HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1129
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 125/23, Urteil v. 17.08.2023, HRRS 2023 Nr. 1129
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19. September 2022 aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen im Fall II.1.m) der Urteilsgründe,
b) im gesamten Strafausspruch,
c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen im Fall II.1.m) der Urteilsgründe,
d) im Ausspruch über den Vorwegvollzug.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 18 Fällen, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen vorsätzlichen unerlaubten Ausübens der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und einen Vorwegvollzug angeordnet. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 687.550 € sowie die erweiterte Einziehung von Taterträgen in Höhe von 406.200 € angeordnet.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision gegen den Schuldspruch in den Fällen II.1.i) und II.1.m) der Urteilsgründe sowie gegen den Strafausspruch.
Die vom Generalbundeswalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg und führt - zu Gunsten des Angeklagten ? zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1.m) der Urteilsgründe sowie ? zu Ungunsten des Angeklagten ? zur Aufhebung des Strafausspruchs. Dies führt zur Aufhebung der Anordnung des Vorwegvollzugs und zur teilweisen Aufhebung der Einziehungsentscheidung. Im Übrigen ist das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unbegründet.
Das Landgericht hat, soweit für die Entscheidung von Bedeutung, im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Spätestens ab März 2020 betrieb der Angeklagte einen umfangreichen Handel mit Marihuana, Haschisch, Kokain und Amphetamin und erzielte erhebliche Gewinne, die er jedenfalls auch zur Finanzierung seines eigenen Kokainkonsums verwendete. Für die Abwicklung seines Betäubungsmittelhandels nutzte er den Kryptomessengerdienst Encro-Chat unter dem Pseudonym „n. “. In einigen Fällen kaufte er Kokain (Fälle II.1.c), d), e) und h)) bzw. Haschisch (Fall II.1.j)) zum gewinnbringenden Weiterverkauf an bzw. einigte sich mit einem Lieferanten verbindlich über dessen Ankauf (Fall II.1.a)). In weiteren Fällen verkaufte er Kokain (Fälle II.1.b), f), g) und k)), Haschisch (Fall II.1.n)), Marihuana und Haschisch (Fall II.1.p)) sowie Amphetamin (Fall II.1.r)). Schließlich verfügte er in der Wohnung einer gesondert Verfolgten über einen speziell gesicherten Raum („Bunkerraum“), in dem er am 14. Januar 2022 unter anderem rund 3,3 Kilogramm Heroin, mehr als 22 Kilogramm Kokain, rund 34 Kilogramm Marihuana, 37,3 Kilogramm Haschisch, 982 Gramm Amphetamin sowie rund drei Kilogramm Ecstasy zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorrätig hielt. Darüber hinaus bewahrte er dort unter anderem eine Maschinenpistole CZ Skorpion mit insgesamt fünf Magazinen und passender Munition sowie Bargeld in Höhe von 406.200 € auf (Fall II.1.s)).
2. Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum von März 2020 bis zum 26. April 2020 kam es weiterhin zu folgenden Taten:
a) Am 16. April 2020 erwarb der Angeklagte von dem Encro-Chatnutzer „b.“ aus den Niederlanden drei Kilogramm cannabidiolhaltiges Marihuana (CBD), um es gewinnbringend an einen Abnehmer zu veräußern (Tat II.1.i)). Am 3. April 2020 verkaufte der Angeklagte an den gesondert verfolgten S. vier Kilogramm Marihuana und vier Kilogramm cannabidiolhaltiges Marihuana zum Preis von insgesamt 40.000 € (Tat II.1.l)). Am 14. April 2020 verkaufte der Angeklagte zehn Kilogramm Marihuana, wobei es sich bei einer Teilmenge von fünf Kilogramm um cannabidiolhaltiges Marihuana handelte, zum Preis von 48.000 € (Tat II.1.o)). Weiterhin verkaufte er am 24. April 2020 insgesamt acht Kilogramm Marihuana, wobei es sich bei sieben Kilogramm um cannabidiolhaltiges Marihuana handelte, sowie ein Kilogramm cannabidiolhaltiges Haschisch zum Preis von 43.200 € (Tat II.1.q)). Der THC-Gehalt des CBD-Marihuanas und des CBD-Haschischs war in sämtlichen Fällen äußerst gering und überschritt 2 % jedenfalls nicht. Zur subjektiven Tatseite ist festgestellt, dass der Angeklagte es in allen Fällen für möglich hielt, dass seine Abnehmer das Marihuana bzw. Haschisch „zu berauschenden Zwecken einsetzen oder als Rauschmittel an Dritte weiterveräußern“ werden, und er damit einverstanden war.
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht festgehalten, dass sich der THC-Gehalt des cannabidiolhaltigen Marihuanas sowie des cannabidiolhaltigen Haschischs in den Fällen II.1.i), II.1.l), II.1.o) und II.1.q) der Urteilsgründe nicht genau habe bestimmen lassen, aber unterhalb der Schwelle von 0,2 % gelegen habe. Das Betäubungsmittelgesetz finde gleichwohl auch insoweit Anwendung, weil der Handel mit diesen Pflanzenteilen nicht ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken diene und ein Missbrauch zu Rauschzwecken nicht auszuschließen sei.
b) Am 8. April 2020 verkaufte der Angeklagte an den gesondert verfolgten S. 300 Gramm Crystal Meth zum Preis von 3.300 € (Tat II.1.m)). Feststellungen zum Wirkstoffgehalt oder der Wirkstoffmenge des gehandelten Betäubungsmittels sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
3. Das Landgericht hat hinsichtlich der Taten II.1.l), m), o) und q) jeweils den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG sowie hinsichtlich der Tat II.1.i) den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG als verwirklicht angesehen.
Bei der Strafrahmenwahl hat das Landgericht jeweils die Annahme minder schwerer Fälle im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG abgelehnt und hinsichtlich der Tat II.1.i) einen besonders schweren Fall im Sinne des § 29 Abs. 3 BtMG angenommen. Bei der Rahmenwahl sowie bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat das Landgericht hinsichtlich sämtlicher Taten strafmildernd die gegen den Angeklagten ergangene „erhebliche“ Einziehungsentscheidung berücksichtigt. Die erheblichen Wirkstoffmengen der verschiedenen Betäubungsmittel hat das Landgericht nicht erkennbar strafschärfend in die Strafzumessung eingestellt.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1.m) der Urteilsgründe sowie zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Dies zieht die Aufhebung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.300 € nach sich. Im Übrigen weist das Urteil keinen zur Urteilsaufhebung nötigenden Rechtsfehler auf. Insbesondere der Schuldspruch im Fall II.1.i) der Urteilsgründe begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist ungeachtet des weitergehenden Antrags, das Urteil ? auch ? in den Fällen II.1.l), o) und q) der Urteilsgründe sowie im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben, auf die Schuldsprüche in den Fällen II.1.i) und II.1.m) sowie auf den gesamten Strafausspruch beschränkt.
a) Eine an Nr. 156 Abs. 2 RiStBV orientierte Auslegung der Revisionsbegründungsschrift ergibt zweifelsfrei, dass die Staatsanwaltschaft nur in den Fällen II.1.i) und II.1.m) der Urteilsgründe den Schuldspruch beanstandet und in den Fällen II.1.I), o) und q) der Urteilsgründe lediglich einen zu geringen Schuldumfang. Dieser betrifft allein den jeweiligen Einzelstrafausspruch. Darüber hinaus erhebt die Staatsanwaltschaft sachlich-rechtliche Einwendungen gegen den Strafausspruch im Ganzen, indem sie beanstandet, dass das Tatgericht die konkreten Wirkstoffgehalte der Betäubungsmittel und sich daraus ergebende Wirkstoffmengen nicht strafschärfend berücksichtigt habe. Zudem sei die angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen rechtsfehlerhaft als Strafmilderungsgrund berücksichtigt worden. Hieraus entnimmt der Senat, dass die Maßregelanordnung nach § 64 StGB und die Einziehungsentscheidung (§ 73c StGB, § 73a StGB) - soweit diese Beträge aus den nicht angegriffenen Schuldsprüchen betrifft - vom Rechtsmittelangriff ausgenommen sein sollen.
b) Diese Rechtsmittelbeschränkung ist wirksam, denn die angefochtenen Schuldsprüche sowie der Strafausspruch können losgelöst von den nicht angegriffenen Teilen des Urteils einer rechtlichen Überprüfung unterzogen werden. Weiterhin ist nicht zu besorgen, dass die infolge des Teilrechtsmittels stufenweise entstehende Gesamtentscheidung innere Widersprüche aufweisen könnte.
aa) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB ist unter den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls wirksam vom Revisionsangriff ausgenommen. Zwar kann der Maßregelausspruch regelmäßig nicht wirksam vom Revisionsangriff ausgenommen werden, wenn zugleich der Schuldspruch angegriffen wird, weil die Feststellung der Symptomtat unerlässliche Voraussetzung für die Maßregelanordnung ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 ? 3 StR 154/22 Rn. 11; Beschluss vom 19. Januar 2010 ? 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171, 172). Richtet sich die Revision aber ? wie hier ? nur teilweise gegen den Schuldspruch und sind mehrere Symptomtaten von dem Revisionsangriff ausgenommen, welche die Maßregelanordnung losgelöst von den mit dem Rechtsmittel angegriffenen Taten tragen, ist die Rechtsmittelbeschränkung auch insoweit als wirksam anzusehen.
bb) Gleiches gilt für die Einziehungsentscheidung, soweit sie den auf die Tat II.1.m) entfallenden Tatertrag von 3.300 € übersteigt. Zwar hat das Landgericht die Einziehung strafmildernd berücksichtigt. Daraus ergibt sich aber in Bezug auf die Einziehungsentscheidung kein Trennbarkeitshindernis. Zwar hat die Strafkammer der Einziehungsentscheidung - rechtsfehlerhaft - Einfluss auf die Bestimmung der Strafhöhe beigemessen. Dies bedeutet aber nicht, dass damit zugleich auch - etwa im Sinne einer Wechselwirkung - die Einziehung von der Bemessung der Strafe abhängig gemacht worden wäre.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg und führt zu Gunsten (§ 301 StPO) des Angeklagten zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1.m) der Urteilsgründe sowie ? zu Ungunsten des Angeklagten ? zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Damit ist auch der Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe vor der angeordneten Maßregel die Grundlage entzogen.
a) Der Schuldspruch im Fall II.1.m) der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Den Urteilsgründen lässt sich auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht entnehmen, mit welcher Art von Methamphetamin („Crystal Meth“) der Angeklagte Handel getrieben hat, und von welcher Wirkstoffkonzentration und Wirkstoffmenge das Landgericht ausgegangen ist. Bei dieser Sachlage vermag der Senat ungeachtet der erheblichen Handelsmenge von 300 Gramm Methamphetamin letztlich nicht sicher auszuschließen, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge, der für (2S)-Methamphetamin auf fünf Gramm Methamphetaminbase (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 ? 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89, 90; Beschluss vom 25. Juni 2019 ? 1 StR 181/19 Rn. 11) festgelegt ist und für Methamphetamin-Racemat bei 10 Gramm der wirkungsbestimmenden Base liegt (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2011 ? 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60 Rn. 13), nicht überschritten ist. Die lückenhaften Feststellungen berühren daher nicht nur den Strafausspruch, sondern nötigen zur Aufhebung des Schuldspruchs. Der Senat hebt auch die von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen und zur subjektiven Tatseite insgesamt auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine widerspruchsfreie und stimmige Entscheidung der Schuld- und Straffrage zu ermöglichen. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1.m) der Urteilsgründe führt auch zum Wegfall der hieran anknüpfenden Einziehungsentscheidung in Höhe von 3.300 €.
b) Der gesamte Strafausspruch enthält Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten und war daher auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufzuheben.
Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Einzelakte der Strafzumessung kommt nur in Betracht, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft oder lückenhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist demgegenüber ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 ? GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349).
Gemessen hieran hält die Strafzumessung einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
aa) Die Strafzumessungserwägungen sind lückenhaft, weil das Landgericht in den Fällen II.1.a) bis II.1.h), II.1.j) bis II.1.l) sowie II.1.n) bis II.1.s) der Urteilsgründe die erheblichen Wirkstoffmengen nicht strafschärfend berücksichtigt hat, obwohl es sich dabei um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund handelt.
Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2023 ? 5 StR 343/22 Rn. 14; Urteil vom 5. September 1991 ? 4 StR 386/91 Rn. 8). Die Gesamtmenge des Wirkstoffs ist ? bezogen auf die einfache nicht geringe Menge ? ein für die Strafzumessung wesentlicher Gesichtspunkt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 ? 3 StR 531/98 Rn. 3; Urteil vom 5. September 1991 ? 4 StR 386/91 Rn. 8). Eine erhebliche Überschreitung der nicht geringen Menge ist regelmäßig als Strafschärfungsgrund in die Strafzumessung einzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2017 ? 2 StR 294/16, BGHSt 62, 90, 94 f.; vgl. aber auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 2019 ? 1 StR 181/19 Rn. 8 ff.). Das Tatgericht ist daher regelmäßig verpflichtet, konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2019 ? 4 StR 1/19 Rn. 3; Beschluss vom 7. Dezember 2011 ? 4 StR 517/11 Rn. 8; Beschluss vom 26. Mai 2021 ? 5 StR 529/20 Rn. 11; Beschluss vom 23. März 2021 ? 3 StR 53/21 Rn. 4; Beschluss vom 26. Mai 2020 ? 2 StR 44/20 Rn. 6; Beschluss vom 18. März 2020 ? 1 StR 600/19 Rn. 10).
Zwar hat das Landgericht ? abstrakt ? Feststellungen zu den Wirkstoffgehalten der jeweiligen Betäubungsmittel getroffen, auf die sich die Taten des Angeklagten bezogen. Jedoch fehlen Feststellungen zu den konkreten Wirkstoffmengen hinsichtlich der festgestellten Einzeltaten. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht lediglich auf „die großen Mengen der Betäubungsmittel“ abgestellt, ohne ausdrücklich die Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge in den jeweiligen Einzelfällen um ein Vielfaches in den Blick zu nehmen. Bei dieser Sachlage kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht die aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ersichtliche vielfache Überschreitung der nicht geringen Menge nicht strafschärfend berücksichtigt hat.
bb) Weiterhin hat das Landgericht bei allen Taten sowohl bei der Rahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne strafmildernd berücksichtigt, dass gegen den Angeklagten eine Einziehungsentscheidung ergangen ist. Die Maßnahme ist aber, da sie allein der Gewinnabschöpfung und damit dem Ausgleich unrechtmäßiger Vermögensverschiebung dient, regelmäßig kein Strafmilderungsgrund (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. März 2020 ? 4 StR 537/19 Rn. 12; siehe auch BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 ? 3 StR 184/20 Rn. 11; zum Verfall nach altem Recht vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2015 ? 5 StR 486/14 Rn. 6).
cc) Diese Rechtsfehler führen zur Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen. Der Senat kann ein Beruhen der äußerst milden Einzelstrafen auf diesen Rechtsfehlern nicht ausschließen. Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob sich einzelne oder ? wie die Staatsanwaltschaft meint ? alle Einzelstrafen als so milde erweisen, dass sie sich von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1989 ? 3 StR 368/89 Rn. 4).
dd) Die Aufhebung der Einzelstrafen führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe sowie zur Aufhebung der Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe vor der angeordneten Maßregel. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es insoweit nicht, da es sich um reine Wertungsfehler handelt.
3. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Schuldspruch im Fall II.1.i) der Urteilsgründe hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. Den Urteilsgründen ist unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs zweifelsfrei zu entnehmen, dass das Landgericht im Wege der Schätzung zu der Überzeugung gelangt ist, dass das cannabidiolhaltige Marihuana mit 0,2 % eine äußerst geringe Menge THC enthielt und ungeachtet der Ausnahmeregelung unter Buchstabe b zur Position Cannabis in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG in der zur Tatzeit geltenden Fassung dem Betäubungsmittelgesetz unterfiel, weil der Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen war (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 ? 5 StR 490/21 Rn. 3; Urteil vom 24. März 2021 ? 6 StR 240/20, NStZ 2021, 549, 550). Zwar ist ? worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung zutreffend hingewiesen hat ? im Rahmen der Feststellungen festgehalten, dass der THC-Gehalt 2 % nicht überschritt. Die Feststellungen zum THC-Gehalt des cannabidiolhaltigen Rauschgifts sind ? entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ? jedoch weder widersprüchlich noch unklar. Denn die zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte mit der Möglichkeit einer Weitergabe der Betäubungsmittel zu Rauschzwecken rechnete und ihm dies gleichgültig war, belegen, dass das Landgericht geprüft hat, ob die Pflanzenteile der Ausnahmeregelung unter Buchstabe b zur Position Cannabis in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG in der zur Tatzeit geltenden Fassung unterfallen wären. Anlass zur Prüfung der Frage, ob die fraglichen Betäubungsmittel der genannten Ausnahmeregelung unterfielen, bestand aber nur, wenn der Gehalt an Wirkstoff THC, der ? anders als Cannabidiol ? psychoaktiv ist, den Grenzwert der Ausnahmevorschrift von 0,2 % nicht überschritt. Die Gesamtschau der Urteilsgründe belegt daher, dass das Landgericht von einem Wirkstoffgehalt von unter 0,2 % ausgegangen ist.
Diese Überzeugung hat das Landgericht unter Hinweis auf die Abwicklung des Betäubungsmittelgeschäfts sowie den von ihm bezahlten bzw. den von ihm geforderten und von seinem Abnehmer auch gezahlten Kaufpreis tragfähig begründet. Die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, er sei von einem THC-Wirkstoffgehalt von 0,0 ausgegangen, hat es damit tragfähig widerlegt. Ausgehend von dem festgestellten Wirkstoffgehalt von 0,2 % THC ist das Landgericht rechtsfehlerfrei zu der Annahme gelangt, dass insoweit der Tatbestand des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG erfüllt ist.
Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1129
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede