Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 153/93, Urteil v. 22.04.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 27. Oktober 1992 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, beanstandet mit der Sachrüge lediglich, daß das Schwurgericht die besondere Schwere der Schuld im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verneint hat. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
1. Nach den Feststellungen war die Familie des Angeklagten seit Jahren mit den Eheleuten N. gut bekannt. Herr N. betätigte sich mit Unterstützung seiner Ehefrau nebenberuflich für eine Versicherung. Im Rahmen der Kontakte, die über die geschäftlichen Belange hinausgingen, war er der Familie des Angeklagten u.a. in Finanzierungs- und Steuerangelegenheiten behilflich.
Anläßlich der Zahlung von Versicherungsbeiträgen hatte der Angeklagte beobachtet, wo Frau N. die kassierten Gelder in ihrer Wohnung verwahrte. Als er infolge eines Unfalles und durch Spielverluste in finanzielle Bedrängnis geraten war, suchte er Frau N. unter einem Vorwand in ihrer Wohnung auf, um sie zu töten und sich ihrer Barmittel zu bemächtigen. Er zog unvermittelt einen Hammer aus der Jackentasche und schlug ihn der im Sessel sitzenden Frau mit voller Wucht auf den Kopf. Sodann versetzte er ihr in schneller Folge mindestens 19 weitere Hammerschläge. Ohne das erwartete Bargeld gefunden zu haben, verließ der Angeklagte die Wohnung. Frau N. erlag ihren schweren Schädel-Hirnverletzungen.
2. Das Rechtsmittel ist zulässig.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 3. Juni 1992 gefordert, die für die Bewertung der Schuld gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB erheblichen Tatsachen im Erkenntnisverfahren festzustellen und die Schuld unter dem für die Aussetzungsentscheidung des § 57a StGB maßgebenden Gesichtspunkt ihrer besonderen Schwere zu gewichten (BVerfGE 86, 288, 310 f.). Dabei hat es ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die für das spätere Vollstreckungsverfahren notwendige und bindende tatrichterliche Gewichtung der Schuld ungeachtet ihrer mangelnden Auswirkungen auf den Schuld- und Strafausspruch der revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt (BVerfGE 86, 288, 323 f.). Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings auf die Einzelheiten der dem herkömmlichen Verfahrensverständnis zuwiderlaufenden Umsetzung in das geltende Prozeßrecht nicht näher eingegangen.
Daher obliegt es den Fachgerichten, in Auslegung des geltenden Verfahrensrechts, die prozessualen Voraussetzungen für die Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Rechtsgestaltung zu schaffen. Dabei haben sie sich - wie das Bundesverfassungsgericht bei seiner verfassungskonformen Auslegung - bei weitestmöglicher Schonung des geltenden Rechts im übrigen tunlichst im Rahmen der vom Gesetzgeber gewählten Grundstruktur des Verfahrens zu halten (BVerfGE 86, 288, 318, 321; 70, 297, 308 f.; 57, 250, 276). Davon ausgehend wendet der Senat für die Überprüfung des Schuldschwereausspruchs, bei dem es sich der Sache nach um die Entscheidung einer vollstreckungsrechtlichen Vorfrage handelt, die Grundsätze des geltenden Revisionsrechts entsprechend an.
b) Die Staatsanwaltschaft ist dadurch, daß das Schwurgericht die besondere Schwere der Schuld im Sinne des § 57a StGB in den Urteilsgründen verneint hat, beschwert. Die Beschwer ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß dies aus prozessualen Gesichtspunkten nur in den Urteilsgründen geschehen ist; denn die Verneinung der besonderen Schuldschwere bedarf - im Gegensatz zu ihrer Bejahung - keiner Aufnahme in den Urteilstenor, weil das Fehlen im Tenor einer Nichtentscheidung oder Verneinung gleichkommt (vgl. BGH NJW 1993, 1084).
3. Auch die Beschränkung der Revision auf die Frage der besonderen Schuldschwere ist zulässig.
Eine Beschränkung des Rechtsmittels ist nach ständiger Rechtsprechung zulässig, wenn die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des Urteils im übrigen erforderlich zu machen (Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. § 318 Rdn. 6 mit Nachw.). Voraussetzung ist allerdings, daß das angefochtene Urteil eine dementsprechende Prüfung ermöglicht (Kleinknecht/Meyer aaO Rdn. 16). Das gilt bei einer Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch oder auf einen Teil des Rechtsfolgenausspruchs und muß auch bei entsprechender Anwendung dieser Grundsätze auf die vollstreckungsrechtliche Vorfrage Geltung beanspruchen. Die Staatsanwaltschaft kann daher ihr Rechtsmittel auf die Frage des Vorliegens besonderer Schuldschwere im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB beschränken; denn die Verurteilung wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe wird - wie auch im vorliegenden Fall - in aller Regel von der Frage, ob eine besondere Schuldschwere in dem genannten Sinne vorliegt, nicht berührt.
4. Die entsprechende Anwendung des Revisionsrechts bedeutet noch nicht notwendig, daß die Feststellung der Schuldschwere in vollem Umfang zusammen mit dem Urteil der revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt. Das Bundesverfassungsgericht hat die zugrunde liegenden Verfahrensbestimmungen lediglich einer verfassungskonformen Auslegung unterzogen und weder sie noch die durch die Revisibilität der Schuldschwere zwangsläufig berührten Regeln des Verfahrensrechts beanstandet (vgl. BGH, Beschluß vom 20. Oktober 1992 - 4 StR 451/92 = NStZ 1993, 143). Die Folge einer solchen verfassungskonformen Auslegung der §§ 454, 462a StPO, 74 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GVG ist die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Zuständigkeiten. Da diese Auslegung lediglich das Ziel verfolgt, die vom Gesetzgeber bestimmte und fortgeltende vollstreckungsrechtliche Prüfung der Strafaussetzungsvoraussetzungen hinsichtlich eines Teilaspekts verbindlich vorwegzunehmen, könnte die revisionsgerichtliche Überprüfung des Schuldschwereausspruchs auf eine Kontrolle der Gewichtung der insoweit erheblichen Umstände auf der Grundlage der ihrerseits nicht revisiblen tatrichterlichen Feststellungen beschränkt sein. Damit würde verhindert, daß die Verlagerung der Zuständigkeit vom Vollstreckungsgericht auf den Tatrichter letztlich in eine fachgerichtliche Korrektur des sonstigen Verfahrensrechts umschlägt; das könnte der Fall sein, wenn die Kompetenzverschiebung in Abweichung vom herkömmlichen Revisionsverfahren zur Aufhebung eines im übrigen beanstandungsfreien Urteils führen müßte.
Der vorliegende Fall nötigt indes nicht zur abschließenden Entscheidung der aufgeworfenen Fragen. Die Beschwerdeführerin rügt nämlich nur eine fehlerhafte Anwendung des Rechts auf den festgestellten Sachverhalt.
5. Daß das Schwurgericht hier das Vorliegen der besonderen Schuldschwere im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verneint hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a) Wie der Gesetzgeber mit der Androhung lebenslanger Strafe zum Ausdruck gebracht hat, wiegt die Schuld bei einer Mordtat stets außerordentlich schwer (BVerfGE 45, 187, 256, 259; BGH, Urteil vom 21. Januar 1993 - 4 StR 560/92 = StV 1993, 130 = NJW 1993, 1084, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Gerade deshalb ist es ein durch das Gebot der materiellen Gerechtigkeit legitimiertes Anliegen, durch die absolute Strafe des "Lebenslang" auf eine möglichst gleichmäßige Strafpraxis hinzuwirken (BVerfGE 45, 187, 260 f.). Läßt sich der Gedanke der Gleichbehandlung nicht ohne weiteres auf die vollstreckungsrechtlichen Folgen des Strafausspruchs übertragen, so kann die Bandbreite unterschiedlicher Verschuldensgrade im Rahmen der allgemeinen Schuldschwere des Mordes auch nicht in der Weise außer acht gelassen werden, daß Fälle der allgemeinen Schuldschwere mit der besonderen Schuldschwere des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB gleichgesetzt werden. Vielmehr ist der Begriff der besonderen Schuldschwere gemäß seinem Wortsinn als eine über das Normale weit herausragende Schuld zu verstehen (BVerfGE 72, 105, 117; 86, 288, 314 f.; vgl. BGH, Beschluß vom 16. Februar 1993 - 5 StR 716/92; Urteil vom 21. Januar 1993 aaO; vgl. zur Bejahung der besonderen Schuldschwere BGH, Beschluß vom 3. März 1993 - 5 StR 79/93; Stree NStZ 1992, 464).
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. Januar 1993 (NJW 1993, 1084) ausgeführt hat, ist deshalb bei der Bemessung der besonderen Schuldschwere an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vorliegen eines besonders schweren Falles anzuknüpfen: Von besonderer Schwere der Schuld kann demnach nur gesprochen werden, wenn das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit von den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Mordfällen so sehr abweicht, daß eine - vorbehaltlich der günstigen Prognose nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB - Strafverbüßung von (nur) 15 Jahren unangemessen erscheinen würde. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn der Täter mehrere Mordmerkmale verwirklicht oder durch eine Handlung mehrere Menschen ermordet hat oder die Tatausführung durch besonders verwerfliche Umstände gekennzeichnet ist (vgl. dazu auch BVerfGE 45, 363, 372).
Zwar läßt sich nicht bezweifeln, daß die Einbeziehung von Strafzumessungskriterien in die vollstreckungsrechtliche Vorbewertung der Schuld das Verhältnis von Strafzumessung und Strafvollstreckung verwischt (Meurer JR 1992, 441, 444, 445). Das liegt aber in der unabweisbaren Konsequenz der verfassungsgerichtlichen Entscheidung.
b) Die Erwägungen der Schwurgerichtskammer werden den an die Begründung des Schuldschwereausspruchs zu stellenden Anforderungen gerecht. Der Tatrichter hat im Rahmen einer Gesamtwürdigung berücksichtigt, daß der Angeklagte mit "Habgier" und "Heimtücke" zwei Mordqualifikationen verwirklicht, tateinheitlich einen versuchten schweren Raub mit Todesfolge begangen und sich eines besonderen Vertrauensbruchs gegenüber den Eheleuten N. schuldig gemacht hat. Auf der anderen Seite mißt er jedoch dem Merkmal der Heimtücke bei der Gesamtbewertung des Tatgeschehens keine wesentlich schulderhöhende Bedeutung zu und sieht in der Jugend des zur Tatzeit 22jährigen Angeklagten, in seinem Geständnis und in seinem bislang unauffälligen Vorleben hinreichende Gründe, "letztlich" von der Feststellung der besonderen Schuldschwere abzusehen. Das ist vom Revisionsgericht hinzunehmen; denn - wie sonst auch bei der Überprüfung von Strafzumessungserwägungen (vgl. BGHSt 29, 319, 320) - ist dem Revisionsgericht hier ebenfalls eine sachliche Richtigkeitskontrolle versagt. Es hat nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht hat, darf aber nicht seine Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen.
Daß der Angeklagte zwei Mordmerkmale verwirklicht hat und tateinheitlich wegen versuchten Raubes mit Todesfolge verurteilt worden ist, macht die Entscheidung zur besonderen Schuldschwere nicht fehlerhaft. Der Senat hat in seinem Urteil vom 21. Januar 1993 (aaO) bereits entschieden, daß im Falle der Bildung einer lebenslangen Gesamtstrafe nicht schematisch aufgerechnet werden darf (vgl. auch Stree NStZ 1992, 465). Vielmehr ist, wie bei mehreren zeitigen Freiheitsstrafen, der zeitliche, örtliche und situative Zusammenhang der Straftaten zu beachten und die Gesamtstrafe in der Regel um so niedriger zu bemessen, je enger sich dieser Zusammenhang darstellt (BGH aaO; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 4, § 54 Abs. 1 Bemessung 2). Entsprechend bedarf es auch beim Zusammentreffen mehrerer Mordqualifikationen und bei tateinheitlicher Begehung anderer Delikte einer Gesamtwürdigung anhand der Umstände des Einzelfalles.
Auch das Hinzutreten der tateinheitlichen Verurteilung wegen versuchten Raubes mit Todesfolge führt zu keiner anderen Beurteilung. Wie der Große Senat für Strafsachen in seinem Beschluß vom 20. Oktober 1992 (GSSt 1/92, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen) entschieden hat, kann das in den Bereich der Überschneidung beider Tatbestände fallende Unrecht dem Angeklagten nur einmal angelastet werden. Beim Zusammentreffen von Raub mit Todesfolge und Mord ist das Unrecht, das in der Herbeiführung des Todes liegt, bereits Gegenstand des Schuldspruchs nach § 211 StGB. Daß die besondere Gefährlichkeit des versuchten Raubes mit Todesfolge der Tat hier ein zusätzliches schulderhöhendes Gewicht gegeben hätte, ist nicht festgestellt.
Den Anforderungen des verfassungsgerichtlichen Beschlusses wird Genüge getan, wenn die besondere Schuldschwere in den Urteilsgründen verneint wird; einer Aufnahme dieses Ausspruchs in den Tenor bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 21. Januar 1993 aaO). Die Revision ist daher zu verwerfen.
Externe Fundstellen: BGHSt 39, 208; NJW 1993, 1999; NStZ 1993, 448; StV 1993, 344
Bearbeiter: Rocco Beck