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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 238

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 263/23, Urteil v. 14.12.2023, HRRS 2024 Nr. 238


BGH 1 StR 263/23 - Urteil vom 14. Dezember 2023 (LG Stuttgart)

Unerlaubtes bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (minderschwerer Fall bei geringer Gefährlichkeit des mitgeführten Gegenstands; Verhältnis zum Normalfall des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Spezialität, Bestimmung des Strafrahmens).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar darf im Rahmen der für die Annahme eines minder schweren Falls nach § 30a Abs. 3 BtMG geforderten Gesamtwürdigung auch der minderen Gefährlichkeit der Waffe oder des sonstigen Gegenstandes Rechnung getragen werden, wobei bei der Bestimmung des Gefährlichkeitsgrads auch ein Vergleich der mitgeführten Waffe mit den ebenfalls in § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG genannten Schusswaffen anzustellen ist. Bei Schlagwaffen bedarf es dazu jedoch näheren Feststellungen zu Gewicht, Qualität und Alter sowie zu Kraft, Geschicklichkeit und Übung des Benutzers.

2. Bejaht das Gericht einen minder schweren Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG mit einer Strafrahmenuntergrenze von sechs Monaten Freiheitsstrafe, so hat es zu prüfen, ob zugleich ein minder schwerer Fall des verdrängten § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nach dessen Absatz 2 mit einer Strafrahmenuntergrenze von drei Monaten Freiheitsstrafe vorliegt. Ist dies zu verneinen, ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen die Strafrahmenuntergrenze des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG von einem Jahr Freiheitsstrafe maßgeblich, sodass sich in Verbindung mit der Strafrahmenobergrenze des § 30a Abs. 3 BtMG ein Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ergibt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 2. März 2023 im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt sowie die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat lediglich zum Strafausspruch Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte spätestens Anfang August 2022 dazu, Betäubungsmittel zu erwerben und weiterzuveräußern, um sich dadurch eine nicht unerhebliche Einnahmequelle zu erschließen und auch seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren. Wenige Tage vor dem 15. August 2022 verschaffte er sich Kokain zum ausschließlichen Weiterverkauf. Hiervon lagerte er 200 Gramm mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 50,25 Prozent Cocainbase (100,5 Gramm Cocainbase) in einem Tresor im Schlafzimmer seiner Wohnung. Zugleich bevorratete er darin 302 Gramm Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 14,45 Prozent THC (43,64 Gramm THC). Etwa zwei Meter entfernt bewahrte der Angeklagte griffbereit in einer Kommode einen schmalen und leichten Teleskopschlagstock mit einer Länge von 32 cm sowie Bargeld in Höhe von 540 Euro auf. In einem offenen Kleiderschrank etwa vier Meter vom Tresor entfernt lagerten zugriffsbereit ein weiterer Teleskopschlagstock mit einer Länge von 53 cm und weiteres Bargeld im Wert von 14.150 Euro. Auf die Herausgabe von 7.000 Euro aus dem Abverkauf von Betäubungsmitteln hat der Angeklagte, dem im Juli 2019 Kreditmittel von rund 56.000 Euro zugeflossen waren, verzichtet.

Eine Teilmenge von insgesamt 6,885 Gramm mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 48,15 Prozent Cocainbase (3,316 Gramm Cocainbase) verwahrte der Angeklagte in zehn verkaufsfertig abgepackten Plomben spätestens ab dem 15. August 2022 in einem Fach unter dem Fahrersitz seines Pkws. Auch dort lag griffbereit ein Teleskopschlagstock, dessen Griff abgebrochen war. Der Schlagstock ließ sich dennoch durch einen „Schwung nach unten“ öffnen und wies im ausgefahrenen Zustand eine Länge von 35 cm auf.

Der Angeklagte wusste, dass ihm die Teleskopschlagstöcke ohne Überwindung besonderer Hindernisse griffbereit zur Verfügung standen und sich ohne erheblichen Zeitaufwand ausfahren ließen. Mit ihnen wollte er das Marihuana und Kokain gegen den möglichen Zugriff Dritter schützen.

2. Die Auslegung der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft ergibt, dass diese auf den Strafausspruch und die unterbliebene erweiterte Einziehung von Taterträgen beschränkt ist (vgl. nur BGH, Urteile vom 17. August 2023 - 4 StR 125/23 Rn. 14 und vom 30. November 2017 - 3 StR 385/17 Rn. 10 sowie Nr. 156 Abs. 1, Abs. 2 RiStBV). Die Staatsanwaltschaft greift in ihrer Revisionsbegründung weder den Schuldspruch noch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB an, sondern ausschließlich die Strafzumessung und die unterbliebene erweiterte Einziehung von Taterträgen gemäß § 73a StGB. Diese Beschränkung ist wirksam; insbesondere ist die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in zulässiger Weise von der Revision ausgenommen. Der Strafausspruch und die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung können rechtlich und tatsächlich losgelöst voneinander beurteilt werden. Zwischen diesen Rechtsfolgen besteht keine Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 2018 - 4 StR 568/17 Rn. 13); insbesondere hat das Landgericht die Maßregelanordnung nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt.

3. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat lediglich hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg, nicht hingegen, soweit sie sich auch gegen die unterbliebene erweiterte Einziehung von Taterträgen gemäß § 73a StGB wendet.

a) Die Strafrahmenwahl des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern.

aa) Die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 30a Abs. 3 BtMG hat die Strafkammer maßgeblich auf die mindere Gefährlichkeit der drei dem Angeklagten bei der Tat zur Verfügung stehenden Teleskopschlagstöcke gestützt. Bereits dies begegnet hier mangels ausreichender Begründung durchgreifenden Bedenken. Zwar darf im Rahmen der für die Annahme eines minder schweren Falls geforderten Gesamtwürdigung auch der minderen Gefährlichkeit der Waffe oder des sonstigen Gegenstandes Rechnung getragen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2013 - 3 StR 143/13 Rn. 8), wobei bei der Bestimmung des Gefährlichkeitsgrads auch ein Vergleich der mitgeführten Waffe (hier: Teleskopschlagstock) mit den ebenfalls in § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG genannten Schusswaffen anzustellen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2020 - 1 StR 560/19 Rn. 5). Die Würdigung der Strafkammer, dass die sichergestellten Teleskopschlagstöcke im Falle ihres Gebrauchs lediglich geeignet seien, „leichte Verletzungen“ zu verursachen, weil diese „schmal und klein“, „älterer Ausführung“ und „in der Anwendungsweise nicht leichtläufig und von minderer Qualität“ seien, ist beweiswürdigend allerdings nicht belegt. Ungeachtet des Umstands, dass es an näheren Feststellungen zu Gewicht, Qualität und Alter fehlt, kann auch ein leichter, nicht leichtläufig zu handhabender Teleskopschlagstock älterer Ausführung und von minderer Qualität geeignet sein, im Falle des Einsatzes gegen Menschen erhebliche Verletzungen zu verursachen. Denn die potentiell gefährliche Handhabung eines solchen Schlagstocks hängt maßgeblich von der vom Benutzer - hier dem Angeklagten - aufgewendeten Kraft, Geschicklichkeit und Übung ab. Ein nicht leichtgängiges Expandieren des Schlagstocks durch Kammermitglieder im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme hat daher keine Aussagekraft.

bb) Zudem hat die Strafkammer bei der Strafrahmenwahl die mögliche Sperrwirkung der Strafrahmenuntergrenze des aufgrund Spezialität in Gesetzeskonkurrenz zurücktretenden § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht beachtet und die Prüfung eines minder schweren Falls gemäß § 29a Abs. 2 BtMG versäumt. Bejaht das Gericht einen minder schweren Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG mit einer Strafrahmenuntergrenze von sechs Monaten Freiheitsstrafe, so hat es zu prüfen, ob zugleich ein minder schwerer Fall des verdrängten § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nach dessen Absatz 2 mit einer Strafrahmenuntergrenze von drei Monaten Freiheitsstrafe vorliegt. Ist dies zu verneinen, ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen die Strafrahmenuntergrenze des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG von einem Jahr Freiheitsstrafe maßgeblich, sodass sich in Verbindung mit der Strafrahmenobergrenze des § 30a Abs. 3 BtMG ein Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ergibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. November 2017 - 1 StR 515/17 Rn. 3 und vom 1. September 2020 - 3 StR 469/19, BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 5 Rn. 4 f.). Unterbleibt - wie hier - eine solche Prüfung, ist der Strafrahmen rechtsfehlerhaft bestimmt.

cc) Die Feststellungen sind von den beiden Erörterungsfehlern nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer auf deren Grundlage ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass ein minder schwerer Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG vorliegt, so wird sie diese Prüfung nachzuholen haben. Dabei wird sie auch zu berücksichtigen haben, dass ein minder schwerer Fall gemäß § 29a Abs. 2 BtMG umso ferner liegt, je höher im Einzelfall der Grenzwert der nicht geringen Menge überschritten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 1983 - 1 StR 721/83, BGHSt 32, 162, 164 f.; Urteile vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. September 2017 Rn. 13 und vom 22. März 2023 - 1 StR 335/22 Rn. 23 [für BGHSt vorgesehen]).

b) Das Landgericht hat hingegen ohne Rechtsfehler davon abgesehen, das sichergestellte Bargeld in Höhe von (weiteren) 7.690 Euro als Taterträge aus anderen nicht aufklärbaren Betäubungsmittelgeschäften im Wege der erweiterten Einziehung nach § 73a StGB einzuziehen. Die Ausführungen im Urteil lassen erkennen, dass das Landgericht die finanziellen Verhältnisse des Angeklagten erschöpfend aufgeklärt hat. Seine Würdigung, dieser Geldbetrag stamme (als Restbetrag) nicht widerlegbar aus der in bar abgehobenen Darlehensvaluta, lässt nicht besorgen, dass es überzogene Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2023 - 1 StR 335/22 Rn. 5 [für BGHSt vorgesehen] mit weiteren umfangreichen Nachweisen).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 238

Bearbeiter: Christoph Henckel