hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 135

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 157/06, Urteil v. 15.11.2006, HRRS 2007 Nr. 135


BGH 2 StR 157/06 - Urteil vom 15. November 2006 (LG Frankfurt)

Gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern (Aufenthaltsgenehmigung; Duldung); Duldungsfiktion; Vorsatz bei zur selbständigen Tat aufgewerteten Beihilfe (Geltung der Beihilfemaßstäbe).

§ 92a AuslG a.F.; § 92 AuslG a.F.; § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG a.F.; § 27 StGB

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Dezember 2005 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Vom weiteren Vorwurf der versuchten Strafvereitelung hat es den Angeklagten freigesprochen. Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte, der als Rechtsanwalt in Frankfurt am Main tätig ist, Kontakt zu Personen, die Frauen aus Russland, der Ukraine und dem Baltikum nach Deutschland einschleusten, wo sie als Prostituierte tätig waren. Sämtliche Frauen waren mit einem gültigen, aber durch falsche Angaben erschlichenen Visum eingereist, das meist für 10 bis 15 Tage ausgestellt war. Lief dieses Visum ab, wandten sich Begleiter der Prostituierten an den Angeklagten, damit dieser eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung beantragte. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Frauen ihre Visa durch falsche Angaben erschlichen und keinen Anspruch auf eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung hatten.

Der Angeklagte hatte durch allgemeine Anweisungen den Ablauf in seiner Kanzlei so organisiert, dass er selbst mit der Bearbeitung möglichst nicht befasst war und in den Akten nicht auftauchte. Er ließ durch Mitarbeiterinnen der Kanzlei die betroffenen Frauen zunächst das behördliche Formular eines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung blanko unterschreiben. Sodann erhielten sie bzw. ihre als Dolmetscher fungierenden Zuhälter ein kanzleiinternes Formular, das der Angeklagte entworfen hatte und das unter anderem Fragen zu Namen, Wohnort und Zweck des Aufenthalts enthielt. Dieses Formular hatten die Frauen auszufüllen, wobei auf Vollständigkeit der Angaben nicht geachtet wurde. Gespräche mit den Frauen über ihren tatsächlichen Aufenthaltszweck, ihren Wohn- bzw. Aufenthaltsort oder die Finanzierung ihrer Reise wurden nicht geführt. Mitarbeiter des Angeklagten füllten an Hand der von den Frauen ausgefüllten Vordrucke das Behördenformular später selbständig aus. Soweit die Frauen Angaben zu Aufenthaltsort, -zweck und Finanzierung der Reise unterlassen hatten, wurden frei erfundene Angaben nach Rücksprache mit dem Angeklagten oder seiner Lebensgefährtin eingesetzt. Sodann wurde der Antrag nach einer von dem Angeklagten oder seiner Lebensgefährtin vorgenommenen Endkontrolle bei der Ausländerbehörde gestellt. Für die Tätigkeit des Angeklagten hatten die Frauen ein pauschales Entgelt in Höhe von 100 € zu entrichten. In Fällen, in denen das Visum zum Zeitpunkt des Erscheinens in der Kanzlei bereits abgelaufen war, wurden die Frauen bzw. deren Begleiter aufgefordert, von zwei bestimmten Ärzten rückdatierte falsche Atteste über angeblich der Ausreise entgegenstehende akute Erkrankungen zu besorgen.

Das Landgericht hat im Zeitraum vom 17. April 2001 bis 2. August 2002 insgesamt sieben einzelne Fälle festgestellt. In den Fällen 1 und 2 wurden zusätzlich zu den Anträgen auch unrichtige Atteste bei der Ausländerbehörde vorgelegt. Im Fall 6 gelangte der zum Antrag gehörende amtliche Fragebogen nicht mit dem Antrag zu der Behörde. Im Fall 7 wurde ein Antrag nicht gestellt. Insgesamt brachten die - insoweit abgeurteilten - Zuhälter, mit denen der Angeklagte regelmäßig zusammenarbeitete, im Zeitraum von 2001 bis August 2002 mehr als 50 Frauen in die Kanzlei des Angeklagten, damit entsprechende Anträge gestellt wurden.

Der Angeklagte ging jeweils davon aus, dass die Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen der Frauen zwar zulässig, jedoch unbegründet waren. Mit der Erteilung einer Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung rechnete er daher nicht. Grund für die Antragstellung war jeweils die in Folge der Bearbeitungszeit des Verlängerungsantrags nach § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG eintretende Duldungsfiktion, die für die Frauen ausgenutzt werden sollte. Auf diese Weise sollten die zulässige Aufenthaltsdauer verlängert und eine Abschiebung vermieden werden, da ein Abschiebungsvermerk ein Hindernis für eine spätere Wiedereinreise bedeutet hätte. Dabei war das Ausländeramt der Stadt F. gezielt für alle Anträge ausgesucht worden, weil dort mit der längsten Bearbeitungszeit zu rechnen war.

Das Landgericht hat auf der Grundlage dieser Feststellungen den Angeklagten einer Tat für schuldig befunden. Tatmehrheit hat es nicht angenommen, weil der Angeklagte in den jeweiligen Einzelfällen keine gesonderten Aktivitäten mehr entfaltet, sondern seine Tätigkeit sich auf die allgemeine Organisation des Ablaufs beschränkt habe.

Die Strafe hat das Landgericht im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer - eine erste Durchsuchung der Kanzlei des Angeklagten fand am 5. August 2002 statt - um ein Drittel gesenkt.

II.

Die Revision des Angeklagten ist nicht begründet. Der Tatbestand des § 92a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG a.F. ist erfüllt. Denn der Angeklagte hat den aus Osteuropa stammenden Ausländerinnen Hilfe geleistet, unrichtige Angaben zu machen, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen.

1. Durch die unrichtige Angabe der jeweiligen Anschrift, des Aufenthaltszwecks sowie der Finanzierung der Reise haben die Ausländerinnen ihrerseits den Tatbestand des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG verwirklicht. Dabei ist es unerheblich, dass die amtlichen Antragsformulare von ihnen nicht eigenhändig ausgefüllt worden sind. Die von den Angestellten des Angeklagten dort jeweils angegebenen unrichtigen Tatsachen sind den Ausländerinnen zuzurechnen, die die Antragsformulare blanko unterzeichnet und in dem kanzleiinternen Fragebogen selbst falsche oder unvollständige Angaben gemacht hatten. Sie erhielten jeweils Durchschriften der von dem Angeklagten an die Ausländerbehörde gestellten Anträge (UA S. 6), aus denen die unrichtigen Angaben ersichtlich waren. Hinsichtlich des Vorsatzes der Unrichtigkeit war im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Ausländerinnen bereits vor der Einreise wissentlich falsche Angaben zur Erlangung eines formell gültigen Touristenvisums gemacht hatten.

2. Die unrichtigen Angaben der ausländischen Frauen erfolgten mit dem Ziel, eine Aufenthaltsgenehmigung - und nicht allein eine Duldung - zu erlangen; die Ausländerinnen strebten eine Verlängerung ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik an. Dass sie hierbei den unrichtigen Angaben zu ihrem Aufenthaltsort sowie zum Zweck und zur Finanzierung der Reise keine Bedeutung beigemessen haben könnten, liegt fern; es bedurfte daher keiner näheren Erörterung durch den Tatrichter.

Von der Strafvorschrift des § 92 AuslG a.F. wird im Übrigen, entgegen der Ansicht der Revision, auch die Duldungsfiktion gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG a.F. erfasst. Die Vorschrift erfasste sämtliche unrichtigen und unvollständigen Angaben unabhängig von ihrer Verwendung in den ausländerrechtlichen Verfahren und bezog das Erwirken einer Duldung ausdrücklich ein. Aus dem systematischen Zusammenhang ergeben sich ebenso wenig wie aus der gesetzlichen Zielrichtung Anhaltspunkte dafür, dass unrichtige oder unvollständige Angaben allein im Rahmen der Herbeiführung einer behördlichen Entscheidung den Tatbestand erfüllen sollten; vielmehr diente die Vorschrift gerade der Pönalisierung von abstrakt gefährlichen Handlungen im Vorfeld solcher Entscheidungen (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 1998, 378; Senge in Erbs/Kohlhaas § 92 AuslG Rdn. 37 m.w.N.).

Dass die Ausländerinnen - wie der Angeklagte - angenommen haben könnten, die Anträge würden ohnehin als unbegründet abgelehnt werden, liegt fern, denn die erst kurz zuvor eingereisten, regelmäßig sprachunkundigen Ausländerinnen hatten zu differenzierten ausländerrechtlichen Erwägungen weder Anlass noch waren sie dazu überhaupt in der Lage. Das gilt insbesondere auch für eine nähere Kenntnis des deutschen Verwaltungsverfahrens unter Einschätzung der voraussichtlichen Bearbeitungszeit und deren materiellrechtlichen Folgen. Der Schluss des Landgerichts, die Angabe unrichtiger Umstände in den Verlängerungsanträgen habe aus Sicht der Antragstellerinnen subjektiv dem Erhalt einer Aufenthaltsgenehmigung dienen sollen, ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

3. Die Revision rügt zu Unrecht, dass das Landgericht hinsichtlich der Zeugin E. die Beantragung einer Duldung angenommen habe; dies sei aber nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes, das insoweit milderes Recht sei, nicht mehr strafbar (UA S. 9, Anklagepunkt 2). Denn der Angeklagte hat auch im Auftrag dieser Ausländerin einen Antrag auf Aufenthaltsverlängerung gestellt; hierauf hat das Landgericht ersichtlich abgestellt. Die von der Revision hervorgehobene Beantragung einer Duldung bezog sich dagegen auf eine Verlängerung der Ausreisefrist, nachdem über den Antrag auf Aufenthaltsverlängerung bereits ablehnend entschieden worden war. Eine Strafbarkeit des Angeklagten hat das Landgericht insoweit gerade nicht angenommen.

4. Rechtlich zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte zu den Taten der Ausländerinnen durch die Anfertigung der mit unrichtigen Angaben versehenen Anträge und ihre Einreichung bei der Ausländerbehörde Hilfe geleistet hat. Die Tätigkeiten der Mitarbeiterinnen des Angeklagten sind diesem gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen. Eine eigene Täterschaft des Angeklagten gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG a.F. lag ersichtlich nicht vor, so dass es auf die von der Revision angestellten Erwägungen zur Übertragung des Absichtserfordernisses auf den Tatbestand des § 92 a Abs. 1 AuslG a.F. nicht ankommt. Eine solche liegt nach der Systematik der Regelungen auch fern.

Dem Vorsatz des Angeklagten steht nicht entgegen, dass er von vorneherein von einer Ablehnung der Anträge ausgegangen ist. Der Tätervorsatz des § 92 a Abs. 1 AuslG a.F., der eine zur selbständigen Tat aufgewertete Beihilfe unter Strafe stellte, bestimmt sich nach den für § 27 StGB geltenden Grundsätzen. Der Täter handelt daher bereits dann vorsätzlich, wenn er erkennt, dass seine Hilfeleistung an sich geeignet ist, die fremde Tat zu fördern (vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Auflage § 27 Rdn. 8 m.w.N.). Dies war bei dem Angeklagten der Fall, denn diesem war bewusst, dass die Ausländerinnen mit seiner Hilfe gegenüber der Ausländerbehörde unrichtige Angaben machten, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Dass er selbst nicht von der Begründetheit der Anträge ausging, steht dem nicht entgegen. Die bei den Ausländerinnen selbst gegebene Motivation ihres Handelns musste der Angeklagte nicht selbst aufweisen. Seine Vorstellung von der konkreten Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung ist daher für den subjektiven Tatbestand des § 92 a Abs. 1 AuslG a.F. ohne Bedeutung (OLG Karlsruhe NStZ-RR 1998, 378; Senge in Erbs/Kohlhaas aaO).

5. Auf die von der Bundesanwaltschaft in der Hauptverhandlung hilfsweise vertretene Auffassung, eine Strafbarkeit des Angeklagten folge bereits deshalb aus § 92 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AuslG a.F., weil die Duldungsfiktion des § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG a.F. nicht eingetreten sei und die Ausländerinnen sich daher gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten hätten, wozu ihnen der Angeklagte Hilfe geleistet habe (vgl. auch Senge in Erbs/Kohlhaas § 69 AuslG Rdn. 2), kommt es nicht an. Der Senat hätte allerdings Bedenken, den Begriff der unerlaubten Einreise innerhalb desselben Gesetzes unterschiedlich auszulegen.

6. Die Revision führt zwar zutreffend aus, dass strafbare Haupttaten in den Fällen der Anklagepunkte 6 und 7 nicht gegeben seien; die Hilfeleistungen des Angeklagten in diesen Fällen sind daher nicht Teil der vom Landgericht angenommenen einheitlichen Tat. Ein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler bei der Strafzumessung liegt aber trotz der insoweit missverständlichen Formulierungen im Rahmen der rechtlichen Würdigung nicht vor. Das Landgericht hat strafmildernd berücksichtigt (UA S. 24), dass lediglich in fünf Fällen unrichtige bzw. unvollständige Angaben gegenüber der Ausländerbehörde gemacht worden seien. Es hat somit die Hilfeleistung des Angeklagten in den beiden genannten Fällen aus dem Schuldumfang ausdrücklich herausgenommen.

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 135

Externe Fundstellen: NStZ 2007, 289

Bearbeiter: Ulf Buermeyer