HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 883
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 224/22, Beschluss v. 28.07.2022, HRRS 2022 Nr. 883
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 21. März 2022 aufgehoben,
a) soweit es diesen Angeklagten betrifft,
aa) im Fall B. II. 57. der Urteilsgründe mit den Feststellungen,
bb) soweit die Festsetzung von Einzelstrafen in den Fällen B. II. 38., B. II. 41. und B. II. 56. der Urteilsgründe unterblieben ist,
cc) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Dauer des Vorwegvollzugs;
b) zugunsten des Mitangeklagten W.,
aa) soweit die Festsetzung von Einzelstrafen in den Fällen B. II. 38. und B. II. 41. der Urteilsgründe unterblieben ist,
bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Dauer des Vorwegvollzugs.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Im ersten Rechtsgang hatte das Landgericht den Angeklagten B. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in drei Fällen, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt. Zudem hatte es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat das angefochtene Urteil in zwei Fällen wegen nicht auszuschließender Fehlbeurteilung der Konkurrenzen (Tateinheit statt Tatmehrheit), im „weitergehenden gesamten Strafausspruch“ und in der Einziehungsanordnung aufgehoben.
Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten - insoweit erneut - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in (richtigerweise) drei Fällen, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt und zudem - nach Übernahme und Hinzuverbindung eines weiteren Strafverfahrens - wegen Körperverletzung; es hat gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verhängt. Zudem hat das Landgericht gegen den Angeklagten B. die Einziehung sichergestellten Bargeldes in Höhe von insgesamt 3.250 € angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat - unter teilweiser Erstreckung auf den Mitangeklagten W. - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Verurteilung wegen Körperverletzung im Fall B. II. 57. der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die ungenauen Feststellungen zum Vortatgeschehen belegen nicht, dass der Angeklagte B. in seinem Notwehrrecht gegenüber dem eine Glasflasche einsatzbereit mit sich führenden Zeugen A., der zum Kampf aufgefordert hatte und den Angeklagten - an dessen T-Shirt packend - zu einem geeigneten Platz zog, eingeschränkt gewesen wäre. Eine Absichtsprovokation liegt fern; bezüglich einer leichtfertigen Provokation ist jedenfalls ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang nicht belegt (vgl. zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom 3. März 2021 - 4 StR 318/20 Rn. 6 und vom 17. Juni 2020 - 4 StR 658/19 Rn. 9; Urteil vom 17. Januar 2019 - 4 StR 456/18 Rn. 6; je mwN). Zudem sind Feststellungen zu den Beweggründen des Angreifers erforderlich, namentlich dazu, ob sich jener durch das rechtswidrige, jedenfalls aber sozialethisch zu missbilligende Vorverhalten des angegriffenen Angeklagten zum Angriff hat hinreißen lassen (BGH, Urteil vom 30. März 2022 - 2 StR 263/21 Rn. 34 mwN). Der Zeuge A. konnte sich an den Grund der Auseinandersetzung nicht erinnern (UA S. 33). Mangels Ausführungen zu den Kräfteverhältnissen ist hier schließlich nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte tatsächlich hätte losreißen können, ihm mithin ein milderes, gleichwohl effektives Abwehrmittel zur Verfügung stand.
2. Bezüglich der Strafzumessung hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
?Das Urteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung indes nicht stand, soweit die Strafkammer es in den Fällen B II 38, 41 und 56 unterlassen hat, neue Einzelstrafen zu verhängen.
Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft. Der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach Zurückverweisung gelangt, hat den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 - 4 StR 443/16 -, Rn. 7 m. w. N.). Maßgebend für den Umfang der Aufhebung ist insoweit die Formulierung im Tenor der revisionsgerichtlichen Entscheidung (BGH a. a. O.). Die Aufhebung des Strafausspruchs betrifft die zur Ahndung der verfahrensgegenständlichen Taten verhängten Strafen (BGH, Urteil vom 15. November 2018 - 3 StR 346/18 -, Rn. 5 m. w. N.).
Die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs durch den Senat hatte das Entfallen aller Einzelstrafen zur Folge. Die Strafkammer hat jedoch nur in den Fällen (neue) Einzelstrafen verhängt, in denen sie zugleich über den Schuldspruch verhandelt hat (Fälle B II 52, 55 und 57), weil sie irrtümlich davon ausgegangen ist, dass in den übrigen Fällen (B II 38, 41 und 56) neben dem Schuldspruch auch der Einzelstrafausspruch in Rechtskraft erwachsen war. Das stellt sich als fehlerhaft dar und muss insoweit zur Aufhebung des Urteils führen.?
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler entziehen den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Dauer des Vorwegvollzugs (§§ 64, 67 Abs. 2 Satz 2, 3, Abs. 5 Satz 1 StGB) die Grundlage.
4. In den Fällen B. II. 38. und 41. der Urteilsgründe ist die Urteilsaufhebung auf den Mitangeklagten W. zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO); denn das Landgericht hat insoweit in gleicher Weise rechtsfehlerhaft keine neuen Einzelstrafen verhängt. Dies führt auch beim Mitangeklagten W. zur Aufhebung der Gesamtstrafe und der Dauer des Vorwegvollzugs.
5. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht darf seiner Strafzumessung neue Feststellungen zugrunde legen, sofern diese den aufrechterhaltenen nicht widersprechen. Bei der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs ist erlittene Untersuchungshaft nicht in Abzug zu bringen, es sei denn, dass diese so lange angedauert hat, dass kein Raum für einen Vorwegvollzug verbleibt, sich ein solcher mithin erledigt hat (BGH, Beschlüsse vom 31. März 2020 - 5 StR 62/20 Rn. 3 und vom 24. September 2013 - 2 StR 397/13 Rn. 9; Urteil vom 13. März 2019 - 1 StR 424/18 Rn. 29; je mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 883
Bearbeiter: Christoph Henckel