördlichen Duldung“ jede rechtfertigende Bedeutung nimmt.

4. Es ist zur Erfüllung des Tatbestands des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht erforderlich, dass die falschen Angaben der Antragsteller zur Beschaffung des Aufenthaltstitels konkret geeignet waren. Sie müssen dafür nur eine erhöhte Beweiskraft besitzen (vgl. BGHSt 54, 140, 146); denn die Strafvorschrift regelt ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Es genügt, wenn der antragstellende Ausländer solche Angaben macht, die im Allgemeinen zur Verschaffung eines unrechtmäßigen Aufenthaltstitels geeignet sind. Strafbarkeit bestünde sogar dann, wenn trotz der falschen oder unvollständigen Angaben ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bestünde.

5. Ebenso ist nicht erforderlich, dass die Angaben durch die Ausländerbehörde tatsächlich geprüft werden, da nach dem Wortlaut des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG bereits die Absicht genügt, sich durch unrichtige oder unvollständige Angaben einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Jedoch müssen die Angaben vom Täter des Vergehens nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG der Ausländerbehörde zur Kenntnis gebracht werden, damit von einem „Benutzen“ gesprochen werden kann.

6. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn der für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zuständige Sachbearbeiter der Ausländerbehörde selbst handelt und dabei weiß, dass die Angaben des jeweiligen Antragstellers unrichtig sind. Sein eigenes Handeln ist weder auf eine durch Täuschung bewirkte Verfälschung der Entscheidungsgrundlage der Behörde gerichtet noch bringt er die zuvor erfolgten unrichtigen Angaben der Behörde erst zur Kenntnis. Auch verschafft er nicht sich, sondern einem anderen einen Aufenthaltstitel.

7. Die Tatsache, dass es in mehreren Fällen nicht zur Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt, steht der Strafbarkeit der darauf abzielenden Handlungen ebenfalls nicht entgegen (vgl. BGHSt 54, 140, 146).

8. Auch in den Fällen des § 97 Abs. 2 AufenthG gelten die für den Bandenbegriff allgemein entwickelten Grundsätze (vgl. dazu BGHSt 46, 321, 325 ff.). Allerdings ist es im Gegensatz zu anderen Bandenstraftaten bei § 97 Abs. 2 AufenthG nicht erforderlich, dass mehrere Bandenmitglieder unmittelbar am gleichen Tatort der Einschleusung zusammenwirken, um den Qualifikationstatbestand zu erfüllen. Ausreichend ist insoweit das Handeln eines Bandenmitglieds gegenüber der Ausländerbehörde im Rahmen der bandenmäßigen Verbindung.

9. Mittäterschaft reicht andererseits für sich genommen noch nicht aus, um eine bandenmäßige Tatbegehung anzunehmen. Vielmehr muss sich das Handeln im Rahmen der Bandenabrede halten. Indizien für das Vorliegen einer Bande können unter anderem eine genaue Buchführung, geschäftsmäßige Auftragsverwaltung oder arbeitsteilige Abwicklung sein.

10. Der Annahme einer Bandentat steht es nicht entgegen, dass die Bandenmitglieder vorrangig ihre eigenen finanziellen Interessen verfolgten. Ein gefestigter Bandenwille oder ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse ist auch in den Fällen des § 97 Abs. 2 AufenthG nicht erforderlich. Die Tatsache, dass ein Bandenmitglied nicht in die ursprüngliche Tatplanung eingebunden war und nicht mit allen Bandenmitgliedern selbst Kontakt hatte, führt zu keiner anderen Bewertung. Ebenso ist es nicht erforderlich, dass sich sämtliche Mitglieder der Gruppe persönlich verabredet haben. Eine Bandenabrede kann auch durch aufeinander folgende Vereinbarungen entstehen, wenn sich zunächst zwei Täter einig sind, künftig Straftaten mit zumindest einem weiteren Beteiligten zu begehen und ein dritter, der durch einen der beiden Täter über ihr Vorhaben informiert wird, sich dieser Vereinbarung anschließt. Dasselbe gilt sodann für den Anschluss weiterer Tatbeteiligter.

12. Soweit der Vorgesetzte diese Unterstützung einer Mehrzahl von rechtswidrigen Taten eines Untergebenen durch einheitliches Unterlassen leistet, kann für ihn nur eine Tat nach § 357 Abs. 1 Var. 3 StGB im Sinne von § 52 StGB vorliegen. Andererseits kann bei jedem Einzelfall der sukzessiven Tatbegehung durch den Untergebenen ein Unterlassungsdelikt des Vorgesetzten vorliegen, wenn dieser jeweils aufgrund eines neuen Entschlusses das Verhalten des Untergebenen hinnimmt.

Entscheidungstenor

1. Soweit die Angeklagten S. und Th. im Fall 103 der Gründe des Urteils des Landgerichts Gera vom 28. September 2012 verurteilt worden sind, wird das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.

Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last.

2. Die Revisionen der Angeklagten B., T., H., D., Se. und He. gegen das vorgenannte Urteil werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von den Gesamtfreiheitsstrafen jeweils zwei Monate als bereits vollstreckt gelten.

Diese Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

3. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das vorgenannte Urteil, soweit er verurteilt worden ist,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Beihilfe zum Erschleichen von Aufenthaltstiteln in 90 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Amtsanmaßung, schuldig ist,

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

4. Auf die Revision des Angeklagten Th. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten S. und Th. werden verworfen.

5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:

- den Angeklagten B. wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in acht Fällen unter Auflösung der Gesamtstrafe aus einem früheren Urteil und Einbeziehung der dortigen Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in fünfundsechzig Fällen und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren; zudem hat das Landgericht ein Berufsverbot für die Tätigkeit als Rechtsanwalt für die Dauer von drei Jahren verhängt und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 187.000 Euro angeordnet,

- die Angeklagte D. unter Freisprechung im Übrigen wegen des Benutzens von unrichtigen oder unvollständigen Angaben, um sich einen Aufenthaltstitel zu beschaffen, in zwei Fällen sowie gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung,

- den Angeklagten S. unter Freisprechung im Übrigen wegen des Benutzens von unrichtigen oder unvollständigen Angaben, um für einen anderen einen Aufenthaltstitel zu beschaffen, in einundneunzig Fällen, jeweils in Tateinheit mit Amtsanmaßung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten,

- die Angeklagte T. unter Freisprechung im Übrigen wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in siebenunddreißig Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten,

- den Angeklagten H. unter Freisprechung im Übrigen wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern sowie wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung,

- den Angeklagten Th. unter Freisprechung im Übrigen wegen Geschehenlassens einer rechtswidrigen Tat seines Untergebenen im Amt in einundachtzig Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung,

- den Angeklagten Se. unter Freisprechung im Übrigen wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern sowie gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung,

- die Angeklagte He. unter Freisprechung im Übrigen wegen Einschleusens von Ausländern in fünf Fällen sowie versuchten gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

Der als Rechtsanwalt tätige Angeklagte B. verfolgte das Ziel, Flüchtlingen aus Staaten außerhalb der Europäischen Union gegen Zahlung eines Entgelts zu Aufenthaltserlaubnissen im Inland zu verhelfen, um sich selbst dadurch eine fortdauernde Einkommensquelle zu verschaffen. Hierzu stellte er den Ausländern ein von ihm entwickeltes „Limited-Modell“ vor, das darauf gerichtet war, unter Vorspiegelung einer selbständigen Tätigkeit in Deutschland Aufenthaltstitel zu erlangen. Hierfür hatten die Ausländer im ersten Jahr einen Betrag in Höhe von 5.000 Euro und in den beiden Folgejahren jeweils 1.500 Euro zu zahlen. Das „Limited-Modell“ sah die Gründung einer Scheinfirma in der Rechtsform einer Limited nach britischem Recht sowie die Anmeldung einer gewerblichen Zweigniederlassung im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde E. vor, ferner die Wohnsitzanmeldung der Ausländer unter einer Scheinadresse. Die Ausländer sollten durch diesen Anschein wie Unternehmensorgane einer Gesellschaft im europäischen Raum wirken und so den Status von Bürgern der Europäischen Union erlangen. Die Wohnsitzanmeldung erfolgte, um den Anschein des dauerhaften Aufenthalts im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde E. zu erwecken und die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen durch den dort zuständigen Sachbearbeiter, den Angeklagten S., zu erreichen. Tatsächlich hatten die Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht dort, sondern im Raum F. Der Angeklagte B. übernahm für die Antragsteller jeweils das Einreichen der Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Um sein „Limited-Modell“ umsetzen zu können, handelte der Angeklagte B. seit Mitte Dezember 2007 mit dem gesondert verfolgten Z. sowie mit den Angeklagten T. und H. zusammen. Dabei kam den Letztgenannten die Aufgabe zu, den Ausländern gegen Zahlung eines Entgelts die Wohn- und Meldeadressen zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus schlossen die Angeklagten T. und H. mit den Ausländern Miet- und Büroserviceverträge ab, um den Eingang und die Weiterleitung der behördlichen Post sicherzustellen.

Der Angeklagten D., der auch mit Hilfe des „Limited-Modells“ des Angeklagten B. durch die Ausländerbehörde zunächst selbst eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und diese verlängert worden war, oblag ab Januar 2009 die bürotechnische Ausführung des „Limited-Modells“ und die telefonische Betreuung der Ausländer. Sie erledigte Formalitäten der Firmengründungen und bereitete die Gewerbeanmeldungen vor. Dafür erhielt sie eine Vergütung, die sie als dauerhafte Einnahmequelle nutzen wollte.

Seit Februar 2009 war zudem der Angeklagte Se. bei dem Angeklagten B. beschäftigt. Dieser erstellte Unternehmensplanungen mit erfundenen Umsatzprognosen. Auch fingierte er Bauunternehmerverträge, die gegenüber der Ausländerbehörde einen tatsächlich nicht vorhandenen Geschäftsbetrieb der neu gegründeten Firmen vortäuschen sollten. Durch diese Tätigkeit erhoffte sich auch der Angeklagte Se. dauerhafte Einnahmen.

Die Angeklagte He. erstellte Prognosen zur Unternehmensentwicklung der Firmen, die jedoch einer tragfähigen Grundlage entbehrten und nur den Eindruck einer künftigen positiven Geschäftsentwicklung erwecken sollten.

Die von dem Angeklagten B. bei der Ausländerbehörde E. eingereichten Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen wurden jeweils von dem hierfür alleine zuständigen Angeklagten S. bearbeitet. Dieser wusste spätestens seit dem 10. Juli 2008, dass die Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht an den in den Anträgen aufgeführten Meldeadressen hatten. Er erteilte gleichwohl aus altruistischen Motiven heraus in zahlreichen Fällen unter Missachtung der gesetzlichen Vorgaben die beantragten Aufenthaltserlaubnisse. Dabei wusste er, dass eine örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde E. nicht bestand.

Auch der Angeklagte Th., der im Tatzeitraum Sachgebietsleiter bei der Ausländerbehörde E. und Vorgesetzter des Angeklagten S. war, hatte Kenntnis von den eingehenden Anträgen des Angeklagten B. und seit dem 27. Oktober 2008 von den darin enthaltenen unrichtigen Angaben. Gleichwohl unternahm er jeweils nichts, um die Erteilung von Aufenthaltstiteln durch den Angeklagten S. zu verhindern.

II.

Die Sachrügen der Angeklagten B., D., T., H., Se. und He. sind unbegründet. Auch die erhobenen Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg; das bedarf nur zu den Rügen hinsichtlich der Verletzung von § 243 Abs. 4 StPO unten (V. und VI.) der Erläuterung. Das Urteil ist, soweit es die genannten Angeklagten betrifft, im Übrigen nur um eine Kompensationsentscheidung wegen der langen Dauer des Revisionsverfahrens zu ergänzen (unten VII.).

1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist, auch soweit sie die Taten der Angeklagten S. und Th. betrifft, rechtsfehlerfrei.

Das gilt auch hinsichtlich der Verwertung der Aussage des gesondert verfolgten Z. Das gegen diesen gerichtete Verfahren ist abgetrennt und nach einer Verständigung durch gesondertes Urteil aufgrund eines verständigungsbasierten Geständnisses dieses früheren Mitangeklagten beendet worden. Das Landgericht hat geprüft, ob dessen Angaben glaubhaft sind, auch soweit sie die Beschwerdeführer belasten können (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 - 1 StR 464/02, BGHSt 48, 161, 168; Beschluss vom 6. November 2007 - 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 82 f.). Zwar hat das Landgericht keine näheren Ausführungen zum Verständigungsverfahren des Gerichts gegenüber dem gesondert verfolgten Z. gemacht, das zu dessen Geständnis mit einem die Beschwerdeführer belastenden Inhalt geführt hat. Auch hat es den Aussageinhalt jenes Geständnisses nicht näher dargelegt. Darauf kam es hier aber nicht an, weil das Landgericht die Taten der Angeklagten, auch soweit sie bandenmäßig begangen wurden, mit Hilfe anderer Beweismittel festgestellt, dies jeweils im Einzelnen belegt und die Angaben des gesondert verfolgten Z. in den Urteilsgründen dabei nicht hervorgehoben hat. Der Senat schließt daher aus, dass das Urteil insoweit auf einem Erörterungsmangel beruht.

2. Die rechtlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit der Angeklagten wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG liegen vor.

a) Nach dieser Bestimmung wird bestraft, wer einen anderen zu einer der in § 95 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 oder Abs. 2 AufenthG bezeichneten Handlungen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet und dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen lässt oder wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt. Für den Fall eines gewerbsmäßigen Handelns sieht § 96 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG eine Qualifikation vor. Bei gewerbs- und bandenmäßigem Handeln ist die Tat gemäß § 97 Abs. 2 AufenthG weitergehend qualifiziert.

aa) Durch die Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach allgemeinen Regeln strafbare Teilnahmehandlungen an den in Bezug genommenen Taten zu selbständigen, täterschaftlich begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Beteiligte eines der in § 96 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfüllt. Trotz dieser tatbestandlichen Verselbständigung gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät. Erforderlich ist daher eine vorsätzlich und rechtswidrig begangene Tat eines anderen im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 oder Abs. 2 AufenthG (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 - 4 StR 378/14, NStZ 2015, 399, 400). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

Die Ausländer, die in den verfahrensgegenständlichen Fällen bei der Ausländerbehörde in E. einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gestellt haben, haben sich gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar gemacht. Sie haben jeweils unrichtige Angaben über ihren Wohnsitz und die Eigenschaft als Geschäftsführer (Direktoren) von geschäftlich derzeit oder künftig aktiven Gesellschaften gemacht, die ihnen den Status von Bürgern der Europäischen Union verleihen sollten. Die falschen Wohnsitzangaben waren für die Zuständigkeit der Behörde relevant; ohne sie wären die Aufenthaltserlaubnisse dort nicht erteilt worden. Tathandlungen sind auch die Vorlage oder das Benutzen unzutreffender Unterlagen zur angeblichen Geschäftstätigkeit der jeweiligen Gesellschaft, die auch dazu benutzt wurden, den Direktoren den scheinbaren Status von Bürgern der Europäischen Union zu verschaffen. Sämtliche Angaben betreffen die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die falschen Angaben müssen nach der Strafnorm nur allgemein für das Verfahren von Bedeutung sein und grundsätzlich zur Verschaffung eines unrechtmäßigen Aufenthaltstitels führen können. Dazu waren die Falschangaben der Antragsteller im vorliegenden Fall geeignet.

bb) Auf die vom Angeklagten B. in seiner Einlassung vor dem Landgericht hervorgehobene Art des Vorgehens im Rahmen von „informellem Verwaltungshandeln“ der Ausländerbehörde kommt es nicht an, weil zwingende gesetzliche Vorschriften nicht dadurch umgangen werden dürfen. Auch eine - rechtswidrige - behördliche „Duldung“ des fehlerhaften Verhaltens der Antragsteller hebt weder den Straftatbestand auf noch vermag sie das straftatbestandsmäßige Verhalten zu rechtfertigen.

Jedenfalls wenn - wie hier - das behördliche Handeln seinerseits strafrechtliche Bedeutung im Sinne einer Amtsanmaßung des Beamten besitzt, der den begünstigenden Verwaltungsakt erlässt, und in einem kollusiven Zusammenwirken zwischen dem Sachbearbeiter der Ausländerbehörde und den Antragstellern besteht, die falsche Angaben gemacht haben, kann das straftatbestandsmäßige Verhalten des jeweiligen Antragstellers nicht gerechtfertigt sein. Es geht nicht um die Ausnutzung eines behördlichen Ermessenspielraums, sondern um die Verletzung zwingender Vorschriften des Ausländerrechts, die einer aktiven „behördlichen Duldung“ jede rechtfertigende Bedeutung nimmt (vgl. in anderem Zusammenhang Fischer, StGB, 62. Aufl., Vor § 324 Rn. 9; Heine/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 324 ff. Rn. 30; MünchKomm/Schmitz, StGB, 2. Aufl., Vorbemerkung zu den §§ 324 ff. Rn. 99). Die erteilten Aufenthaltserlaubnisse waren nichtig.

cc) Es ist zur Erfüllung des Tatbestands des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG auch nicht erforderlich, dass die falschen Angaben der Antragsteller zur Beschaffung des Aufenthaltstitels konkret geeignet waren. Sie müssen dafür nur eine erhöhte Beweiskraft besitzen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2009 - 5 StR 266/09, BGHSt 54, 140, 146); denn die Strafvorschrift regelt ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Nach ihrem Zweck stellt sie den Rechtsmissbrauch zur Erlangung eines Aufenthaltstitels im Vorfeld der behördlichen Entscheidung unter Strafe. Es genügt daher, wenn der antragstellende Ausländer solche Angaben macht, die im Allgemeinen zur Verschaffung eines unrechtmäßigen Aufenthaltstitels geeignet sind. Strafbarkeit bestünde sogar dann, wenn trotz der falschen oder unvollständigen Angaben ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bestünde.

Die Tatsache, dass es in mehreren Fällen nicht zur Erteilung eines Aufenthaltstitels kam, steht der Strafbarkeit der darauf abzielenden Handlungen ebenfalls nicht entgegen (vgl. BGH aaO, BGHSt 54, 140, 146). Auch ist es unerheblich, dass der Angeklagte S. im Fall 85 keine Aufenthaltserlaubnis nach § 21 AufenthG erteilte, sondern eine solche nach § 28 AufenthG. Auf eine Kausalität der unrichtigen Angaben bei der Erteilung des Aufenthaltstitels kommt es nicht an (vgl. BGH aaO, BGHSt 54, 140, 143).

b) Zu den Taten der Ausländer gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG haben die Angeklagten B., D., T., H., Se. und He. im Sinne von § 96 Abs. 1 AufenthG in ihrer jeweiligen Rolle innerhalb des von B. organisierten Systems nach dem „Limited-Modell“ Hilfe geleistet. Nach der Rechtsprechung ist grundsätzlich jede Handlung als Hilfeleistung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert (BGH aaO, BGHSt 54, 140, 142 f.). Dies ist durch die festgestellten Handlungen der genannten Angeklagten geschehen.

Sie haben sich dafür einen Vermögensvorteil versprechen lassen. Außerdem haben sie wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern gehandelt.

c) Die Angeklagten B., D., T., H., Se. und He., die alle relevanten Umstände kannten und in ihren Willen aufgenommen haben, handelten vorsätzlich.

d) Ein Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB lag nicht vor. Nur die rechtmäßige Duldung der zuständigen Behörde könnte im Einzelfall zu einem Verbotsirrtum des Täters führen (vgl. in anderem Zusammenhang Fischer aaO Rn. 11; Heine/Hecker aaO Rn. 23; MünchKomm/Schmitz aaO Rn. 102). Die Ausländerbehörde in E. war aber nicht zuständig und die Antragstellung bei ihr erfolgte kollusiv mit Hilfe der falschen Wohnsitz- und Unternehmensangaben gerade deshalb, weil der Sachbearbeiter S. bereit war, in Kenntnis der Unrichtigkeit der Angaben die Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.

e) In den Fällen 16 - 126 hat das Landgericht jeweils rechtlich zutreffend den Qualifikationstatbestand des § 97 Abs. 2 AufenthG angewendet. In diesen Fällen liegen zugleich die Merkmale des gewerbsmäßigen und des bandenmäßigen Einschleusen von Ausländern bei den Angeklagten B., D., T., H. und Se. im Umfang ihrer jeweiligen Beteiligung vor.

Das Landgericht hat eine stillschweigend getroffene Bandenabrede der genannten Angeklagten und des gesondert verfolgten Z. festgestellt und eine bandenmäßige Tatbegehung auf dieser Grundlage angenommen.

Auch in den Fällen des § 97 Abs. 2 AufenthG gelten die für den Bandenbegriff allgemein entwickelten Grundsätze (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. März 2001 - GSSt 1/00, BGHSt 46, 321, 325 ff.). Allerdings ist es im Gegensatz zu anderen Bandenstraftaten bei § 97 Abs. 2 AufenthG nicht erforderlich, dass mehrere Bandenmitglieder unmittelbar am gleichen Tatort der Einschleusung zusammenwirken, um den Qualifikationstatbestand zu erfüllen. Ausreichend ist insoweit das Handeln eines Bandenmitglieds gegenüber der Ausländerbehörde im Rahmen der bandenmäßigen Verbindung (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2005 - 5 StR 68/05; MünchKomm/Gericke, StGB, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 29). Mittäterschaft reicht andererseits für sich genommen noch nicht aus, um eine bandenmäßige Tatbegehung anzunehmen.

Vielmehr muss sich das Handeln im Rahmen der Bandenabrede halten. Indizien für das Vorliegen einer Bande können unter anderem eine genaue Buchführung, geschäftsmäßige Auftragsverwaltung oder arbeitsteilige Abwicklung sein (vgl. Winkelmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 13). Die Angeklagten haben arbeitsteilig mit gleichbleibenden Rollen in einer Vielzahl von Fällen zusammengewirkt. Die Handlungskomponenten waren aus ihrer Sicht jeweils in ihrem Zusammenwirken zur Erreichung des gemeinsamen Ziels erforderlich und hielten sich im Rahmen der Bandenabrede.

Der Annahme einer Bandentat steht es nicht entgegen, dass die Bandenmitglieder vorrangig ihre eigenen finanziellen Interessen verfolgten. Ein gefestigter Bandenwille oder ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse ist auch in den Fällen des § 97 Abs. 2 AufenthG nicht erforderlich. Die Tatsache, dass ein Bandenmitglied nicht in die ursprüngliche Tatplanung eingebunden war und nicht mit allen Bandenmitgliedern selbst Kontakt hatte, führt zu keiner anderen Bewertung. Ebenso ist es nicht erforderlich, dass sich sämtliche Mitglieder der Gruppe persönlich verabredet haben. Eine Bandenabrede kann auch durch aufeinander folgende Vereinbarungen entstehen, wenn sich zunächst zwei Täter einig sind, künftig Straftaten mit zumindest einem weiteren Beteiligten zu begehen und ein dritter, der durch einen der beiden Täter über ihr Vorhaben informiert wird, sich dieser Vereinbarung anschließt. Dasselbe gilt sodann für den Anschluss weiterer Tatbeteiligter.

f) § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG konsumiert eine mittelbare Falschbeurkundung im Sinne von § 271 Abs. 1 StGB (vgl. BGH aaO, BGHSt 54, 140, 145).

3. Soweit die Angeklagte D. darüber hinaus wegen Benutzens von unrichtigen oder unvollständigen Angaben, um für sich einen Aufenthaltstitel zu beschaffen, in zwei Fällen verurteilt wurde, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.

4. Rechtliche Bedenken gegen die Entscheidungen über die Strafzumessung liegen nicht vor.

5. Die Entscheidung über das Berufsverbot gemäß § 70 StGB für den Angeklagten B. ist rechtsfehlerfrei. Seine Taten stellen zwar keinen Missbrauch des Berufs dar. Jedoch liegt eine grobe Verletzung beruflicher Pflichten als Rechtsanwalt vor.

Das Landgericht hat allerdings die Prognose drohender künftiger Taten nicht näher erläutert. Sie folgt aber ohne weiteres daraus, dass der Angeklagte einschlägig vorverurteilt ist und in einer großen Zahl von Fällen gleichartige Taten begangen hat.

Die Dauer des Berufsverbots hält sich im gesetzlichen Rahmen. Die Ermessensentscheidung des Landgerichts ist angesichts der einschlägigen Vorstrafe und der nachfolgenden Tatserie rechtsfehlerfrei.

6. Die Entscheidung über den Verfall von Wertersatz gemäß § 73a StGB bei dem Angeklagten B. ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.

III.

Die Revision des Angeklagten S. führt nach Teileinstellung des Verfahrens zu einer Änderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des Strafausspruchs aufgrund der Sachrüge. Seine Verfahrensrüge hat dagegen aus den vom Generalbundesanwalt genannten Gründen keinen Erfolg.

1. Der Senat hat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts bezüglich Fall 103 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, da der Angeklagte S. nach den Feststellungen des Landgerichts in diesem Fall keinen Aufenthaltstitel erteilt hat.

2. a) Die Verurteilung des Angeklagten S. wegen Amtsanmaßung in den verbleibenden neunzig Fällen ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Angeklagten war bekannt, dass der tatsächliche Aufenthaltsort der Antragsteller mit den angegebenen Meldeadressen nicht übereinstimmte, so dass eine örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde E. für die Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse nicht bestand. Bei bewusster Überschreitung der Zuständigkeit liegt eine Amtsanmaßung vor, wenn der Kompetenzmangel - wie hier - nicht nur auf innerdienstlichen Regeln beruht (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 1958 - 1 StR 310/58, BGHSt 12, 85, 86; Urteil vom 24. Oktober 1990 - 3 StR 196/90, BGHSt 37, 207, 211).

b) Soweit das Landgericht den Angeklagten S. darüber hinaus wegen des Benutzens von unrichtigen oder unvollständigen Angaben, um für einen anderen einen Aufenthaltstitel zu beschaffen, in neunzig Fällen verurteilt hat, wird der Schuldspruch von den Feststellungen nicht getragen. Der Angeklagte hat den Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht als Täter verwirklicht, sondern nur den Antragstellern Beihilfe zur unberechtigten Erlangung eines Aufenthaltstitels geleistet.

aa) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsteller insbesondere durch Vorspiegelung eines Wohnsitzes im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde E. unrichtige Angaben im Sinne des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gemacht haben. Der Angeklagte S., der seit dem 10. Juli 2008 von der Unrichtigkeit der Angaben wusste, hat jedoch keine unrichtigen Angaben im Sinne des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG benutzt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2013 - 5 StR 130/13, BGHSt 58, 262, 267).

§ 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG stellt ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar und dient der Sicherung des ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahrens gegenüber Falschangaben. Er schützt das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2009 - 5 StR 266/09, BGHSt 54, 140, 145 f.). Nach diesem Schutzzweck stellt das Gesetz die Unterbreitung und das Benutzen unrichtiger Angaben im Vorfeld der behördlichen Entscheidung unter Strafe (vgl. Senat, Urteil vom 15. November 2006 - 2 StR 157/06, NStZ 2007, 289, 290). An einer die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung gefährdenden Handlung in diesem Sinne fehlt es jedoch, wenn der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde selbst einen Aufenthaltstitel erteilt, obwohl er die Unrichtigkeit der im Antrag enthaltenen Angaben kennt. Die unrichtigen oder unvollständigen Angaben müssen zwar zur Erfüllung des Tatbestands des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG weder für die Erteilung des Aufenthaltstitels ursächlich gewesen sein (vgl. Hohoff in BeckOK-AuslR, § 95 AufenthG Rn. 90) noch bedarf es der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2009 - 5 StR 266/09, BGHSt 54, 140, 146). Ebenso ist nicht erforderlich, dass die Angaben durch die Ausländerbehörde tatsächlich geprüft werden, da nach dem Wortlaut des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG bereits die Absicht genügt, sich durch unrichtige oder unvollständige Angaben einen Aufenthaltstitel zu verschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2007 - 1 StR 189/07). Jedoch müssen die Angaben vom Täter des Vergehens nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG der Ausländerbehörde zur Kenntnis gebracht werden, damit von einem „Benutzen“ gesprochen werden kann (vgl. Gericke in MünchKomm, StGB, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 101). Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn - wie hier - der für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zuständige Sachbearbeiter der Ausländerbehörde selbst handelt und dabei weiß, dass die Angaben des jeweiligen Antragstellers unrichtig sind. Sein eigenes Handeln ist weder auf eine durch Täuschung bewirkte Verfälschung der Entscheidungsgrundlage der Behörde gerichtet noch bringt er die zuvor erfolgten unrichtigen Angaben der Behörde erst zur Kenntnis. Auch verschafft er nicht sich, sondern einem anderen einen Aufenthaltstitel.

bb) Die von dem Landgericht getroffenen Feststellungen tragen jedoch eine Verurteilung des Angeklagten S. wegen Beihilfe zum Erschleichen von Aufenthaltstiteln (§ 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, § 27 StGB; zur Begriffswahl für die Tenorierung s. auch BGH, Beschluss vom 30. Mai 2013 - 5 StR 130/13, BGHSt 58, 262, 265). Da der Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG frühestens mit der Erteilung des erschlichenen Aufenthaltstitels beendet ist (vgl. BGH aaO, BGHSt 58, 262, 267), war eine Beihilfe dazu durch Inaussichtstellen der Erteilung des Verwaltungsakts möglich.

c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte S. nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

IV.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten Th. hat - nach Teileinstellung des Verfahrens zu Fall 103 wie bei dem Angeklagten S. - keinen Erfolg, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Sie führt aber zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch.

1. Der Schuldspruch zeigt auch hinsichtlich der Konkurrenzbewertung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten Th. auf.

Ein Vorgesetzter, welcher eine rechtswidrige Tat seiner Untergebenen geschehen lässt, hat nach § 357 Abs. 1 Var. 3 StGB die für diese rechtswidrige Tat angedrohte Strafe verwirkt. Dabei handelt es sich der Sache nach um Beihilfe durch Unterlassen an der Tat des Untergebenen, die vom Gesetz als eine Art von Nebentäterschaft behandelt wird (vgl. Fischer, aaO § 357 Rn. 5; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, aaO § 357 Rn. 7). Soweit der Vorgesetzte diese Unterstützung einer Mehrzahl von rechtswidrigen Taten eines Untergebenen durch einheitliches Unterlassen leistet, kann für ihn nur eine Tat im Sinne von § 52 StGB vorliegen. Andererseits kann bei jedem Einzelfall der sukzessiven Tatbegehung durch den Untergebenen ein Unterlassungsdelikt des Vorgesetzten vorliegen, wenn dieser jeweils aufgrund eines neuen Entschlusses das Verhalten des Untergebenen hinnimmt. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte Th. schon bei Posteingang von neuen Anträgen der Ausländer auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Kenntnis erlangt, deren positive Bescheidung durch den Angeklagten S. er trotz falscher Tatsachenangaben erwartete. Den Urteilsgründen ist dagegen nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte Th. in bestimmten Konstellationen zugleich die Erteilung von mehreren Aufenthaltserlaubnissen durch den Angeklagten S. geschehen ließ, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Die Annahme von Tatmehrheit des jeweiligen Geschehenlassens der rechtswidrigen Taten nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gemäß § 357 StGB durch den Angeklagten Th. ist daher nicht zu beanstanden.

2. Jedoch kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Die Strafdrohung gegen den Vorgesetzten, der rechtswidrige Taten seiner Untergebenen geschehen lässt, ist gegenüber der Strafdrohung gegen den Untergebenen akzessorisch. Ist der Angeklagte S. entgegen der Annahme des Landgerichts nur wegen Beihilfe zu Vergehen nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar, statt wegen Täterschaft, so muss sich die mindere Beteiligungsform des Untergebenen auch auf den Schuldumfang des Vorgesetzten bei dessen Vergehen gemäß § 357 StGB auswirken.

V.

Die Revisionen der Angeklagten Se. und He. haben auch nicht mit Verfahrensrügen Erfolg. Über die Ausführung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift hinaus bedarf nur die von diesen Angeklagten im Wesentlichen inhaltsgleich erhobenen Rügen einer Verletzung von § 243 Abs. 4 StPO der Erwähnung.

1. Die Beschwerdeführer rügen insoweit Folgendes:

Kurz vor Beginn der Hauptverhandlung an einem der dem Hauptverhandlungstermin am 5. Juli 2011 zeitnah vorangehenden Verhandlungstagen fand zumindest ein Gespräch zwischen den Verteidigern der genannten Angeklagten und dem Vorsitzenden der Strafkammer statt, in dessen Verlauf die Verteidiger anfragten, ob für das Gericht eine verfahrensbeendende Absprache in Betracht komme. An den konkreten Inhalt des Gesprächs konnten sich die Instanzverteidiger später nicht mehr erinnern. Nach dem Revisionsvorbringen sicherte ihnen der Vorsitzende zu, die Möglichkeit einer Verständigung mit den Mitgliedern der Strafkammer zu erörtern und die Staatsanwaltschaft einzubinden. In der Folge verfügte der Vorsitzende die Verlegung des Beginns der Hauptverhandlung am 5. Juli 2011 von 9.15 Uhr auf 11.00 Uhr. Vor Beginn der Hauptverhandlung an diesem Tag beriet die Strafkammer über die Frage einer Verständigung und machte anschließend in der Hauptverhandlung einen Verständigungsvorschlag. Die Angeklagten Se. und He. stimmten dem jedoch nicht zu.

Die Revisionen der Angeklagten Se. und He. machen im Kern übereinstimmend geltend, zu keinem Zeitpunkt sei in der Hauptverhandlung vom Vorsitzenden erklärt worden, ob Erörterungen über die Möglichkeit einer Verständigung stattgefunden haben. Es sei auch nicht mitgeteilt worden, dass keine Erörterungen stattgefunden hätten, mithin fehle bereits eine Negativmitteilung. Dies beweise das Hauptverhandlungsprotokoll passim negativ.

2. Die Rügen der Verletzung von § 243 Abs. 4 StPO sind im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig, weil sie die Angriffsrichtung nicht eindeutig erkennen lassen.

Die Angriffsrichtung der Revisionsrüge bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichtes (§ 352 StPO). Der Revisionsführer muss daher den Gegenstand und die Angriffsrichtung seiner Rüge verdeutlichen und hierzu strukturiert vortragen. Kommen nach den dargelegten Tatsachen mehrere Verfahrensfehler in Betracht, muss die Revision erkennen lassen, welchen Fehler sie geltend macht. Mehrdeutiges Vorbringen führt zur Unzulässigkeit der Rüge (BeckOK-StPO/Wiedner, StPO, 21. Edition, § 344 Rn. 40 ff.; differenzierend Norouzi, NStZ 2013, 203, 205 f.), soweit nicht durch Auslegung ein eindeutiges Ergebnis zu erzielen ist (Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 312).

Die jeweilige Revisionsbegründung lässt hier schon offen, welche der Alternativen gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO geltend gemacht werden soll. Wäre die Anfrage der Verteidiger an den Vorsitzenden der Strafkammer noch keine Erörterung mit dem Ziel der Herbeiführung einer Verständigung gewesen, so hätte es vom Standpunkt der Revision aus einer Negativmitteilung bedurft. Wäre darin andererseits bereits ein Gespräch zu sehen gewesen, das auf die Herbeiführung einer Verständigung gerichtet war, so hätte der Vorsitzende in der Hauptverhandlung nicht nur die Tatsache der Gesprächsführung, sondern auch deren wesentlichen Inhalt mitteilen müssen. Die schriftliche Revisionsbegründung der genannten Beschwerdeführer lässt es jedoch jeweils unklar erscheinen, worauf sich der Vorwurf der fehlenden Mitteilung des Vorsitzenden der Strafkammer in der Hauptverhandlung beziehen soll. Die Klarstellung der Angriffsrichtung der Revisionsrügen wäre bereits innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erforderlich gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 StR 253/98, NStZ 1998, 636; weitere Nachweise bei Cirener, NStZ-RR 2014, 33, 34). Die Erläuterungen in der Revisionshauptverhandlung können diesen Mangel nicht mehr heilen.

Im Übrigen wird das Hauptverhandlungsprotokoll nur für den 3. Juli und 4. August 2011 - und das auch nur auszugsweise - vorgelegt.

VI.

Auch die Revision der Angeklagten D. hat mit einer Verfahrensrüge zu § 243 Abs. 4 StPO keinen Erfolg.

Die Angeklagte D. beanstandet, in der Hauptverhandlung sei die nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO erforderliche Mitteilung unterblieben, dass keine Gespräche mit dem Ziel der Verständigung geführt wurden. Damit zeigt sie aber ebenfalls keinen durchgreifenden Verfahrensfehler auf.

Zwar erfordert § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO eine Negativmitteilung, wenn keine auf eine Verständigung abzielenden Gespräche stattgefunden haben. Ein zur Aufhebung des Urteils nötigender Verfahrensfehler liegt in dieser Konstellation aber nur vor, wenn das Urteil auf dem Fehlen einer solchen Mitteilung beruht. Dies kann ausgeschlossen werden, wenn feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2015 - 2 StR 123/14, NStZ 2015, 294 f.; Beschluss vom 25. Februar 2015 - 5 StR 258/13, NStZ 2015, 232 f.; Beschluss vom 14. April 2015 - 5 StR 9/15).

Dem Revisionsvortrag der Angeklagten D. ist nicht zu entnehmen, dass außerhalb der Hauptverhandlung mit ihrem Verteidiger Gespräche geführt wurden, die auf eine Verständigung abzielten. Der Senat lässt es an dieser Stelle offen, ob die Rüge der Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO den Zulässigkeitsanforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2014 - 3 StR 363/13; Senat, Beschluss vom 25. November 2014 - 2 StR 171/14, NJW 2015, 266 f.). Jedenfalls ist sie unbegründet.

Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass der Verurteilung der Angeklagten D. keine auf eine Verständigung gerichteten Erörterungen mit ihrem Verteidiger vorangegangen sind. Dies hat die Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung bestätigt. Die vom Senat im Freibeweisverfahren eingeholte dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer, der die Verteidigung der Beschwerdeführerin nicht entgegengetreten ist, belegt ebenfalls, dass keine Gespräche mit dem Verteidiger der Angeklagten D. mit dem Ziel einer Verständigung stattgefunden haben. Danach ist auszuschließen, dass das Urteil auf einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO beruht.

VII.

Zur Kompensation der langen Dauer des Revisionsverfahrens ist bei den Angeklagten, deren Rechtsmittel vom Senat verworfen werden, anzuordnen, dass zwei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen als vollstreckt gelten. Soweit die Sache an das Landgericht zurückverwiesen wurde, hat das neue Tatgericht die Verfahrensdauer insgesamt bei seiner Sachentscheidung zu berücksichtigen.

Das Revisionsverfahren hat aus Gründen, welche die Angeklagten nicht zu vertreten haben, auch unter Berücksichtigung des Umfangs der Sache besonders lange gedauert. Das angefochtene Urteil wurde am 28. September 2012 verkündet. Es wurde den Angeklagten im Mai 2013 zugestellt. Deren Revisionsbegründungen lagen im Juni 2013 vor. Die Anträge des Generalbundesanwalts zu den Revisionen lagen im September 2013 vor. Erwiderungen der Verteidigung der verschiedenen Angeklagten hierzu gingen bis Ende des Jahres 2013 beim Senat ein. Der Senat hat im Dezember 2014 beschlossen, ein Freibeweisverfahren durchzuführen, zu dem Äußerungen im Januar und Februar 2015 eingereicht wurden. Der Generalbundesanwalt hat mit Schriftsatz vom 5. März 2015 dazu nochmals ausführlich Stellung genommen. Hierauf hat der Senat die Revisionshauptverhandlung anberaumt, die im Juli 2015 durchgeführt wurde. Insgesamt hätte das Revisionsverfahren etwa acht Monate schneller erledigt werden können. Zum Ausgleich dieser Verzögerung ist eine Anrechnung von zwei Monaten der Gesamtfreiheitsstrafen, die als vollstreckt gelten, angemessen.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1162

Externe Fundstellen: NJW 2016, 419

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede